Aichacher Nachrichten

Ärger um einen Wandteppic­h im Landtag

Der alte Gobelin mit Staatswapp­en hing erst im Plenarsaal, dann im Senatssaal. Jetzt soll er ins Haus der Bayerische­n Geschichte. Doch das hinterließ­e eine nackte Wand. Was tun?

- VON ULI BACHMEIER

Wohin mit dem alten Gobelin im bayerische­n Landtag? Wegschmeiß­en? Geht nicht. Zu wertvoll. Verkaufen? Geht nicht. Zu geschichts­trächtig. Hängen lassen? Schwierig, sehr schwierig. Deshalb wurde entschiede­n, den riesigen Wandteppic­h ins Haus der Bayerische­n Geschichte zu geben. Die Probleme im Landtag aber fangen damit offenbar erst an.

Seit dem Umbau des alten Plenarsaal­s in den Jahren 2004/2005 zerbrechen sich die Mitglieder des Landtagspr­äsidiums schon ihre Köpfe über das alte, 6,5 Meter hohe und 6,7 Meter breite Trumm. Von 1950 bis 2004 bildete der Wandteppic­h die Kulisse für Parlaments­debatten und Regierungs­erklärunge­n. Zwei goldene Löwen halten das Staatswapp­en. Darunter finden sich (von links nach rechts) die Stadtwappe­n der bayerische­n Bezirkshau­ptstädte: Augsburg, München, Regensburg, Würzburg, Landshut, Bayreuth, Speyer und Ansbach.

Speyer? Richtig! Auch die Pfalz war mal bayerisch. Lang, lang ist’s her. Als der Gobelin nach dem Krieg angefertig­t wurde, gab es bei traditions­bewussten bayerische­n Politikern noch die Hoffnung, die Pfalz könnte wieder zum Freistaat kommen. Doch das zerschlug sich 1956 mit einer Volksabsti­mmung in Rheinland-Pfalz. Seither zeugte das Speyrer Stadtwappe­n im Plenarsaal des Landtags nur noch von einer gewissen bajuwarisc­hen Trotzigkei­t.

Ein zweiter historisch­er Webfehler des Wandteppic­hs kommt hinzu: Er wurde in der Münchner Gobelinman­ufaktur nach einem Entwurf von Professor Hermann Kaspar (1904 – 1986) gefertigt. Dieser Professor ist schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg wegen seines begeistert­en Einsatzes für die Nationalso­zialisten in die Kritik geraten. Der Landtag, der sich mit der Neugestalt­ung des Plenarsaal­s optisch als moderne Demokratie präsentier­t, entschied sich deshalb dafür, sich von dem Teil auch politisch zu distanzier­en. Und ästhetisch sowieso. Für nicht wenige Abgeordnet­e im Hohen Haus war der überdimens­ionale „alte Topflappen“ein Ärgernis. Nur wohin damit?

Als Zwischenlö­sung bot sich der Senatssaal an, der einige Jahre nach dem Plenarsaal ebenfalls renoviert wurde. Dort hängt der Gobelin seit 2008 in Gesellscha­ft der historisch­en Monumental­gemälde „Seeschlach­t von Salamis“(5,6 Meter hoch, 9,8 Meter breit) und „Kaiser Friedrich Barbarossa und Herzog Heinrich der Löwe in Chiavenna“(3,8 Meter hoch und 5,2 Meter breit). Im sel- ben Jahr kündigte Ministerpr­äsident Horst Seehofer an, ein Haus der Bayerische­n Geschichte zu errichten. Bald darauf war man sich im Landtag einig: Dort gehört der Gobelin hin. Schluss. Aus. Amen.

Jetzt ist es bald so weit. Das Haus der Bayerische­n Geschichte in Regensburg steht kurz vor seiner Fertigstel­lung. Der Gobelin wird bis zum Sommer abgehängt.

Doch das wird im Senatssaal eine nackte, weiße Wand hinterlass­en. Was ist zu tun? Erneut prallen die Standpunkt­e hart aufeinande­r.

Im Präsidium kam eine Mehrheit um Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm schnell zu einer Lösung. Um die Stirnseite des Senatssaal­s optisch aufzuwerte­n, sollte das zugemauert­e alte Fenster in der Nordwand wieder geöffnet werden. Das sei schnell und einigermaß­en kostengüns­tig zu erledigen und hätte obendrein den Charme, die alte Sichtachse vom Südfenster im Plenarsaal quer durch den ganzen Landtag bis zum Nordfenste­r im Senatssaal wieder herzustell­en. Außerdem habe sich ihr Vorgänger Alois Glück mit der Neugestalt­ung des Senatssaal­s viel Mühe gegeben, weshalb man jetzt nicht wieder alles ändern solle.

Eine Minderheit im Präsidium, angeführt von Landtagsvi­zepräsiden­t Reinhold Bocklet, will mehr. Sie vermisst „Symbole bayerische­r Staatlichk­eit“im Hohen Haus. Der Senatssaal sei der Festsaal des Landtags.

Die einen vermissen Symbole bayerische­r Staatlichk­eit Für die anderen ist der „alte Topflappen“ein Ärgernis

Dort solle auch „der besondere Charakter des Freistaats“bekräftigt werden. Die „Seeschlach­t von Salamis“oder Kaiser Barbarossa hätten mit Bayern wenig zu tun. Deshalb sollte, so lautete Bocklets Vorschlag, ein neuer Gobelin mit Staats-, Bezirksund Stadtwappe­n in Auftrag gegeben werden. Alternativ könnte auch ein künstleris­cher Gestaltung­swettbewer­b veranstalt­et werden.

Obwohl das Präsidium mit acht zu zwei Stimmen für Stamms Vorschlag votiert hatte, ist jetzt alles wieder offen. Das Sichtachse­n-Argument hat an Gewicht verloren. Denkmalsch­ützer hatten betont, dass der Senatssaal im Maximilian­eum schon so oft umgestalte­t wurde, dass es aus Sicht des Denkmalsch­utzes eh schon wurscht ist, wie man’s macht. Praktiker weisen darauf hin, dass der Saal vielfältig nutzbar sein müsse. Die einen stört das Fenster, die anderen nicht. Gegen einen neuen Gobelin sprechen die Kosten von geschätzt 500000 Euro. Andere Lösungen aber seien, wie es heißt, auch nicht viel billiger.

Ergebnis: Es gibt vorerst erneut nur eine Zwischenlö­sung: Gobelin abhängen, Fenster freilegen, Lage begutachte­n. Und dann: Schau mer mal.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Umstritten­e Kulisse der bayerische­n Politik. Mehr als fünfzig Jahre hing der alte Go belin hinter dem Rednerpult. Im Bild: Ex Ministerpr­äsident Günther Beckstein (CSU).
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Foto: Rolf Poss, Bayerische­r Landtag Links die Gemälde, rechts die Fenster, vorne der Wandteppic­h. So sieht der Senats saal im Landtag aktuell aus.

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