Keiner entkommt der Aichacher Hexenbande
Wilde Truppe macht Behörden, Büros und Straßen unsicher – dafür haben zwölf Frauen viel Herzblut investiert
Tief nach vorne gebückt jagt sie über den Aichacher Stadtplatz. Sie ist hinter einem Mann her. Ihre Hände hat sie fest um einen hölzernen Besenstiel umschlossen, dessen Ende mit Zweigen umspannt ist. Auf dem Kopf trägt sie ein rotes Stofftuch, ihr Gesicht wird von einer Maske bedeckt, die fiese Grimassen schneidet. Große, schwülstige Warzen bedecken die unförmige Oberfläche. Ihre rote Nase ist runzelig und kantig. Der Mann erschrickt, als die dunkle Gestalt ihm den Besen von hinten in den Leib stößt. Es ist Weiberfasching in Aichach.
Weiberfasching heißt auch, dass sich hinter der Maske der wilden Hexe ein freundliches Lächeln verbirgt. Es schiebt sich zwischen weit aufgerissenen roten Lippen hervor. Der überfallene Mann, dem kurz die Gesichtsmuskeln erstarrt sind, muss nun auch lächeln. Er ist nicht der einzige, der am gestrigen Lumpigen Donnerstag auf diese Weise Bekanntschaft mit Hexen macht. Zwölf an der Zahl streifen sie durch die Straßen von Aichach. Schatzmeisterin, Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung, Musiklehrerinnen und Kauffrauen sind sie im Alltagsleben, doch jedes Jahr an Weiberfasching schneiden sie den Herren die Krawatte ab und führen ihren Hexentanz auf. Eine sagt: Ihnen liege es fern, Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern lieber Spaß und Freude. Anders nämlich als die Hexen in der Walpurgisnacht, sind die Aichacher Kolleginnen fröhliche Faschingshexen, die an die urtümlichen Brauchtümer in der Region erinnern wollen. Vor 17 Jahren haben sie sich gegründet. Früher habe sich keiner in den Ordnungsämtern so richtig auf sie gefreut, heute sei das anders, sagt Oberhexe Marianne Breitsameter, im „richtigen“Leben Leiterin des Infobüros der Stadt.
Für ihren Hexenzug sind sie gerüstet. Ihr Proviant: Schinken, Meerrettich, ein Hexentrunk und selbst gemachter Johannisbeerschnaps liegen unter einer Wolldecke in einem Bollerwagen. Erste Station auf ihrem Streifzug durch die Straßen, vorbei an Läden und die hiesigen Amtsstuben: das Rathaus. Bürgermeister Klaus Habermann verzieht im ersten Stock gequält das Gesicht, nachdem er den auf einem Spieß steckenden Schinken samt Meerrettich zügig mit Hexentrunk hinuntergespült hat. Derweil haben sich die Hexen tanzend und johlend um ihn geschart. Bevor sich das Stadtoberhaupt gesammelt hat, ist sie schon weg, seine blau gestreifte Krawatte: Sie ziert nun das Ende eines Besenstiels. „So schnell konnte ich gar nicht schauen“, wundert sich Habermann. Doch er hat vorgesorgt. Im Schrank des Bürgermeisterzimmers liegt eine zweite Krawatte. „Denn gleich wird noch der Kindergarten aus der Schulstraße zu Besuch kommen“, erzählt er. Ähnlich ergeht es wenig später Walter Hell, Direktor des Aichacher Amtsgerichts, oder Mitarbeitern des Landratsamtes. Zu Geburtstagskindern aber sind sie freundlich, die Hexen. Für Hauptamtsleiter KarlJosef Spieker haben sie sogar ein Gedicht mitgebracht. Das Hexentreiben läuft übrigens völlig anonym. Beim Namen rufen sie sich nicht. „Mit Maske erkennt mich keine Sau“, freut sich eine Hexe auf dem Weg vom Rathaus zum Amtsgericht und lacht laut auf.
Egal ob auf der Straße, in der ANRedaktion, in Geschäften oder in Büros: Überall stimmen eine Hexe mit Akkordeon und eine männliche Verstärkung mit Tuba Schneewalzer und Sternpolka an. Immer wieder scheuchen sie Passanten mit dem Besen auf, klopfen an Läden, trinken und lachen. Ladenbesitzer freuen sich, mancher hat Geschenke auf Lager. Im Blumenladen in der Hubmannstraße gibt’s Marillenschnaps und Herzen für die Hexen.
Ihre Masken, die sie Perchten nennen, haben sie selbst unter Anleitung eines Hexenmeisters aus Kirchseeon geformt, ihre Röcke und Kopftücher bestickt, die Besen eigenhändig gebunden. Im Hexenleben steckt eben viel Herzblut – und Freude, die sich zeigt, wenn ein Lachen durch die Maske blitzt.