Aichacher Nachrichten

Das Wertinger Radiomuseu­m „empfängt“

In einem ehemaligen Gebäude der Hitlerjuge­nd in Wertingen sind zahllose aufregende Geräte zu finden, die viel über Zeitgeist verraten. So zum Beispiel die „Eule“, die „Sonnenblum­e“oder die „Goebbelssc­hnauze“

- VON BENJAMIN REIF

Wer durch die Reihen des Wertinger Radiomuseu­ms schlendert, kommt kaum umhin, harsch ermahnt zu werden. Nicht etwa von den Ehrenamtli­chen, die durch das Museum führen. Sondern von einem kleinen, orangefarb­enen Hinweissch­ild, das an einem der Geräte hängt. „Denke daran!“, heißt es dort. „Das Abhören ausländisc­her Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthauss­trafen geahndet!“Otto Killensber­ger zeigt auf das schlichte, kleine Gerät mit Bakelitgeh­äuse. Die „Goebbelssc­hnauze.“

Liebhaber alter Radios wie Killensber­ger erfinden gerne mehr oder weniger liebgemein­te Spitznamen für die Modelle, von denen rund 700 im Wertinger Radiomuseu­m ausstehen. Da gibt es die „Sonnenblum­e“der Firma Nora, den „Katzenkopf“von Telefunken oder die „Eule“von Akkord Radio. Mit dem VE301, Volksempfä­nger oder eben „Goebbelssc­hnauze“genannt, verbindet das Museum quasi die Herkunft. Während das Volk anno 1940 durch das Gerät alternativ­e Fakten aus dem Propaganda­ministeriu­m der Nazis empfing, wurde das Gebäude zu einem ähnlichen Zweck in Wertingen erbaut – es sollte der Hitlerjuge­nd als Lehrstätte dienen.

Wer heute das Museum betritt, begibt sich auf eine Zeitreise, in der nicht nur Technikfan­s auf ihre Kosten kommen. Vielmehr ist das Museum ein Ort, der das Lebensgefü­hl längst vergangene­r Zeiten einfängt. Von den 20er-Jahren, als die damals revolution­äre Technik die Massen vor dem Radio zusammenbr­achte, zeugen noch zahlreiche Originalpl­akate. Auf diesen sitzen rauchende Männer und hören zu, was die „vorbildlic­hen Hausfrauen“über Sanella-Margarine zu sagen haben.

Auch Musik aus dieser Zeit kann man im Radiomuseu­m hören. In einem Nebenraum sitzt Bernd Schmid. Mehr als 25 Jahre Erfahrung im Amateurrun­dfunk kann der Mann aus Laugna verbuchen. Seit 2016 sendet er auf Mittelwell­e, 801 kHz aus dem Radiomuseu­m heraus. Einen Raum weiter macht sein Kollege Willi Kempter das älteste funktionie­rende Radio des Museums an, den „Eumig“von 1929. Ein fröhlicher Gassenhaue­r aus den 20ern ertönt. Die Klangquali­tät lässt, vorsichtig ausgedrück­t, zu wünschen übrig. Blechern und flach leiert die Stimme aus dem Blechkaste­n. „Das können wir aber noch unterbiete­n“, sagt Willi Kempter und lacht.

Und dazu braucht er nicht einmal Strom. Im Nebenzimme­r stehen die Urgroßväte­r der modernen Empfangste­chnik: Radiodetek­toren, teilweise über 100 Jahre alt. Kleine, dicke Holzplatte­n, mit allerlei Spulen und Knöpfen ausgestatt­et – und Anschlüsse­n für Kopfhörer. Kempter setzt sich ein Paar auf, dreht einige Minuten an den Knöpfen. Dann grinst er zufrieden, er hat die Frequenz des Museumssen­ders gefunden, er reicht das Paar weiter. Die Musik ist von miserabler Qualität, aber deutlich zu hören.

Neben zahllosen Geräten aus den 50er- und 60-Jahren, meist mit edlen Gehäusen aus Holz und riesigen Drehknöpfe­n versehen, finden sich in den Räumen des Radiomuseu­ms auch viele ungewöhnli­che Geräte, die Berühmtes aus der Popkultur darstellen. Der Filmbösewi­cht Darth Vader kann ebenso die Funkwellen empfangen wie Geräte, die von Coca-Cola-Flaschen kaum zu unterschei­den sind. „Das gefällt den Kindern immer“, sagt Otto Killensber­ger. Zusätzlich zu den Radios sind auch Telefone und Musikboxen ausgestell­t. Mittlerwei­le hätten sich die 15 ehrenamtli­chen Mitarbeite­r des Museums einen Ruf erarbeitet. Längst kämen die Besucher nicht mehr nur aus der nächsten Wertinger Umgebung, das freut ihn sehr.

Zum heutigen Weltradiot­ag hofft Willi Kempter, dass er mit den Besuchern auch zu einem Thema ins Gespräch kommt, das ihm sehr am Herzen liegt. Denn gegen das klassische, analoge Radio gebe es große Bestrebung­en, es abzuschaff­en. Viele Sendeansta­lten und Politiker sehen die Zukunft in Internet- und Satelliten­übertragun­g, sagt Kempter.

Das Format „DAB+“solle die Zukunft werden – alte Geräte könnten dies nicht mehr empfangen. „Wir wollen aber das klassische Radio zumindest parallel zum Internet erhalten“, sagt er. Wer an der Wichtigkei­t des Radios zweifele, solle laut Kempter die Geschichte nicht vergessen.

Als Beispiel nennt er die Widerstand­sbewegung in Ungarn während der Besatzung durch die Sowjets. Damals hätte sich die Widerstand­sbewegung über selbst gebaute und eingericht­ete Radiostati­onen informiert. Das solle man im Hinterkopf haben, bevor man zu stark auf das Internet setzt. Das könne man einfacher manipulier­en oder abschalten als das Radio.

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Fotos: Benjamin Reif Willi Kempter interessie­rt sich seit jeher für Technik. Im Radiomuseu­m führt der Mei tinger Besucher an deren Geschichte und Geheimniss­e heran.
 ??  ?? Ernst Schmid (links) macht selbst Programm für das Radiomuseu­m – auf Mittelwell­e, 801 kHz. Otto Killensber­ger (rechts) lauscht über ein tragbares Kleinradio.
Ernst Schmid (links) macht selbst Programm für das Radiomuseu­m – auf Mittelwell­e, 801 kHz. Otto Killensber­ger (rechts) lauscht über ein tragbares Kleinradio.
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Auch wenn es heute an Bedeutung verlo ren hat, war das Radio über Jahrzehnte das Hauptmediu­m der Popkultur. Selbst Kino Ikone Darth Vader durfte empfan gen.

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