Kaum Chancen auf eine eigene Wohnung
Rund 1100 Flüchtlinge dürfen sich in Augsburg selber eine Unterkunft suchen. Die wenigsten von ihnen finden aber eine. Wie eine afghanische Familie, die zu sechst in einem Zimmer lebt. Wie die Stadt ihnen helfen will
Zu sechst lebt Familie S. in einem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft in der Ottostraße. Neben dem Stockbett, dem Einzelbett und der Couch stapeln sich Schuhe, Kleidung und Einrichtungsgegenstände. Auf dem Tisch wird gegessen, gelernt und gespielt. Einmal in Ruhe etwas Lesen und ein wenig Privatsphäre genießen, ist nicht möglich. Seit einem Jahr und sieben Monaten lebt die Familie nun schon in der Gemeinschaftsunterkunft, und das obwohl sie sofort in eine eigene Wohnung hätte ziehen können.
Elf Jahre lang war Vater Aziz, 59, als Ortskraft für die Bundeswehr in Kundus und Masar al Sharif in Afghanistan tätig. Seit 2013 wird Ortskräften, die aufgrund ihrer Tätigkeit in ihrem Heimatland in Gefahr geraten sind, Schutz in Form von Einreise- und Aufenthaltsmöglichkeiten gewährt. Die afghanische Familie dachte, dass sie nur über- gangsweise in der Unterkunft wohnen bleiben muss. Sie schrieben sich auf Wartelisten von Wohnungsbaugesellschaften ein, reagierten auf Anzeigen im Internet oder in der Zeitung und wurden meist bereits am Telefon abgewimmelt. „Flüchtlinge haben es in Augsburg sehr schwer, eine Wohnung zu finden“, sagt Claudia Maaßen, die die Familie unterstützt und den Kindern bei den Hausaufgaben hilft.
Rund 2200 Flüchtlinge leben derzeit in Augsburg. Knapp die Hälfte, also 1100 Menschen, dürften aufgrund ihres Aufenthaltsstatus in eine eigene Wohnung ziehen und die Sammelunterkünfte der Regierung von Schwaben und die dezentralen Einrichtungen der Stadt verlassen. Doch nur etwa 300 Flüchtlinge haben bislang in der Stadt eine Wohnung gefunden – die wenigsten von ihnen aus eigener Kraft. „Der Großteil hat dank der Unterstützung und den Kontakten von den ehrenamtlichen Betreuern eine Wohnung bekommen“, weiß Christine von Gropper vom Zentrum für interkulturelle Beratung der Diakonie Augsburg. Oder auch durch ihre Hilfe. Gemeinsam mit der Organisation Tür an Tür haben sie über drei Jahre hinweg bei dem Projekt „Move in“anerkannten Flüchtlingen bei der Wohnungssuche geholfen. „Bei den Mietbefähigungskursen haben wir Rollenspiele durchgeführt. Vieles muss Flüchtlingen erklärt werden. Etwa, dass sie zu einem Besichtigungstermin nicht ihre ganze Familie und Freunde mitbringen sollen“, sagt sie. „Etwa, dass man nicht das Fenster stundenlang offenlässt, wenn die Heizung auf höchster Stufe läuft. Dass regelmäßig gelüftet werden muss“, fügt Magot Laun von Tür an Tür an. 2015 lief das Projekt „Move in“aus.
Nun braucht es einen neuen Koordinator, der das Thema in die Hand nimmt. „Wohnen ist das Thema“, betont Tülay Ates-Brunner, Geschäftsführerin von Tür an Tür. Bei der Teilzeitstelle, die noch bis kommenden Montag ausgeschrieben ist, handelt es sich aber nicht um einen Posten, der Wohnungen vermittelt. „Es sollen vielmehr Freiwillige bei ihrer Arbeit unterstützt und angeleitet werden, um wiederum Flüchtlingen helfen zu können“, so Laun. Die Mitarbeiter der Projektträger wissen: Den Vermietern ist es vor allem wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, mit dem sie sich in Verbindung setzen könnten, wenn etwas nicht passt.
Die Arbeit des Koordinators und der Helfer werde eine Hilfe zur Selbstständigkeit sein. „Ein erforderlicher Systemwechsel“, sagt Ates-Brunner. Anfangs seien die Flüchtlinge sehr aktiv. „Das lässt aber mit der Zeit nach, denn in einer Unterkunft wird einem alles abgenommen“, sagt Margot Laun. Wenn die Lampe nicht funktioniert, kommt der Hausmeister. Andere würden eine Schwellenangst entwickeln und sich nicht mehr trauen, aus der Unterkunft zu ziehen. Die neue Koordinatorenstelle wird von der Stadt und vom Freistaat finanziert. „Die Wohnungssuche ist kein Thema, das nur Flüchtlinge betrifft“, so Sozialbürgermeister Stefan Kiefer (SPD). Auch andere Personenkreise, wie Obdachlose oder psychisch Kranke würden sich oft schwertun. Die Fördergelder würden sich aber nun einmal auf Flüchtlinge beziehen. Kiefers Ziel ist es, ein Netzwerk zu schaffen, von dem in gut einem Jahr alle Personengruppen, die Unterstützung benötigen, profitieren können. „Dann wird das Wohnbüro im Jakobsstift fertig sein.“
Wer an der Stelle interessiert ist oder sich als freiwilliger Helfer enga gieren will, soll sich bei Tür an Tür (www.tuerantuer.de) melden, Telefon 0821/907990. Wer eine Wohnung an Flüchtlinge vermieten will, kann sich an Christine von Gropper von der Diakonie wenden (Telefon 0821/9079937).