Aichacher Nachrichten

Ein Wäschekorb voller Publikatio­nen

Die Augsburger Brechtfors­chungsstät­te gibt es seit 25 Jahren. So lange bekleidet Jürgen Hillesheim die Stelle. Die Liste mit seinen Veröffentl­ichungen ist lang. In der Fachwelt hat er sich einen hervorrage­nden Ruf erarbeitet

- VON RICHARD MAYR

Am Anfang stand ein Ankauf, als die Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg unter ihrem Leiter Helmut Gier den Nachlass von Walter Brecht erwarb und dadurch auf einen Schlag ihre Brecht-Sammlung um bedeutende Unikate erweiterte. Das war Ende der 1980er Jahre. Aber was ist eine Sammlung wert, die nicht in die Hände genommen, die nicht erforscht wird? Also entschloss sich die Stadt Augsburg damals auch noch zu einer weiteren Ausgabe: Sie spendierte der Staatsund Stadtbibli­othek eine Brechtfors­chungsstät­te.

Heute – 25 Jahre und ein paar Monate später – zeigt sich, wie folgenreic­h diese Entscheidu­ng war. Denn mit Jürgen Hillesheim verpflicht­ete die Bibliothek am 1. Oktober 1991 einen jungen Wissenscha­ftler, der sich zwar mit Brechts Werk noch nicht intensiver beschäftig­t hatte, dafür aber umso gewillter war, sich an die Erforschun­g der Sammlung zu machen. Es wäre an dieser Stelle tatsächlic­h uferlos, alles aufzuzähle­n, was in den vergangene­n Jahren von Jürgen Hillesheim, dem Leiter der Brechtfors­chungsstät­te, veröffentl­icht worden ist: fast 100 Aufsätze, 20 Monografie­n, elf Bücher als Herausgebe­r und mehr als 100 Zeitungsar­tikel – ein großer Anteil davon in dieser Zeitung.

Grundlage für das alles war die Sammlung, wie Hillesheim heute erzählt. „Die wissenscha­ftlichen Kontakte standen damals noch bei Null“, sagt der Brechtfors­cher, der 1961 in Koblenz geboren ist. Heute das anders aus. Jürgen Hillesheim steht in sehr engem Kontakt mit dem Brechtarch­iv in Berlin, wirkt als Unterstütz­ter und Förderer des Brechtzent­rums der IvanFranko-Universitä­t in Zhytomyr (Ukraine), ist Mitherausg­eber des Brecht-Jahrbuchs und Herausgebe­r der Buchreihe „Brecht – Werk und Kontext“.

Als eines der wichtigste­n Forschungs­ergebnisse bezeichnet Hillesheim selbst die Wiederentd­eckung einer verscholle­n geglaubten Ausgabe der „Ernte“, die Schülerzei­tung, die Brecht am Peutinger Gymnasium von September 1913 bis Februar 1914 ins Leben gerufen hatte. Auf einem Dachboden in England wurde in den 1990er Jahren ein kompletter Satz mit allen sechs Ausgaben gefunden, darunter ein völlig unbekannte­s Heft.

Auch einige amüsante Anekdoten ranken sich um die Brechtfors­chungsstät­te – etwa jene, als vor ein paar Jahren die damalige SPDStadtra­tsfraktion wissen wollte, was die Augsburger Brechtfors­chungsstät­te macht. Es wird kolportier­t, dass Jürgen Hillesheim daraufhin mit einem Wäschekorb voller eigener Publikatio­nen die Fraktion aufsuchte – woraufhin sich Staunen einstellte.

Fragt man zum Beispiel Augsburger Kulturrefe­rent Thomas Weitzel, was er von der Brechtfors­chungsscha­ut stätte denkt, ist er voll des Lobs. In der Stadt habe sich in der Welt der Brechtfors­chung ein Ansprechpa­rtner entwickelt, der nicht mehr wegzudenke­n sei. Durch die Tätigkeit der Brechtfors­chungsstät­te sei es gelungen, neben dem Brecht-Archiv in Berlin, die zweitgrößt­e Brechtsamm­lung aufzubauen. „Im Dreiklang mit dem Brechtfest­ival und den Veranstalt­ungen im Brechthaus bildet die kontinuier­liche Arbeit der Forschungs­stätte den Sockel für die Profilieru­ng der Brechtstad­t Augsburg“, sagt Weitzel.

Auch die Zusammenar­beit der Brechtfors­chungsstät­te mit der Universitä­t Augsburg ist eng. Professor Mathias Mayer, Literaturw­issenschaf­tler an der Universitä­t, sagt, dass die Brechtfors­chungsstät­te in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Schaltstel­le sei. „Brecht wird in Augsburg erforscht, gleichzeit­ig wird die Forschung von Augsburg aus bereichert“, sagt Mayer. Und die Universitä­t sei auch froh, eng mit Jürgen Hillesheim zusammenar­beiten zu können.

Wie bei einem Geschwiste­rpaar sieht Erdmut Wizisla, der Leiter des Brecht-Archivs in Berlin, das Verhältnis der Berliner und der Augsburger Institutio­nen. Wobei er dem Berliner Brecht-Archiv die Rolle des älteren Parts zuschreibt, weil dort der Brecht-Nachlass aufbewahrt werde. „Wir sehen die Arbeit der Brechtfors­chungsstät­te in Augsburg mit großer Sympathie. Ich staune über die Effizienz der Arbeit und über die Publikatio­nsfreudigk­eit von Jürgen Hillesheim. Das ist beeindruck­end“, sagt Wizisla. Und er betont, dass es ein großes Verdienst der Augsburger Brechtfors­chungsstät­te sei, Brechts Augsburger Jahre als eine eigenständ­ige Phase im Werk herauszuar­beiten. Dabei sei es Jürgen Hillesheim gelungen, Brechts Werk nicht nur literaturw­issenschaf­tlich, sondern in einem geistesges­chichtlich­en Kontext einzuordne­n.

Den wissenscha­ftlichen Gepflogenh­eiten gemäß wird nun auch das 25-jährige Bestehen der Brechtfors­chungsstät­te gefeiert – mit einem zweitägige­n Kongress am 6. und 7. März im Brechthaus. Eingebunde­n ist der Kongress in das diesjährig­e Brechtfest­ival, das vom 3. bis 12. März stattfinde­t.

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Foto: Ulrich Wagner Seit Oktober 1991 ist Jürgen Hillesheim der Leiter der Brechtfors­chungsstät­te in Augsburg.

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