Das Wertinger Radiomuseum „empfängt“
In einem ehemaligen Gebäude der Hitlerjugend in Wertingen sind zahllose aufregende Geräte zu finden, die viel über Zeitgeist verraten. So zum Beispiel die „Eule“, die „Sonnenblume“oder die „Goebbelsschnauze“
Wer durch die Reihen des Wertinger Radiomuseums schlendert, kommt kaum umhin, harsch ermahnt zu werden. Nicht etwa von den Ehrenamtlichen, die durch das Museum führen. Sondern von einem kleinen, orangefarbenen Hinweisschild, das an einem der Geräte hängt. „Denke daran!“, heißt es dort. „Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet!“Otto Killensberger zeigt auf das schlichte, kleine Gerät mit Bakelitgehäuse. Die „Goebbelsschnauze.“
Liebhaber alter Radios wie Killensberger erfinden gerne mehr oder weniger liebgemeinte Spitznamen für die Modelle, von denen rund 700 im Wertinger Radiomuseum ausstehen. Da gibt es die „Sonnenblume“der Firma Nora, den „Katzenkopf“von Telefunken oder die „Eule“von Akkord Radio. Mit dem VE301, Volksempfänger oder eben „Goebbelsschnauze“genannt, verbindet das Museum quasi die Herkunft. Während das Volk anno 1940 durch das Gerät alternative Fakten aus dem Propagandaministerium der Nazis empfing, wurde das Gebäude zu einem ähnlichen Zweck in Wertingen erbaut – es sollte der Hitlerjugend als Lehrstätte dienen.
Wer heute das Museum betritt, begibt sich auf eine Zeitreise, in der nicht nur Technikfans auf ihre Kosten kommen. Vielmehr ist das Museum ein Ort, der das Lebensgefühl längst vergangener Zeiten einfängt. Von den 20er-Jahren, als die damals revolutionäre Technik die Massen vor dem Radio zusammenbrachte, zeugen noch zahlreiche Originalplakate. Auf diesen sitzen rauchende Männer und hören zu, was die „vorbildlichen Hausfrauen“über Sanella-Margarine zu sagen haben.
Auch Musik aus dieser Zeit kann man im Radiomuseum hören. In einem Nebenraum sitzt Bernd Schmid. Mehr als 25 Jahre Erfahrung im Amateurrundfunk kann der Mann aus Laugna verbuchen. Seit 2016 sendet er auf Mittelwelle, 801 kHz aus dem Radiomuseum heraus. Einen Raum weiter macht sein Kollege Willi Kempter das älteste funktionierende Radio des Museums an, den „Eumig“von 1929. Ein fröhlicher Gassenhauer aus den 20ern ertönt. Die Klangqualität lässt, vorsichtig ausgedrückt, zu wünschen übrig. Blechern und flach leiert die Stimme aus dem Blechkasten. „Das können wir aber noch unterbieten“, sagt Willi Kempter und lacht.
Und dazu braucht er nicht einmal Strom. Im Nebenzimmer stehen die Urgroßväter der modernen Empfangstechnik: Radiodetektoren, teilweise über 100 Jahre alt. Kleine, dicke Holzplatten, mit allerlei Spulen und Knöpfen ausgestattet – und Anschlüssen für Kopfhörer. Kempter setzt sich ein Paar auf, dreht einige Minuten an den Knöpfen. Dann grinst er zufrieden, er hat die Frequenz des Museumssenders gefunden, er reicht das Paar weiter. Die Musik ist von miserabler Qualität, aber deutlich zu hören.
Neben zahllosen Geräten aus den 50er- und 60-Jahren, meist mit edlen Gehäusen aus Holz und riesigen Drehknöpfen versehen, finden sich in den Räumen des Radiomuseums auch viele ungewöhnliche Geräte, die Berühmtes aus der Popkultur darstellen. Der Filmbösewicht Darth Vader kann ebenso die Funkwellen empfangen wie Geräte, die von Coca-Cola-Flaschen kaum zu unterscheiden sind. „Das gefällt den Kindern immer“, sagt Otto Killensberger. Zusätzlich zu den Radios sind auch Telefone und Musikboxen ausgestellt. Mittlerweile hätten sich die 15 ehrenamtlichen Mitarbeiter des Museums einen Ruf erarbeitet. Längst kämen die Besucher nicht mehr nur aus der nächsten Wertinger Umgebung, das freut ihn sehr.
Zum heutigen Weltradiotag hofft Willi Kempter, dass er mit den Besuchern auch zu einem Thema ins Gespräch kommt, das ihm sehr am Herzen liegt. Denn gegen das klassische, analoge Radio gebe es große Bestrebungen, es abzuschaffen. Viele Sendeanstalten und Politiker sehen die Zukunft in Internet- und Satellitenübertragung, sagt Kempter.
Das Format „DAB+“solle die Zukunft werden – alte Geräte könnten dies nicht mehr empfangen. „Wir wollen aber das klassische Radio zumindest parallel zum Internet erhalten“, sagt er. Wer an der Wichtigkeit des Radios zweifele, solle laut Kempter die Geschichte nicht vergessen.
Als Beispiel nennt er die Widerstandsbewegung in Ungarn während der Besatzung durch die Sowjets. Damals hätte sich die Widerstandsbewegung über selbst gebaute und eingerichtete Radiostationen informiert. Das solle man im Hinterkopf haben, bevor man zu stark auf das Internet setzt. Das könne man einfacher manipulieren oder abschalten als das Radio.