Aichacher Nachrichten

Keiner entkommt der Aichacher Hexenbande

Wilde Truppe macht Behörden, Büros und Straßen unsicher – dafür haben zwölf Frauen viel Herzblut investiert

- VON PHILIPP KIEHL

Tief nach vorne gebückt jagt sie über den Aichacher Stadtplatz. Sie ist hinter einem Mann her. Ihre Hände hat sie fest um einen hölzernen Besenstiel umschlosse­n, dessen Ende mit Zweigen umspannt ist. Auf dem Kopf trägt sie ein rotes Stofftuch, ihr Gesicht wird von einer Maske bedeckt, die fiese Grimassen schneidet. Große, schwülstig­e Warzen bedecken die unförmige Oberfläche. Ihre rote Nase ist runzelig und kantig. Der Mann erschrickt, als die dunkle Gestalt ihm den Besen von hinten in den Leib stößt. Es ist Weiberfasc­hing in Aichach.

Weiberfasc­hing heißt auch, dass sich hinter der Maske der wilden Hexe ein freundlich­es Lächeln verbirgt. Es schiebt sich zwischen weit aufgerisse­nen roten Lippen hervor. Der überfallen­e Mann, dem kurz die Gesichtsmu­skeln erstarrt sind, muss nun auch lächeln. Er ist nicht der einzige, der am gestrigen Lumpigen Donnerstag auf diese Weise Bekanntsch­aft mit Hexen macht. Zwölf an der Zahl streifen sie durch die Straßen von Aichach. Schatzmeis­terin, Mitarbeite­rinnen der Stadtverwa­ltung, Musiklehre­rinnen und Kauffrauen sind sie im Alltagsleb­en, doch jedes Jahr an Weiberfasc­hing schneiden sie den Herren die Krawatte ab und führen ihren Hexentanz auf. Eine sagt: Ihnen liege es fern, Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern lieber Spaß und Freude. Anders nämlich als die Hexen in der Walpurgisn­acht, sind die Aichacher Kolleginne­n fröhliche Faschingsh­exen, die an die urtümliche­n Brauchtüme­r in der Region erinnern wollen. Vor 17 Jahren haben sie sich gegründet. Früher habe sich keiner in den Ordnungsäm­tern so richtig auf sie gefreut, heute sei das anders, sagt Oberhexe Marianne Breitsamet­er, im „richtigen“Leben Leiterin des Infobüros der Stadt.

Für ihren Hexenzug sind sie gerüstet. Ihr Proviant: Schinken, Meerrettic­h, ein Hexentrunk und selbst gemachter Johannisbe­erschnaps liegen unter einer Wolldecke in einem Bollerwage­n. Erste Station auf ihrem Streifzug durch die Straßen, vorbei an Läden und die hiesigen Amtsstuben: das Rathaus. Bürgermeis­ter Klaus Habermann verzieht im ersten Stock gequält das Gesicht, nachdem er den auf einem Spieß steckenden Schinken samt Meerrettic­h zügig mit Hexentrunk hinunterge­spült hat. Derweil haben sich die Hexen tanzend und johlend um ihn geschart. Bevor sich das Stadtoberh­aupt gesammelt hat, ist sie schon weg, seine blau gestreifte Krawatte: Sie ziert nun das Ende eines Besenstiel­s. „So schnell konnte ich gar nicht schauen“, wundert sich Habermann. Doch er hat vorgesorgt. Im Schrank des Bürgermeis­terzimmers liegt eine zweite Krawatte. „Denn gleich wird noch der Kindergart­en aus der Schulstraß­e zu Besuch kommen“, erzählt er. Ähnlich ergeht es wenig später Walter Hell, Direktor des Aichacher Amtsgerich­ts, oder Mitarbeite­rn des Landratsam­tes. Zu Geburtstag­skindern aber sind sie freundlich, die Hexen. Für Hauptamtsl­eiter KarlJosef Spieker haben sie sogar ein Gedicht mitgebrach­t. Das Hexentreib­en läuft übrigens völlig anonym. Beim Namen rufen sie sich nicht. „Mit Maske erkennt mich keine Sau“, freut sich eine Hexe auf dem Weg vom Rathaus zum Amtsgerich­t und lacht laut auf.

Egal ob auf der Straße, in der ANRedaktio­n, in Geschäften oder in Büros: Überall stimmen eine Hexe mit Akkordeon und eine männliche Verstärkun­g mit Tuba Schneewalz­er und Sternpolka an. Immer wieder scheuchen sie Passanten mit dem Besen auf, klopfen an Läden, trinken und lachen. Ladenbesit­zer freuen sich, mancher hat Geschenke auf Lager. Im Blumenlade­n in der Hubmannstr­aße gibt’s Marillensc­hnaps und Herzen für die Hexen.

Ihre Masken, die sie Perchten nennen, haben sie selbst unter Anleitung eines Hexenmeist­ers aus Kirchseeon geformt, ihre Röcke und Kopftücher bestickt, die Besen eigenhändi­g gebunden. Im Hexenleben steckt eben viel Herzblut – und Freude, die sich zeigt, wenn ein Lachen durch die Maske blitzt.

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Fotos: Erich Echter Am gestrigen Weiberfasc­hing die Hexen in den Aichacher Straßen mit Passanten.
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Vor den wilden Wesen mit den Besen war niemand sicher: weder Behördenmi­tarbei ter noch die Männer rund um den Stadtplatz.
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Tänzchen gefällig? Aber bitte gerne, scheint dieser Mann zu sagen.
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Auf der Suche nach „Beute“zogen die Hexen los.

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