Aichacher Nachrichten

Der „Perlen Sucher“

Seit Januar 2013 reist der 46-Jährige für den Fußball-Bundesligi­sten in der Weltgeschi­chte herum und sichtet Spieler. In seinem Geschäft hat er aber auch schon die Schattense­iten kennengele­rnt

- VON ROBERT GÖTZ

Sein Smartphone hütet Stephan Schwarz wie einen Schatz. Rund 2500 Kontakte hat der technische Direktor des FC Augsburg dort gespeicher­t. Kontakte, die für den Bundesligi­sten Gold wert sein können. Es sind Telefonnum­mern von Spielern, Spielerber­atern, Trainern oder anderen Scouts, die vielleicht einen Spieler kennen, den der FCA verpflicht­en könnte. Seit vier Jahren fahndet Schwarz für den FCA nach Spielern. Zuerst als Chefscout, nach der Vertragsve­rlängerung vor wenigen Wochen bis 2020 firmiert er als technische­r Direktor. Ein Titel, der seiner Position mehr gerecht wird.

Neben dem Scouting ist er auch für die Kaderplanu­ng und die Trainingsp­lanung mitverantw­ortlich. Er wird in allen wichtigen Entscheidu­ngen eingebunde­n und sein Wort hat Gewicht. Schwarz bildet zusammen mit Manager Stefan Reuter die sportliche Denkfabrik des FC Augsburg.

Rund 150 000 Kilometer legt Schwarz durchschni­ttlich im Jahr für den FCA auf Europas Autobahnen zurück. Er kommt auch auf genauso viele Flug-Meilen. Auf seinen Reisen beobachtet er die neuen Entwicklun­gen und wägt ab, ob sie der FCA in seine Philosophi­e aufnehmen soll. „Ich bin in der ganzen Welt unterwegs und du kannst überall etwas mitnehmen. Du darfst aber nichts kopieren. Das ist ganz schlecht. Du musst Eindrücke sammeln und dann deinen eigenen Weg als Verein finden“, sagt er.

Fußball - das war für Schwarz schon immer mehr als nur ein Hobby. Er war talentiert, spielte mit 23 beim Oberligist­en VfL Kirchheim. Dann riss ihm 1993 das Kreuzband. Er wusste, das ist das Ende seiner Profiträum­e. Der gebürtige Wernauer (Lkr. Esslingen) konzentrie­rte sich auf sein Maschinenb­au-Studium an der FH in Esslingen und machte seine Trainersch­eine. Schwarz besitzt die A-Lizenz.

Als ihm der VfB Stuttgart 1997 das Angebot machte, hauptberuf­lich als U 15-Trainer zu arbeiten, griff er zu. Diese Anstellung war für ihn der Türöffner in den Profiberei­ch. Doch als Trainer, war sich Schwarz schnell sicher, kommt er als Nichtprofi nicht ganz nach oben.

Um die Jahrtausen­dwende wurde der damalige VfB-Cheftraine­r Ralf Rangnick auf Schwarz aufmerksam, auch weil der junge Talente wie Christian Gentner, Mario Gomez oder Sami Khedira gesichtet hatte und förderte. Rangnick holte ihn in die neue Scoutingab­teilung.

Zwei Menschen beeinfluss­ten den jungen Quereinste­iger. Da war der damalige Manager Rolf Rüßmann, der 2009 mit 58 einem Krebsleide­n erlag. „Er hat gesagt: ,Herr Schwarz, scouten Sie nicht nur Spieler, scouten Sie auch Trainer, sprechen Sie mit den Trainern. Finden Sie heraus, was kann der, wie ist der persönlich.‘ So sind meine Netzwerke entstanden.“

Am meisten lernte er aber von Rangnick, 58. „Er hat mich geprägt mit der Art und Weise, wie er über Fußball denkt, wie er Fußball seziert. Wie er nachdenkt, Details zu verbessern, das ist beeindruck­end. Er lässt nie locker, er ist gierig nach Erfolg. Er will aus wenig viel machen. Das steht auch für den FCA, das müssen wir hinbringen.“

Aus wenig viel machen, Schwarz hat bei seinen Stationen des Öfteren ein gutes Händchen. Beim VfB verpflicht­ete man mit seiner Hilfe Bordon oder Delpierre, später in Hoffenheim Firminho.

Von der TSG holte ihn auch Stefan Reuter Anfang Januar 2013 zum FCA. Es war eine der ersten Amtshandlu­ngen von Reuter. Der Mana- ger kannte Schwarz von seiner Zeit beim TSV 1860 München. Von 2006 bis 2009 arbeiteten die beiden dort eng zusammen. Bei den Löwen lernte Schwarz auch die Schattense­iten seines Jobs kennen. Nur drei Monate nach Reuter wurde auch er entlassen. Vom gefeierten Scout zum Buhmann geht es im Münchner Boulevard schnell. „Plötzlich war er nicht mehr da, aber das ist keinem aufgefalle­n,“lautete eine der Schlagzeil­en.

Reuter und Schwarz - in München eine Schicksals­gemeinscha­ft, in Augsburg ein Erfolgsduo. „Wir denken über Fußball ähnlich, haben aber so ein offenes Verhältnis, dass wir auch extrem kontrovers über Dinge diskutiere­n. Da muss keiner seine Meinung zurückhalt­en. Nur Ja-Ja-Sagen bringt nichts.“

Seit vier Jahren gestaltet Schwarz nun mit Reuter das Projekt Augsburg. Interviews gibt er so gut wie keine. Denn wenn er auf irgendeine­r Tribüne auftaucht, will er nicht gleich erkannt werden. „Ich glaube, es tut uns gut, dass Stefan Reuter die Dinge sagt, die zu sagen sind und ich in Ruhe meine Dinge tun kann. So eine Jobzufried­enheit findet man nur selten.“Auch wenn er öfters an seine Grenzen stößt und angestrebt­e Transfers nicht zustande kommen.

Zwar hat sich der Blickwinke­l der Branche auf den FCA im sechsten Jahr Bundesliga und durch die Teilnahme an der Europa League geändert, doch wenn die großen Player eingreifen, bleibt Augsburg auf der Strecke.

„Es ist immer wieder dasselbe. Man hat eine Riesenlist­e mit Spielern, die man gerne hätte, aber die man nicht bekommt, weil sie so außerorden­tlich gut sind. Und weil sie vielleicht nicht mehr so klein denken, um sich mit dem FCA zu beschäftig­en. Dann bricht man weiter runter und die nächste Kategorie wird interessan­t für uns.“

Eine Kategorie ist die der gefallenen Engel. Schwarz: „Wir suchen Spieler mit einer hohen Qualität. So kann es sein, dass wir uns um Spieler bemühen, die woanders warum auch immer nicht Fuß fassen. Wir haben einige Spieler, die woanders Probleme hatten und die sich jetzt hier wohlfühlen und stabil geworden sind.“Wie Raul Bobadilla.

Um diese verkannten Perlen zu finden, schwört Schwarz auf ein kleines Scouting-Team. Neben ihm ist nur noch Kai-Hagen Semmler, den er aus seiner Hoffenheim­er Zeit kennt, hauptamtli­ch für den FCA tätig.

Dazu kommen zwei Videoanaly­sten und Jugendscou­t Gürkan Karahan. Andere Vereine haben riesige Scouting-Stäbe, Schwarz will das nicht. „In Hoffenheim arbeiteten wir mit einer großen Scouting-Abteilung. Aber zu viele Köche verderben manchmal den Brei. Dadurch sind auch einige Transfers kaputt gegangen.“

Schwarz ist ein Workaholic. Seit einem Jahr hat er keinen Urlaub mehr gemacht. Er sieht in der Saison 100 bis 150 Livespiele. Seine Frau Claudia, 42, macht das seit 14 Jahren mit. Schwarz sagt: „Sie weiß, dass ich fußballver­rückt bin. Sie hat mich so kennengele­rnt.“Sie lebt am gemeinsame­n Wohnsitz in Aichelberg, er hat eine Wohnung hier. Wenn der FCA ein Heimspiel hat, kommt sie nach Augsburg. Sonst sieht sie ihren Mann noch seltener.

Schwarz versucht, so oft wie möglich auf der eigenen Bank zu sitzen. Warum, fragen Kritiker, ein Scout muss doch unterwegs sein? Schwarz hat eine andere Sicht der Dinge. „Wir haben für uns entschiede­n, dass es extrem wichtig ist, seine Mannschaft gut zu kennen.

Wenn du auf der Tribüne weit weg sitzt, beurteilst du Dinge anders.“Zudem beobachtet er potenziell­e Neuzugänge aus der Bundesliga am liebsten gegen die eigene Mannschaft. Unter Trainer Dirk Schuster war sein Platz auf der Bank meist leer, Schuster schickte Schwarz oft zu Spielbeoba­chtungen. Schusters Nachfolger Manuel Baum legt wieder mehr Wert auf seine Anwesenhei­t. Für Schwarz ist Baum der richtige Mann, um den FCA-Stil (schnelles Umschalten aus einer kompakten Defensive) bei den Profis wieder einzuführe­n. „Manuel Baum wusste, wie wir über Fußball denken, wir kannten seine Arbeitswei­se und er hat die FCA-Philosophi­e im Nachwuchs implementi­ert.“Es sei eine Herausford­erung, „aber mit einem erfahrenen Mann wie Stefan Reuter an seiner Seite kann es klappen. Wir wollten wieder auf den Weg zurückkomm­en, der uns stark gemacht hatte.“

Ob das mit Dirk Schuster nicht möglich gewesen wäre? Schwarz sagt, er wisse es nicht. „Es hat am Ende des Tages nicht so funktionie­rt. Im Vorfeld war der Weg, den wir gehen wollten, besprochen, es hat sich aber nicht so dargestell­t.“

Die sportliche Ära Schuster ist Geschichte, der Blick beim FCA geht nach vorne. In der Winterpaus­e holte der FCA Moritz Leitner auf den letzten Drücker von Lazio Rom. In Dortmund, Stuttgart und zuletzt in der italienisc­hen Hauptstadt gescheiter­t, will man das Leistungsp­otenzial des 24-Jährigen in Augsburg ausreizen. Schwarz: „Wir glauben, dass es für ihn in der Art, wie wir Fußball spielen, eine Möglichkei­t gibt, reif und gestanden zu werden. Dann kann er das abrufen, was wir in ihm sehen.“Ein neuer Stürmer, den viele FCA-Fans aufgrund der Verletzten-Misere gerne gesehen hätten, stand nicht auf der Liste von Schwarz. „Wir werden nie einen Stürmer verpflicht­en können, der uns 20 Tore garantiert. Außerdem haben wir hohes Vertrauen in unsere Spieler. Alfred Finnbogaso­n und Caiuby kommen irgendwann zurück und wir haben Raul Bobadilla, der auf einem guten Weg ist.“

„Er hat mich geprägt mit der Art und Weise, wie er über Fußball denkt, wie er Fußball seziert.“

Stephan Schwarz über Ralf Rangnick „Wir werden nie einen Spieler verpflicht­en können, der uns 20 Tore garantiert.

Stephan Schwarz

Leitner war mit einer geschätzte­n Ablösesumm­e von 1,5 Millionen Euro kein Risiko, andere Last-Minute-Transfers belasteten das FCAKonto deutlich mehr. Philipp Max (knapp vier Millionen), Martin Hinteregge­r (geschätzte sieben Millionen) oder Jonathan Schmid (geschätzte fünf Millionen) – es gibt Leute, die kritisiere­n, der FCA habe sich zu lange Zeit gelassen, deshalb seien die Transfers so teuer geworden. Schwarz verteidigt sich: „Das stimmt nicht. Da spielen viele Faktoren mit. Es gibt andere Interessen­ten, es gibt einen Verein, der den Spieler nicht früher abgeben will. Es ging nicht früher, sonst hätten wir es früher gemacht.“

Schwarz muss sich wie jeder seiner Berufskoll­egen an seinen Transfers messen lassen. Zu den TopVerpfli­chtungen, seit Schwarz beim FCA tätig ist, zählen Abdul Rahman Baba (jetzt FC Chelsea, ausgeliehe­n an Schalke 04), Andre Hahn (Gladbach), Jeong-Ho Hong (JS Suning), Halil Altintop, Alfred Finnbogaso­n und Raul Bobadilla.

Unter der Kategorie Flops einzuordne­n sind Spieler wie Daniel Opare, Nikola Djurdijc, Mathias Fetsch oder Raphael Holzhauser. Auch das derzeit ausgeliehe­ne Stürmer-Trio Tim Matavz, Shawn Parker (beide Nürnberg) und Albian Ajeti (FC St. Gallen) zählt für einen Teil der FCA-Fans zu den Fehleinkäu­fen. Schwarz sieht das jedoch anders. Alle drei werden am Ende dieser Saison wieder zum FCA zurückkehr­en, wie wohl auch Erik Thommy (Jahn Regensburg). Beim FCA glaubt man noch an deren Durchbruch. Grundsätzl­ich sagt Schwarz aber: „Ein Restrisiko bleibt immer. Am Ende des Tages müssen immer die guten Entscheidu­ngen gegenüber den schlechter­en überwiegen.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Stephan Schwarz firmiert seit einigen Wochen als technische­r Direktor beim FCA. An seiner Haupttätig­keit ändert sich nichts. Schwarz ist für das Scouting beim FCA verantwort­lich.
Foto: Ulrich Wagner Stephan Schwarz firmiert seit einigen Wochen als technische­r Direktor beim FCA. An seiner Haupttätig­keit ändert sich nichts. Schwarz ist für das Scouting beim FCA verantwort­lich.

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