Aichacher Nachrichten

„Trump kommt zur rechtenZei­t“

Oscar-Sieger Barry Jenkins im Gespräch

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„Moonlight“zeigt über drei Lebensstat­ionen hinweg einen jungen afroamerik­anischen Mann, der sich allmählich seiner Homosexual­ität bewusst wird. Hätten Sie bei diesem Thema kontrovers­ere Reaktionen erwartet?

Barry Jenkins: Ich glaube, der Film kommt zur richtigen Zeit. Vor zehn Jahren hätten die Reaktionen sicher noch ganz anders ausgesehen. Aber drei Jahre, nachdem der Supreme Court in den USA die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe als Verfassung­srecht etablierte, hat sich die Stimmung im Land verändert. Wenn sich einer unwohl dabei fühlt, wenn zwei Männer auf der Straße Hand in Hand gehen, muss er sehen, wie er damit klarkommt, weil es immer mehr Menschen gibt, die das in der Öffentlich­keit tun. Das hat dazu geführt, dass die Leute auch diesem Film mit einer größeren Offenheit begegnen.

Wird Ihr Film das Black Cinema in den USA verändern?

Jenkins: Spike Lee, den ich sehr bewundere, musste fast 20 Jahre lang das afroamerik­anische Kino allein repräsenti­eren. Jetzt sind wir an einem Punkt, dass so viele afroamerik­anische Regisseure Filme machen, dass keiner mehr für alle sprechen muss, wenn es um die Erfahrung von Schwarzen in den USA geht. Wir können viel genauer über unsere Viertel, unsere Zeit, unser Leben sprechen. Die Filmindust­rie in Hollywood wurde immer von weißen Torwächter­n dominiert, und um als Afroamerik­aner Zugang zu bekommen, musste man ein Stück weit auch immer seine Stimme verkaufen. Heute sieht die Situation anders aus: Dadurch, dass die Kosten für einen Film durch die neue Technologi­e sehr viel niedriger sind, werden auch die Möglichkei­ten der Einflussna­hme geringer. Unser Film kommt ungefilter­t aus einem schwarzen Bewusstsei­n heraus.

Nun werden Sie selbst zu den Privilegie­rten gehören. Sind Sie darauf vorbereite­t?

Jenkins: Wenn man in einer privilegie­rten Umgebung lebt, kann man sehr schnell seine eigene Stimme und den Kontakt zur Bevölkerun­g verlieren. Dessen bin ich mir sehr bewusst und ich werde auf mich aufpassen.

Das Aufblühen des afroamerik­anischen Kinos ist auch eine Folge der ObamaÄra. Wie blicken Sie in die Zukunft unter Donald Trump?

Jenkins: In den Staaten kam der Film drei Wochen vor der Wahl heraus und ist auch lange Zeit nach den Wahlen noch im Kino gewesen. Ich habe gesehen, wie sich die Reaktion des Publikums auf den Film nach der Wahl gewandelt hat. Die Menschen haben sich „Moonlight“angeschaut, um sich rückzuvers­ichern, dass die USA nicht der Ort sind, an dem es nur eine Version des amerikanis­chen Lebens gibt. Ich bin sehr froh, dass der Film genau in diesem historisch­en Moment existiert. Aber ich denke, im Post-Obama-Amerika werden wir Filmemache­r unsere Stimme aggressive­r zum Ausdruck bringen. Und das wird auch notwendig sein. Die Instrument­e des Filmemache­ns sind erstmals in der Geschichte des Kinos mehr oder weniger frei zugänglich. Filmkunst ist kein Privileg mehr. Deshalb glaube ich, dass Trump gerade zur rechten Zeit kommt. Wenn er Mist baut, haben wir als Filmemache­r die Möglichkei­t, darauf zu reagieren. Wenn Trump vor 30 Jahren behauptet hätte, dass 1,5 Millionen Leute bei seiner Amtseinfüh­rung gewesen seien, hätte man diese Lüge nicht entlarven können. Heute haben wir innerhalb weniger Minuten ein Bild, das beweist, dass dieser Mann lügt. Interview: Martin Schwickert

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