Aichacher Nachrichten

Polizist wimmelt Jungen am Notruf ab

Ein 16-Jähriger wird bedroht und wählt die 110. Der Beamte am Telefon sagt, es sei keine Streife frei. Eine Lüge, wie sich vor Gericht zeigt. Polizisten in Augsburg waren einsatzber­eit

- VON JÖRG HEINZLE

Der junge Mann, der sich am Nachmittag des 29. März 2016 beim Notruf der Augsburger Polizei meldet, spricht in einem ruhigen Ton. Er nennt seinen vollen Namen. Er gibt an, er werde bedroht. Und er bittet, dass die Polizei kommt. Doch der Beamte am Notruf nimmt den 16-jährigen Anrufer nicht ernst. Er behauptet, es sei keine Streife frei – obwohl das Gegenteil der Fall ist. Für den Jungen endet das schmerzhaf­t: Er wird von mehreren Jugendlich­en brutal verprügelt, wochenlang leidet er unter Schmerzen.

Nun, ein knappes Jahr später, wird der Notrufbeam­te, ein 53-jähriger Hauptkommi­ssar, vom Augsburger Amtsgerich­t zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Das Gericht bewertet das Fehlverhal­ten des Polizisten als vorsätzlic­he Körperverl­etzung im Amt. Richterin Ute Bernhard sagt, der Polizeibea­mte habe zwar nicht gewollt, dass der Jugendlich­e geschlagen wird. Er habe das aber „billigend in Kauf genommen“. Das Ansehen der Polizei habe dadurch enorm gelitten.

Der Notruf über die Nummer 110 geht um 15.38 Uhr in der Einsatzzen­trale des Polizeiprä­sidiums ein. Das Gespräch dauert gut zwei Minuten. Es ist das wichtigste Beweismitt­el. Jeder Notruf wird drei Monate lang gespeicher­t. So hatten auch die internen Ermittler des Landeskrim­inalamtes, die den Fall untersuche­n, darauf Zugriff. Die Tonaufnahm­e ist für den erfahrenen Polizisten wenig schmeichel­haft.

Er fragt nicht weiter nach, wo der Jugendlich­e sich eigentlich befindet. Er rät ihm nur, einfach wegzugehen, dann gebe es auch keinen Ärger. Als der Jugendlich­e sagt, das sei nicht möglich, die anderen würden ihm hinterherl­aufen, nimmt der Beamte das nicht ernst. Ebenso wenig wie den Hinweis des Jungen, dass sein Freund bereits geschlagen worden sei. Er rät dem Jungen, einfach zur nächsten Polizeiwac­he zu gehen. Der 16-Jährige ist zu der Zeit mit seinem Freund auf einem Skaterplat­z in der Augsburger Umlandgeme­inde Stadtberge­n. Zum nächsten Revier im Augsburger Stadtteil Pfersee sind es rund 30 Minuten Fußmarsch. Der Beamte wimmelt den Anrufer schließlic­h damit ab, dass keine Streife verfügbar sei und es bestimmt eine halbe Stunde daure, bis ein Streifenwa­gen da wäre.

Doch das ist nach Ansicht der Richterin gelogen. Eine Streifenbe­satzung ist zu der Zeit einsatzber­eit auf der Wache. Die Beamten könnten sofort los. Das sieht der Notrufbeam­te auf seinem Computer. Eine zweite Streife kümmert sich um ein Verkehrsde­likt. Auch diese Polizisten könnten jederzeit dort weg. Vor Gericht räumt der angeklagte Beamte ein, dass sein Verhalten falsch und „unprofessi­onell“war. Und er gibt zu: „Die Geschichte tut mit leid und ist mir total peinlich.“Er habe die Lage nicht ernst genommen, weil der Junge so ruhig geklungen habe. Er habe ihm irgendwann gar nicht mehr zugehört. Es habe zu der Zeit noch weitere Beschwerde­n über sein Verhalten am Notruf gegeben. Er sei leicht reizbar und aufbrausen­d gewesen. Er sei deshalb nun wöchentlic­h beim psychologi­schen Dienst der Polizei und arbeite das auf. Am Notruf arbeite er derzeit nicht mehr. Der Polizeibea­mte hat sich inzwischen bei dem Jugendlich­en entschuldi­gt. Er zahlt ihm 500 Euro Schmerzens­geld.

Der Jugendlich­e sagt, sein Vertrauen in die Polizei habe massiv gelitten. Er habe an den Spruch vom „Freund und Helfer“geglaubt – bis er so im Stich gelassen wurde. Er habe einige Zeit schlecht geschlafen aus Angst, es könne erneut so etwas passieren. Der Anwalt des Polizisten unterstell­t dem Jungen im Prozess, er habe sich mit den anderen Jugendlich­en zu einer „verabredet­en Schlägerei“getroffen und davon beim Notruf nichts gesagt. Damit sorgt er für Kopfschütt­eln im Saal – auch bei den Eltern des verprügelt­en Jungen. Denn tatsächlic­h war es ein zufälliges Aufeinande­rtreffen.

Gegen das Urteil kann der Beamte in Berufung gehen. Bleibt es beim nun verhängten Strafmaß, wird die Strafe ins Führungsze­ugnis eingetrage­n. Zudem droht dem Beamten ein Disziplina­rverfahren. Bald sollen sich in einem weiteren Prozess auch die drei Jugendlich­en verantwort­en, die auf dem Skaterplat­z zugeschlag­en haben. Sie sind alle wegen Körperverl­etzung angeklagt.

Er glaubt nicht mehr an den „Freund und Helfer“

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