Theodor Fontane – Effi Briest (40)
Crampas sprach sein Bedauern aus, vielleicht nur, um was zu sagen, vielleicht aber auch aufrichtig, denn so rücksichtslos er im Punkte chevaleresker Liebesabenteuer war, so sehr war er auch wieder guter Kamerad. Natürlich alles ganz oberflächlich. Einem Freunde helfen und fünf Minuten später ihn betrügen, das waren Dinge, die sich mit seinem Ehrbegriff sehr wohl vertrugen. Er tat das eine und das andere mit unglaublicher Bonhomie.
Der Ritt ging wie gewöhnlich durch die Plantage hin. Rollo war wieder vorauf, dann kamen Crampas und Effi, dann Kruse. Knut fehlte. „Wo haben Sie Knut gelassen?“Er hat einen Ziegenpeter.“„Merkwürdig“, lachte Effi. „Eigentlich sah er schon immer so aus.“
„Sehr richtig. Aber Sie sollten ihn jetzt sehen! Oder doch lieber nicht. Ziegenpeter ist ansteckend, schon bloß durch Anblick.“
„Glaub ich nicht.“
„Junge Frauen glauben vieles nicht.“
„Und dann glauben sie wieder vieles, was sie besser nicht glaubten.“„An meine Adresse?“Nein.“„Schade.“„Wie dies ,schade‘ Sie kleidet. Ich glaube wirklich, Major, Sie hielten es für ganz in Ordnung, wenn ich Ihnen eine Liebeserklärung machte.“
„So weit will ich nicht gehen. Aber ich möchte den sehen, der sich dergleichen nicht wünschte. Gedanken und Wünsche sind zollfrei.“
„Das fragt sich. Und dann ist doch immer noch ein Unterschied zwischen Gedanken und Wünschen. Gedanken sind in der Regel etwas, das noch im Hintergrund liegt, Wünsche aber liegen meist schon auf der Lippe.“
„Nur nicht gerade diesen Vergleich.“
„Ach, Crampas, Sie sind ... Sie sind ...“ „Ein Narr.“„Nein. Auch darin übertreiben Sie wieder. Aber Sie sind etwas anderes. In Hohen-Cremmen sagten wir immer, und ich mit, das Eitelste, was es gäbe, das sei ein Husarenfähnrich von achtzehn ...“„Und jetzt?“„Und jetzt sag ich, das Eitelste, was es gibt, ist ein Landwehrbezirksmajor von zweiundvierzig.“
„... wobei die zwei Jahre, die Sie mir gnädigst erlassen, alles wiedergutmachen – küss’ die Hand.“
„Ja, küss’ die Hand. Das ist so recht das Wort, das für Sie paßt. Das ist wienerisch. Und die Wiener, die hab ich kennengelernt in Karlsbad, vor vier Jahren, wo sie mir vierzehnjährigem Dinge den Hof machten. Was ich da alles gehört habe!“
„Gewiß nicht mehr, als recht war.“
„Wenn das zuträfe, wäre das, was mir schmeicheln soll, ziemlich ungezogen ... Aber sehen Sie da die Bojen, wie die schwimmen und tanzen. Die kleinen roten Fahnen sind eingezogen. Immer wenn ich diesen Sommer die paar Mal, wo ich mich bis an den Strand hinauswagte, die roten Fahnen sah, sagte ich mir: Da liegt Vineta, da muß es liegen, das sind die Turmspitzen ...“
„Das macht, weil Sie das Heinesche Gedicht kennen.“
Welches?“ „Nun, das von Vineta.“„Nein, das kenne ich nicht; ich kenne überhaupt nur wenig. Leider.“
„Und haben doch Gieshübler und den Journalzirkel! Übrigens hat Heine dem Gedicht einen anderen Namen gegeben, ich glaube ,Seegespenst‘ oder so ähnlich. Aber Vineta hat er gemeint. Und er selber – verzeihen Sie, wenn ich Ihnen so ohne weiteres den Inhalt hier wiedergebe –, der Dichter also, während er die Stelle passiert, liegt auf einem Schiffsdeck und sieht hinunter und sieht da schmale, mittelalterliche Straßen und trippelnde Frauen in Kapotthüten, und alle haben ein Gesangbuch in Händen und wollen zur Kirche, und alle Glocken läuten. Und als er das hört, da faßt ihn eine Sehnsucht, auch mit in die Kirche zu gehen, wenn auch bloß um der Kapotthüte willen, und vor Verlangen schreit er auf und will sich hinunterstürzen. Aber im selben Augenblick packt ihn der Kapitän am Bein und ruft ihm zu: ,Doktor, sind Sie des Teufels?“
„Das ist ja allerliebst. Das möcht ich lesen. Ist es lang?“
„Nein, es ist eigentlich kurz, etwas länger als ,Du hast Diamanten und Perlen‘ oder ,Deine weichen Lilienfinger‘ ...“, und er berührte leise ihre Hand. „Aber lang oder kurz, welche Schilderungskraft, welche Anschaulichkeit! Er ist mein Lieblingsdichter, und ich kann ihn auswendig, sowenig ich mir sonst, trotz gelegentlich eigener Versündigungen, aus der Dichterei mache. Bei Heine liegt es aber anders: Alles ist Leben, und vor allem versteht er sich auf die Liebe, die doch die Hauptsache bleibt. Er ist übrigens nicht einseitig darin ...“„Wie meinen Sie das?“„Ich meine, er ist nicht bloß für die Liebe ...“
„Nun, wenn er diese Einseitigkeit auch hätte, das wäre am Ende noch nicht das schlimmste. Wofür ist er denn sonst noch?“
„Er ist auch sehr für das Romantische, was freilich gleich nach der Liebe kommt und nach Meinung einiger sogar damit zusammenfällt. Was ich aber nicht glaube. Denn in seinen späteren Gedichten, die man denn auch die ,romantischen‘ genannt hat, oder eigentlich hat er es selber getan, in diesen romantischen Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings vielfach aus Liebe. Aber doch meist aus anderen gröberen Motiven, wohin ich in erster Reihe die Politik, die fast immer gröblich ist, rechne. Karl Stuart zum Beispiel trägt in einer dieser Romanzen seinen Kopf unterm Arm, und noch fataler ist die Geschichte vom Vitzliputzli ...“
„Von wem?“
„Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli ist nämlich ein mexikanischer Gott, und als die Mexikaner zwanzig oder dreißig Spanier gefangengenommen hatten, mußten diese zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli geopfert werden. Das war da nicht anders, Landessitte, Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen, Bauch auf, Herz raus ...“
„Nein, Crampas, so dürfen Sie nicht weitersprechen. Das ist indezent und degoutant zugleich. Und das alles so ziemlich in demselben Augenblick, wo wir frühstücken wollen.“
„Ich für meine Person sehe mich dadurch unbeeinflußt und stelle meinen Appetit überhaupt nur in Abhängigkeit vom Menü.“
Während dieser Worte waren sie, ganz wie’s das Programm wollte, vom Strand her bis an eine schon halb im Schutz der Dünen aufgeschlagene Bank, mit einem äußerst primitiven Tisch davor, gekommen, zwei Pfosten mit einem Brett darüber. Kruse, der voraufgeritten, hatte hier bereits serviert; Teebrötchen und Aufschnitt von kaltem Braten, dazu Rotwein und neben der Flasche zwei hübsche, zierliche Trinkgläser, klein und mit Goldrand, wie man sie in Badeorten kauft oder von Glashütten als Erinnerung mitbringt. Und nun stieg man ab.