Darauf eine Weißwurst
Um viele Traditionen ist es in Augsburg schlecht bestellt: Wo kein Fasching, da auch kein Donisln. Eine Bestandsaufnahme samt Erklärung für die, die es noch nicht kennen
Ich bin selten sprachlos. Aber bei der Frage meines Vaters musste ich vergangene Woche erst einmal nachdenken. Wo man heutzutage in Augsburg zum Donisln hingeht, wollte er von mir wissen? Donisln, da war doch etwas. Die bruchstückhaften Erinnerungen von durchgefeierten Faschingsnächten, die mir daraufhin durch den Kopf schossen, müssen mindestens 20 Jahre her sein. Frühmorgens endeten diese Nächte stets vor einem dampfenden Topf voller Weißwürste. Weiter, weiter, immer weiter, lautete damals die Devise. Selbst im Fasching konnte man sich ein wenig treiben lassen und durch Augsburg ziehen. Mehrere Wirtschaften boten damals das Weißwurstfrühstück an, das man nicht nach dem Aufstehen zu sich nahm, sondern kurz vor dem Hinlegen. Meine Streifzüge endeten oft im Thorbräukeller, Freunde von mir zog es dagegen ins Thing.
Die Erinnerungen meines Vaters mögen 50 Jahre her sein. Damals muss es an den tollen Tagen hoch hergegangen sein in Augsburg. Ein Ball jagte den anderen: Veranstaltungen in der Rosenau-Gaststätte, in der Kantine von NCR, in der Hochablass-Wirtschaft, im Grünen Kranz, im Gewerkschaftshaus oder dem Eickmanns müssen seinen Erzählungen nach ein Muss gewesen sein. Die Weißwürste gab es für ihn anschließend im Hohen Meer. Doch die Zeiten ändern sich. Das NCR-Gebäude ist abgerissen, am Grünen Kranz rollen bald die Bagger an, das Hohe Meer steht leer, das Eickmanns gibt es schon lange nicht mehr. Genauso trübselig ist es um das Donisln bestellt, muss ich nach einigem Überlegen meinem Vater erklären.
Das Donisln geht auf die Münchner Traditionswirtschaft Donisl, die sich direkt am Marienplatz befindet, zurück. Gegründet wurde sie 1715. Ihr Name damals: Reale Bierwirtschaft zur Alten Hauptwache. Doch im Verlauf der Jahre wurde sie nach dem Spitznamen eines ihrer Wirte, Dionys Härtl kurz Donisl, benannt. Gerade zum Weißwurstessen war es in München eine feste Adresse. In den Hochzeiten wurden Verkaufsrekorde aufgestellt: In der Nacht zum Faschingdienstag wurden dort bis zu 15 000 Weißwürste gegessen. Das blieb nicht ohne Folgen: Im Jahr 1957, zum 100. Geburtstag der Weißwurst, wurde in dem Lokal der 1. Weißwurst-Kongress abgehalten.
Natürlich stehen die beliebten Würste auch auf vielen Augsbur- ger Festen auf der Speisekarte. Auf dem Presseball oder Opernball wird gegen Mitternacht ihr Verkauf von vielen Gästen stets sehnsüchtig erwartet. In der Krise stecken die Würste meines Erachtens nicht. Erst diese Woche wurde ihr 160. Geburtstag gefeiert: Sie gehören für viele Bayern einfach dazu. Ob groß und fluffig, klein und kompakt – jeder hat da so seine Vorlieben. Nur würden heutzutage wohl die wenigsten Gastwirte ihr Lokal frühmorgens zum Donisln aufsperren. Das Partyvolk isst inzwischen zu später Stunde lieber einen Döner oder einen Burger. Und das eigentliche Problem liegt womöglich sowieso nicht am fehlenden Appetit der Augsburger, sondern viel mehr am fehlenden Fasching. Denn wo kein Fasching, da mit Sicherheit auch kein Donisln.
Punktuell wird zwar auch in Augsburg die fünfte Jahreszeit noch gefeiert, doch an das bunte Treiben der vergangenen Jahrzehnte reicht es nicht mehr heran. Ich werde deshalb am Rosenmontag zur schwäbisch-allemannischen Fasnet in die Nähe des Bodensees fahren. Dort essen die Besucher beim Straßenfasching offenbar Kutteln. Das kommt mir nicht auf den Teller. Narri, Narro! Darauf erst einmal eine Weißwurst.