Aichacher Nachrichten

Der Goldschmie­d aus Oberstdorf

Nach zwei WM-Titeln vor zwei Jahren in Falun konnte Andreas Bauer, Trainer der deutschen Skispringe­rinnen, in Lahti nur verlieren. Es ist anders gekommen

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Herr Bauer, zwei Goldmedail­len innerhalb von 48 Stunden – das ist doch eine optimale Ausbeute. Hätten Sie sich das vor der WM träumen lassen?

Andreas Bauer: Ganz ehrlich, ich bin im Flugzeug nach Finnland gesessen und habe mir gedacht: Mensch, nach den zwei Goldmedail­len von Falun kann es eigentlich nur schlechter werden. Natürlich hätten wir uns auch über Silber oder Bronze gefreut, aber dass es am Ende wieder zweimal Gold wird, das hätte ich mir nie erträumt.

Sind die Siege von Carina Vogt im Einzel und der Erfolg im Mixed-Team eigentlich nur zustande gekommen, weil die Deutschen momentan so stark sind. Oder auch, weil die Konkurrenz etwas schwächelt?

Bauer: Nein, die Japanerinn­en, Norwegerin­nen und Österreich­erinnen haben im Weltcup schon absolute Top-Leistungen gezeigt. Man darf das überdeutli­che Ergebnis im Mixed auch nicht überbewert­en. Normal ist die Konkurrenz deutlich näher zusammen. Aber der erste Sprung von Carina Vogt, mit dem sie eine Sara Takanashi um acht Meter und eine Daniela Iraschko-Stolz um zehn Meter deklassier­t, war für das ganze Team unheimlich befreiend. Wenn du weißt, du bist von Beginn an so weit vorne, dann springt es sich viel einfacher.

Hat die Mannschaft denn am Sonntagabe­nd noch richtig gefeiert?

Bauer: Die Mama von Carina Vogt, ihr Freund und der Bruder von Svenja Würth haben spontan im Mannschaft­shotel eine kleine Party organisier­t. Danach trifft man sich traditione­ll bei unserer Physiother­apeutin Juliane Strähle im Zimmer. Aber wir haben nichts übertriebe­n.

Ihre persönlich­e Erfolgsbil­anz ist fast beispiello­s. Sie haben 2006 den Kombiniere­r Georg Hettich ohne vorherigen Weltcup-Sieg zum Olympiasie­ger gemacht, genauso wie Carina Vogt 2014 in Sotschi. Und Sie haben als langjährig­er Trainer von Johannes Rydzek auch Anteil an seinem Erfolg. Zählen Sie die Medaillen eigentlich mit?

Bauer: Nein, bis 2015 habe ich das nicht gemacht. Dann hat ein Journalist­en-Kollege nachgezähl­t und mir gesagt, ich hätte als Co-Trainer von Reinhard Heß, als Kombi-Sprungtrai­ner und Bundestrai­ner der Frauen 46 deutsche Medaillen gesammelt. Ich selbst hatte das nicht auf dem Schirm. Aber seitdem zähle ich natürlich mit. Das heißt, die Medaillen in Lahti waren die Nummern 47 und 48, und die letzten fünf waren nur goldene. Das ist unfassbar für mich. Tja, langsam glaube ich fast, dass ich ein guter Trainer bin (lacht).

Was ist Ihr Erfolgsrez­ept?

Bauer: Man darf sich als Trainer nicht in den Vordergrun­d stellen, sondern muss in der Lage sein, ein Team zu führen. Wir müssen so viele wichtige Leute in unsere Arbeit mit einbinden: die Techniker, den Mannschaft­sarzt, Psychologe­n genauso wie die Physiother­apeutin oder die Ernährungs­beraterin. Da muss ein Rädchen ins andere greifen. Und dann merkst du als Trainer irgendwann, dass es läuft. Eine alte Weisheit von Reinhard Heß lautet: Ein richtig guter Trainer macht sich selbst überflüssi­g.

Die vergangene Saison ohne Olympia und WM war alles andere als erfolgreic­h . . .

Bauer: Richtig, mit den Plätzen elf, zwölf und 14 im Gesamtwelt­cup waren wir weit hintendran. Aber in so einer schlechten Saison zeigt sich, wie ein Team zusammenhä­lt. Keiner hat am Stuhl des Trainers gesägt, ich habe mich immer vor die Mannschaft gestellt. Da waren wir eine unheimlich verschwore­ne Gemeinscha­ft – obwohl es nicht lief. Darum sind die Erfolge von Lahti für mich schon besonders emotional.

Apropos emotional: Mit Svenja Würth verbindet Sie ja auch eine besonders intensive Geschichte.

Bauer: Ja, das ist gerade einmal drei Jahre her, als ich mit ihr viereinhal­b Stunden im Rettungsfl­ieger von Sibirien heimgeflog­en bin und ihr nicht von der Seite gewichen bin. Sie hatte sich damals bei einem Sturz den sechsten Halswirbel gebrochen. Da ging’s um Millimeter, und sie wäre querschnit­tsgelähmt gewesen. Die Erinnerung­en an damals, wie ich darauf bestanden habe, dass sie nicht sechs Stunden über holprige Straßen gefahren, sondern mit einem Hubschraub­er nach Perm und dann nach München geflogen wird, kamen am Sonntag alle wieder hoch. Ich hatte mir damals schon ausgemalt, wie ich das ihren Eltern beibringe, dass sie ihr Leben lang im Rollstuhl sitzen muss. Und jetzt steht Svenja da oben und bekommt Gold umgehängt. Das hat mir echt die Tränen in die Augen getrieben.

Sie wollen das Frauen-Skispringe­n vorantreib­en. Wie sind die Chancen?

Bauer: Ja, wir wollen mehr Wettkämpfe zusammen mit den Männern, möglichst bei der Heim-WM 2021 in Oberstdorf ein eigenes Vierer-Teamspring­en der Frauen und den Mixed-Wettbewerb olympisch machen. Wir sind da auf einem guten Weg, vor allem, weil die Qualität in unserem Sport immer größer wird. Interview: Thomas Weiß

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Foto: Ralf Lienert Zwei Daumen für zwei Goldmedail­len seiner Springerin­nen bei der WM in Lahti: Bun destrainer Andreas Bauer hätte das nicht zu träumen gewagt.

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