Aichacher Nachrichten

Ein Gefängnis Chef auf dem Weg in die Freiheit

Thomas Galli arbeitet rund 15 Jahre in Haftanstal­ten. Bis er erkennt, dass er seine Gefangenen am liebsten alle freilassen würde. Der Familienva­ter gibt den sicheren Beamtenjob auf – und kehrt zurück in seine Heimat

- VON JÖRG HEINZLE

Er ist jetzt frei. Thomas Galli sitzt in einem Büro in der Bahnhofstr­aße. Die Möbel sind neu, die Wände frisch gestrichen, im Flur stehen noch Umzugskist­en. Rund 15 Jahre hat der Jurist in Gefängniss­en gearbeitet. Zuletzt war er Chef einer Haftanstal­t mit knapp 400 Gefangenen in Sachsen. Doch je länger er hinter Gittern tätig war, um so mehr Zweifel befielen ihn. Irgendwann glaubte er nicht mehr, dass die Haft aus einem Gefangenen einen besseren Menschen machen kann. Als ein TV-Reporter ihn fragte, was er machen würde, wenn er als Knast-Chef freie Hand hätte, lautete seine Antwort: „Die Häftlinge freilassen.“Da wurde ihm klar, dass es an der Zeit ist, den Beruf zu wechseln.

Thomas Galli, 43, ist ganz in Schwarz gekleidet. Hose, Hemd, Sakko. Auf seinem Schreibtis­ch liegen die ersten Akten. Er hat beim Staat gekündigt, hat die Sicherheit, aber auch die Zwänge eines Beamtenleb­ens aufgegeben. Jetzt arbeitet er als Rechtsanwa­lt in Augsburg. Es ist für ihn eine Rückkehr in seine Heimat. Thomas Galli ist hier aufgewachs­en, zur Schule gegangen, hat das Abitur gemacht. Anfang der 1990er Jahre ging er nach Regensburg zum Studieren. In Amberg arbeitete er zum ersten Mal im Gefängnis, später bekam er es als Abteilungs­leiter in der JVA in Straubing mit den besonders „harten Jungs“zu tun. Vor allem Schwerverb­recher sitzen dort ein.

Er traf in den Gefängniss­en auf Mörder und Vergewalti­ger, aber auch auf viele Kleinkrimi­nelle und Drogensüch­tige. Seine Erkenntnis ist: „Wir machen uns etwas vor, wenn wir meinen, dass das Gefängnis etwas Positives bewirken kann. Das Gegenteil ist leider der Fall.“Viele Täter, ist er überzeugt, sind nach der Haftstrafe gefährlich­er als vorher. Die Rückfallge­fahr steige eher. „Die allgemeine Wut auf einen Täter wird durch eine harte Strafe zwar beruhigt“, sagt Thomas Galli. „Aber wenn er wieder rauskommt, hat er noch weniger Chancen und sein Freundeskr­eis besteht nur noch aus Straftäter­n.“Zwar gebe es viele Therapiean­gebote, etwa für Sexualstra­ftäter oder Schläger. Der Aufwand, der dafür betrieben werde, sei groß. Doch die Therapien fänden in der künstliche­n Umgebung der Haftanstal­t statt. Mit dem Leben draußen habe das nichts zu tun.

Thomas Galli hat ein Buch geschriebe­n, in dem er Schicksale von Häftlingen erzählt. In „Die Schwere der Schuld“geht es um einen Mörder, der sich nach über 20 Jahren hinter Gittern irgendwann umbringt, weil er keine Perspektiv­e mehr für sich sieht. Galli erzählt, wie ein notorische­r Betrüger eine junge Gefängnisp­sychologin dazu bringt, mit ihm zu schlafen. Sie wird schwanger. Er berichtet von einem jungen Russlandde­utschen, der hinter Gittern die grausame Rache der Russenmafi­a zu spüren bekommt. Der Staat kann den jungen Mann nicht schützen. Es sind alles Geschichte­n, die Thomas Galli so oder ähnlich bei seiner Arbeit hinter Gittern erlebt hat. Allerdings hat er die Fälle etwas verfremdet, damit die Betroffene­n anonym bleiben.

Sein Buch machte im vorigen Jahr eine Menge Schlagzeil­en. Er wurde oft interviewt und in Talkrunden eingeladen. Thomas Galli galt fortan als der „Gefängnisc­hef, der die Gefängniss­e abschaffen will“. Tatsächlic­h meint er, dass es besser wäre, 90 Prozent der Straftäter nicht einzusperr­en. Er plädiert stattdesse­n für Hausarrest, für elektronis­che Fußfesseln und vor allem für gemeinnütz­ige Arbeit als Strafe. So könnten Täter besser in die Gesellscha­ft eingeglied­ert werden. Für jene, bei denen das aussichtsl­os erscheint, will aber auch er keine Freiheit. Da ist er sogar besonders strikt. Schwerverb­recher, von denen eine dauerhafte, große Gefahr ausgeht, müssten für immer eingesperr­t werden, meint er. Bisher hat in Deutschlan­d jeder Straftäter, egal wie schlimm sein Verbrechen war, die Chance, irgendwann wieder frei zu kommen. Er braucht dazu positive Gutachten von Psychiater­n. Thomas Galli, der während seiner Arbeit im Strafvollz­ug auch noch Psychologi­e und Kriminolog­ie studiert hat, hält von diesen Gutachten und von den Prognosen zur Gefährlich­keit eines Täters nicht viel. „In den meisten Fällen könnte man genauso gut eine Münze werfen“, sagt er. Er plädiert deshalb für von der Außenwelt abgetrennt­e Unterkünft­e, in denen diese Täter den Rest des Lebens verbringen müssten. Aber menschenwü­rdig, nicht in Knast-Atmosphäre.

Thomas Galli hat lange nachgedach­t, bis sein Entschluss feststand, den sicheren Beamtenjob zu kündigen. Es ist auch ein Risiko. Er ist verheirate­t, hat drei Kinder. Niemand habe ihn aufgeforde­rt, wegen seiner unbequemen Ansichten den

Ihm fehlte das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun

Dienst beim Staat zu quittieren, sagt er. Er brauche bei seiner Arbeit aber das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Im Gefängnis hatte er dieses Gefühl am Ende nicht mehr.

Jetzt will er sich als Rechtsanwa­lt darum bemühen, dass Täter, wenn sie verurteilt werden, eine Strafe bekommen, die sinnvoll ist. Gerade im Jugendstra­frecht könne man da viel erreichen, sagt er. „Man muss so früh wie möglich eingreifen. Fast jeder Täter, den ich kennen gelernt habe, hatte als Kind ein großes Problem in seiner Familie.“Er will sich als Anwalt zudem mit Flüchtling­en und dem Asylrecht beschäftig­en. Auch das Beamtenrec­ht liegt ihm. Schließlic­h war er als Gefängnisl­eiter auch der Chef eines Apparats mit über 100 Beschäftig­ten.

Und er will weiter Bücher schreiben: Über Täter, deren Schuld und wie die Gesellscha­ft damit umgehen sollte. In seinem zweiten Buch, das gerade erschienen ist, beschreibt er die Fälle von mehreren Schwerverb­rechern. Und er geht den Fragen nach, die ihn ständig umtreiben: Wann gilt ein Täter als gefährlich? Was sollte man mit ihm tun? Thomas Galli hat noch eine Menge zu sagen. Und er ist jetzt frei, das auch zu tun.

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Foto: Silvio Wyszengrad Thomas Galli war als Gefängnis Chef verantwort­lich für fast 400 Gefangene – doch von Haftstrafe­n hält er seither nichts mehr. Er sagt: „Das Gefängnis macht es meist nur noch schlimmer.“Jetzt steht er Straftäter­n als Anwalt zur Seite.
 ??  ?? Info Thomas Gallis neues Buch mit dem Titel „Die Gefährlich­keit des Täters“ist er schienen im Verlag Das Neue Berlin (ISBN 978 3 360 01318 7). Das Buch kostet 12,99 Euro.
Info Thomas Gallis neues Buch mit dem Titel „Die Gefährlich­keit des Täters“ist er schienen im Verlag Das Neue Berlin (ISBN 978 3 360 01318 7). Das Buch kostet 12,99 Euro.

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