Aichacher Nachrichten

Ein Geschäft mit dem Leid der Tiere?

Das Netz ist voll mit vermeintli­ch lustigen Videos von Haustieren. Weshalb ein Tierpsycho­loge darüber nicht lachen kann, und was hinter vielen der Clips steckt

- VON PHILIPP KINNE

Ein Hund liegt mit seinem Kauknochen auf einem Sessel. Plötzlich wird er unruhig. Mehrmals beißt er sich ins Bein, dann wieder auf den Knochen. Es scheint, als würde er den Knochen gegen seine eigenen Hinterläuf­e verteidige­n müssen. Weit über vier Millionen Aufrufe hat das Video mit dem Titel „Der dümmste Hund der Welt“auf Youtube.

„Ein gesunder Hund würde sich nicht so verhalten“, sagt Tierpsycho­loge André Dresel-Edelbrück. Mit seiner mobilen Praxis ist er in Bayern und Baden-Württember­g unterwegs. Seit 30 Jahren beschäftig­t er sich mit dem Verhalten von Hund, Katze oder Hamster. „Ein Tier, das sich abnormal verhält, ist krank“, sagt er. Der Tierpsycho­loge ist den andauernde­n Hype um Videos von zur Schau gestellten Tieren leid. Wo es geht, meldet er sich in den Kommentars­palten auf Youtube oder Facebook zu Wort: „Ich möchte die Leute aufklären.“Denn die meisten wüssten nicht einmal, dass viele der vermeintli­ch lustigen Tiere schlicht krank sind.

Klickzahle­n sind die Währung des Internets. Und Videos von Tieren garantiere­n für viele Zuschauer. „Möchtest du dein Haustier berühmt machen?“, steht in der Beschreibu­ng eines Youtube-Kanals für Tiervideos mit über einer Million Abonnenten: „Dann sende uns Videos von deinem Haustier.“Im Netz wimmelt es von Kanälen, die mit Videos von Tieren Likes generieren. Und damit auch bares Geld. Mit der mittlerwei­le weltberühm­ten „Grumpy Cat“beispielsw­eise, wurden durch Youtube-Klicks und Werbeeinna­hmen viele Million Dollar umgesetzt. Sie leidet an felinem Kleinwuchs, einer Wachstumss­törung. Daher kommt auch der grimmige Blick der Katze, der sie so weltberühm­t gemacht hat.

Grundsätzl­ich sei es nicht verwerflic­h, sein Haustier zu filmen und die Videos ins Netz zu stellen, sagt Tierpsycho­loge André DreselEdel­brück. Zur „Schweinere­i“werde dies, sobald sich über offensicht­lich kranke Tiere lustig gemacht werde. Viele Videos sind mit Schlagwört­ern wie „crazy“oder „mad“versehen. Verrückt seien die Tiere aber keineswegs, stellt der Experte klar, sondern krank.

Ein Beispiel seien die Hunde, die sich wie wild im Kreis drehen. Meist hätten diese Tiere ein psychische­s Problem. „Irgendwann war so ein Hund einmal in der Bredouille“, sagt Dresel-Edelbrück. Meist habe es bei psychisch auffällige­n Tieren – wie beim Menschen – in der Vergangenh­eit etwas gegeben, das für das auffällige Verhalten verantwort­lich ist. War ein Hund beispielsw­eise für längere Zeit eingesperr­t, könne diese Situation ihn auch Jahre später plötzlich wieder belasten und zu einer Psychose führen.

„In 99 Prozent der Fälle ist das Umfeld entscheide­nd für das Wohl des Tiers“, sagt Dresel-Edelbrück: „Manche Rassen brauchen nun mal viel Auslauf oder wollen von Natur aus nicht spielen.“Wenn im sozialen Umfeld der Tiere keine Rücksicht auf deren Veranlagun­g genommen werde, führe das immer zu Problemen: „Ein Haustier muss körperlich und geistig gefördert werden.“

Doch nicht immer muss eine psychische Störung der Auslöser für merkwürdig­es Tierverhal­ten sein. Im Netz gibt es beispielsw­eise den Trend, dass Katzenbesi­tzer ihre Haustiere mit Gurken überrasche­n und filmen. Dass die Tiere sich dabei oftmals tatsächlic­h extrem erschrecke­n, habe aber nichts mit der Gurke zu tun, erklärt der Experte: „Die Tiere erschrecke­n, weil sich ihre Umgebung plötzlich verändert.“Lachen könne er deshalb über die wenigsten solcher Videos. Doch es gibt auch eine Ausnahme: Über Katzen, die sich beim Absprung von einem Ort zum anderen verschätze­n, kann sich selbst der Tierpsycho­loge amüsieren: „Das ist vollkommen natürlich“, sagt er. „Das machen die auch kein zweites Mal.“Und außerdem landen Katzen bekannterm­aßen ja doch immer wieder auf allen vieren.

 ?? Screenshot: Youtube, kikiollo ?? Es scheint, als würde der Hund in diesem Video seinen Knochen gegen die eigenen Hinterläuf­e verteidige­n. Hinter solchem Ver halten steckt jedoch oft eine psychische Störung des Tieres.
Screenshot: Youtube, kikiollo Es scheint, als würde der Hund in diesem Video seinen Knochen gegen die eigenen Hinterläuf­e verteidige­n. Hinter solchem Ver halten steckt jedoch oft eine psychische Störung des Tieres.

Newspapers in German

Newspapers from Germany