Liberal, feministisch und stets unbequem
Deutschlands erste Frauenministerin Rita Süssmuth hatte immer ihren eigenen Kopf. Das machte sie in der CDU oft unbeliebt. Warum sie trotzdem ihren Weg gegangen ist
Womöglich war Rita Süssmuth ihrer Zeit zu weit voraus. Vielleicht hätte sie 20, 30 Jahre später ihre ehrgeizigen politischen Vorhaben einfacher umsetzen können. Oft hat sich die langjährige Bundestagspräsidentin mit ihrer CDU angelegt. So oft, dass sich so mancher wundert, warum sie der Partei bis heute treu geblieben ist.
Als Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit im Kabinett Kohl führte sie das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub ein. Später forderte sie eine Frauenquote für die Union und warb für eine liberale Einwanderungspolitik. Schnell stellten sich Teile der CDU gegen sie. Zum Schweigen bringen konnten sie Süssmuth nicht. Wie auch?
Parteipolitische Überlegungen standen für die selbstbewusste Frau, die heute ihren 80. Geburtstag feiert, höchstens an zweiter Stelle. Viel bekommen hat sie von den Eltern. Schon ihre Mutter sei eine temperamentvolle Frau gewesen, erinnert sich Süssmuth. Mehr geprägt habe sie allerdings ihr Vater. Wichtig war für sie ein Satz, den ihr Vater ihr schon als Kind mitgegeben hatte. „Prüfe immer, ob der andere nicht auch recht haben kann“, schärfte der Lehrer seiner Tochter ein. Daran hielt sich Süssmuth. Trotzdem eckte sie an. Vor allem in der CDU.
Nicht immer sei sie eine Kämpferin gewesen, hat Süssmuth einmal gesagt. Erst mit 30 Jahren sei sie zu einer geworden. Da hatte die gebürtige Wuppertalerin schon den Zweiten Weltkrieg überlebt, Romanistik und Geschichte in Münster, Tübingen und Paris studiert, eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen und einen Historiker geheiratet. Das Paar hat eine Tochter. Mit 34 Jahren wurde Süssmuth Professorin für Erziehungswissenschaften, mit 45 Direktorin des Forschungsinstituts „Frau und Gesellschaft“. Mit 48 holte Kanzler Kohl sie in sein Kabinett. Süssmuth hatte sich 1981 den Christdemokraten angeschlossen. Der liberale Kurs des Generalsekretärs Heiner Geißler hatte sie dazu bewogen. „Er war ein echter Anwalt der Frauen! Endlich wurde in der CDU auch über Gleichberechtigung, Pflege und Kinderbetreuung diskutiert“, schwärmte Süssmuth noch Jahre später. Doch der konservative Flügel schlug zurück. Als Familienund Frauenministerin rieb Süssmuth sich auf. 1988 wurde sie Bundestagspräsidentin. Zehn Jahre behielt sie dieses Amt.
Zwei Aktionen Süssmuths erzürnten ihre Partei besonders. 1989 beteiligte sie sich am erfolglosen Putschversuch Geißlers gegen Kohl. 2000 leitete sie eine Kommission, die Deutschland eine aktivere Zuwanderungspolitik empfahl. Konservative Parteikollegen waren entsetzt. 2002 schied Süssmuth aus dem Bundestag aus. Danach übernahm Merkels CDU viele ihrer Positionen. Für Frauen- und Flüchtlingsrechte setzt sich Süssmuth noch heute ein. Andreas Baumer