Streit um Brustimplantate geht weiter
Tausende Frauen leiden unter minderwertigen Silikonkissen, deren Herstellung der TÜV Rheinland prüfte. Sie fordern Schmerzensgeld. Nach einem Urteil müssen sie weiter bangen
Ihr Unglück begann, als sie sich Implantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (Pip) in die Brüste setzen ließ, sagt eine 49-jährige Deutsche. Mit ihrer Gesundheit ging es bergab, sie bekam Muskelprobleme, hatte erhöhte Tumorwerte und schließlich bekam sie Depressionen, erzählt die Frau. Heute ist sie arbeitslos, auch ihr Erspartes sei futsch. Ihr Beispiel ist nur eines von vielen. Und so wartete sie, wie viele ihrer Leidensgenossinen, gestern gespannt auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das darüber entscheiden sollte, ob die Betroffenen Schmerzensgeld vom TÜV Rheinland verlangen können.
Der Prüfverein hatte das Qualitätssicherungssystem bei der Herstellung der Implantate geprüft und überwacht. Weil die Implantate aber extrem reißanfällig und undicht waren und zudem mit BilligSilikon gefüllt, verlangen viele Frauen nun Schmerzensgeld vom TÜV. Ihre Argumentation: Der TÜV Rheinland hätte keine unangekündigten Inspektionen bei Pip durchgeführt und auch die Implantate selbst nicht geprüft. Wäre das geschehen, wäre der Pfusch sofort aufgeflogen, sagen sie.
Der Prüfverein hatte nach eige- nen Angaben nie Hinweise darauf gefunden, dass das Unternehmen über Jahre minderwertiges Silikon in die Kissen gefüllt hatte. Beim mittlerweile insolventen Unternehmen Pip selbst ist kein Geld zu holen, daher richten sich die Hoffnungen der Klägerinnen auf den TÜV.
Der Bundesgerichtshof hatte dem EuGH die Fragen zur Auslegung europäischer Vorgaben bei der Kontrolle von Medizinprodukten, zu denen auch Silikonimplantate ge- hören, vorgelegt. Denn dort soll über die Klage einer Frau aus der Pfalz entschieden werden. Auch sie wirft dem TÜV Rheinland vor, das Unternehmen Pip nicht ausreichend überwacht zu haben, und verlangt 40 000 Euro Schmerzensgeld.
Die europäischen Richter schlossen sich dieser Argumentation nicht an. Sie entschieden gestern, dass Überraschungsbesuche in den Betriebsstätten und Produktprüfungen nicht verpflichtend sind. Nur wenn Hinweise darauf vorliegen, dass ein Medizinprodukt die vorgeschriebenen Anforderungen nicht erfüllt, müssten „alle erforderlichen Maßnahmen“ergriffen werden.
Viele Betroffene waren nach dem Richterspruch enttäuscht. Der TÜV Rheinland nimmt das Urteil entspannt auf. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Urteil und sehen uns in den entscheidenden Punkten bestätigt“, hieß es von dort. Bei den Überwachungsmaßnahmen habe sich der TÜV Rheinland stets an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten. Überraschungsbesuche und Produkttests seien nicht vorgeschrieben.
In einem anderen Punkt macht der EuGH den klagenden Frauen aber Hoffnung: Der EuGH schließt nicht aus, dass Prüfstellen von Medizinprodukten – wie der TÜV – unter bestimmten Bedingungen gegenüber Patienten haftbar sein können. Auch diese Frage war bislang strittig. Hätten die Richter diese Haftung grundsätzlich verneint, wären im Pip-Skandal Klagen von Frauen gegen den TÜV automatisch zum Scheitern verurteilt gewesen. Nun müssen nationale Gerichte entscheiden, ob der TÜV Pflichten verletzt hat. Das Tauziehen geht also weiter. (dpa)