Der Hunger bereitet der Revolution den Boden
Die Französin Louise Patin arbeitet in der russischen Hauptstadt Petrograd als Erzieherin und schreibt: „Traurigkeit bemächtigte sich meiner, als ich die endlosen Schlangen vor den Bäckerläden sah… Die Menge murrte, Streitereien kamen zum Ausbruch, man hatte den unbestimmten Eindruck von Unbehagen und Angst. Man erwartet große Unruhen in den nächsten Wochen, sie haben zum Teil schon angefangen.“
Was sie beschreibt, sind tatsächlich nur die Vorboten dessen, was bald folgen wird. Missernten und das mangelhafte Transportsystem führen zu wachsenden Versorgungsschwierigkeiten. Und ebenso wächst der Unmut in der Bevölkerung zu Beginn des Jahres 1917. Das Pendeln zwischen immer größeren und immer heftigeren Unterdrückungsversuchen führt zur Eskalation. Am 18. Februar wird die Hauptstadtregion unter die Vollmacht einer gesonderten Militärverwaltung gestellt, am 27. Februar findet eben dort eine Großdemonstration statt. Und am 3. März treten die Arbeiter des Petrograder Rüstungsbetriebs Putilow (siehe Foto) in Streik, woraufhin dessen Direktion 30 000 Mann aussperrt. Am 6. März beginnen die Plünderungen. Immer mehr Arbeiter auch von anderen Werken treten in Streik. Es kommt zu Zusammenstößen. Die Arbeiterkomitees und die Frauenverbände sprechen mit vereinter Stimme. Sie fordern ein Ende des Krieges, die Herausgabe von Lebensmitteln und: die sofortige Abdankung des Zaren. Es ist der 8. März, als die Revolution beginnt.
Aufgrund des 13 Tage zurückliegenden, in Russland da noch gültigen julianischen Kalenders wird sie die „Februarrevolution“genannt. Nach gregorianischer Rechnung ist es der 9. März, an dem Zar Nikolaus II. die Aufständischen zur Liquidierung freigibt, tags darauf werden 60 Demonstranten erschossen. Nun eskaliert auch der Streit im Pendel zwischen dem Zar und der Duma. Es wird das Land für immer verändern. Am 16. März endet die 300-jährige Herrschaft der Romanow-Dynastie. (ws)