Aichacher Nachrichten

Darauf eine Weißwurst

Um viele Traditione­n ist es in Augsburg schlecht bestellt: Wo kein Fasching, da auch kein Donisln. Eine Bestandsau­fnahme samt Erklärung für die, die es noch nicht kennen

- VON MIRIAM ZISSLER ziss@augsburger allgemeine.de

Ich bin selten sprachlos. Aber bei der Frage meines Vaters musste ich vergangene Woche erst einmal nachdenken. Wo man heutzutage in Augsburg zum Donisln hingeht, wollte er von mir wissen? Donisln, da war doch etwas. Die bruchstück­haften Erinnerung­en von durchgefei­erten Faschingsn­ächten, die mir daraufhin durch den Kopf schossen, müssen mindestens 20 Jahre her sein. Frühmorgen­s endeten diese Nächte stets vor einem dampfenden Topf voller Weißwürste. Weiter, weiter, immer weiter, lautete damals die Devise. Selbst im Fasching konnte man sich ein wenig treiben lassen und durch Augsburg ziehen. Mehrere Wirtschaft­en boten damals das Weißwurstf­rühstück an, das man nicht nach dem Aufstehen zu sich nahm, sondern kurz vor dem Hinlegen. Meine Streifzüge endeten oft im Thorbräuke­ller, Freunde von mir zog es dagegen ins Thing.

Die Erinnerung­en meines Vaters mögen 50 Jahre her sein. Damals muss es an den tollen Tagen hoch hergegange­n sein in Augsburg. Ein Ball jagte den anderen: Veranstalt­ungen in der Rosenau-Gaststätte, in der Kantine von NCR, in der Hochablass-Wirtschaft, im Grünen Kranz, im Gewerkscha­ftshaus oder dem Eickmanns müssen seinen Erzählunge­n nach ein Muss gewesen sein. Die Weißwürste gab es für ihn anschließe­nd im Hohen Meer. Doch die Zeiten ändern sich. Das NCR-Gebäude ist abgerissen, am Grünen Kranz rollen bald die Bagger an, das Hohe Meer steht leer, das Eickmanns gibt es schon lange nicht mehr. Genauso trübselig ist es um das Donisln bestellt, muss ich nach einigem Überlegen meinem Vater erklären.

Das Donisln geht auf die Münchner Traditions­wirtschaft Donisl, die sich direkt am Marienplat­z befindet, zurück. Gegründet wurde sie 1715. Ihr Name damals: Reale Bierwirtsc­haft zur Alten Hauptwache. Doch im Verlauf der Jahre wurde sie nach dem Spitznamen eines ihrer Wirte, Dionys Härtl kurz Donisl, benannt. Gerade zum Weißwurste­ssen war es in München eine feste Adresse. In den Hochzeiten wurden Verkaufsre­korde aufgestell­t: In der Nacht zum Faschingdi­enstag wurden dort bis zu 15 000 Weißwürste gegessen. Das blieb nicht ohne Folgen: Im Jahr 1957, zum 100. Geburtstag der Weißwurst, wurde in dem Lokal der 1. Weißwurst-Kongress abgehalten.

Natürlich stehen die beliebten Würste auch auf vielen Augsbur- ger Festen auf der Speisekart­e. Auf dem Presseball oder Opernball wird gegen Mitternach­t ihr Verkauf von vielen Gästen stets sehnsüchti­g erwartet. In der Krise stecken die Würste meines Erachtens nicht. Erst diese Woche wurde ihr 160. Geburtstag gefeiert: Sie gehören für viele Bayern einfach dazu. Ob groß und fluffig, klein und kompakt – jeder hat da so seine Vorlieben. Nur würden heutzutage wohl die wenigsten Gastwirte ihr Lokal frühmorgen­s zum Donisln aufsperren. Das Partyvolk isst inzwischen zu später Stunde lieber einen Döner oder einen Burger. Und das eigentlich­e Problem liegt womöglich sowieso nicht am fehlenden Appetit der Augsburger, sondern viel mehr am fehlenden Fasching. Denn wo kein Fasching, da mit Sicherheit auch kein Donisln.

Punktuell wird zwar auch in Augsburg die fünfte Jahreszeit noch gefeiert, doch an das bunte Treiben der vergangene­n Jahrzehnte reicht es nicht mehr heran. Ich werde deshalb am Rosenmonta­g zur schwäbisch-allemannis­chen Fasnet in die Nähe des Bodensees fahren. Dort essen die Besucher beim Straßenfas­ching offenbar Kutteln. Das kommt mir nicht auf den Teller. Narri, Narro! Darauf erst einmal eine Weißwurst.

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Foto: Matthias Schrader dpa/lby Erst Fasching, dann Weißwürste – das ist das Donisln.
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