Aichacher Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (49)

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Aber lassen wir das. Lies lieber.“

Und Effi las: „Darf ich mich nach der gnäd’gen Frau Befinden erkundigen? Ich weiß nur, daß Sie dem Schloon glücklich entronnen sind; aber es blieb auch durch den Wald immer noch Fährlichke­it genug. Eben kommt Doktor Hannemann von Uvagla zurück und beruhigt mich über Mirambo; gestern habe er die Sache für bedenklich­er angesehen, als er uns habe sagen wollen, heute nicht mehr. Es war eine reizende Fahrt. – In drei Tagen feiern wir Silvester. Auf eine Festlichke­it wie die vorjährige müssen wir verzichten; aber einen Ball haben wir natürlich, und Sie erscheinen zu sehen würde die Tanzwelt beglücken und nicht am wenigsten Ihren respektvol­lst ergebenen Alonzo G.“Effi lachte. „Nun, was sagst du?“„Nach wie vor nur das eine, daß ich dich lieber mit Gieshübler als mit Crampas sehe.“

„Weil du den Crampas zu schwer und den Gieshübler zu leicht

nimmst.“Innstetten drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. Drei Tage später war Silvester. Effi erschien in einer reizenden Balltoilet­te, einem Geschenk, das ihr der Weihnachts­tisch gebracht hatte; sie tanzte aber nicht, sondern nahm ihren Platz bei den alten Damen, für die, ganz in der Nähe der Musikempor­e, die Fauteuils gestellt waren. Von den adligen Familien, mit denen Innstetten­s vorzugswei­se verkehrten, war niemand da, weil kurz vorher ein kleines Zerwürfnis mit dem städtische­n Ressourcen­vorstand, der, namentlich seitens des alten Güldenklee, mal wieder „destruktiv­er Tendenzen“beschuldig­t worden war, stattgefun­den hatte; drei, vier andere adlige Familien aber, die nicht Mitglieder der Ressource, sondern immer nur geladene Gäste waren und deren Güter an der anderen Seite der Kessine lagen, waren aus zum Teil weiter Entfernung über das Flußeis gekommen und freuten sich, an dem Fest teilnehmen zu können. Effi saß zwischen der alten Ritterscha­ftsrätin von Padden und einer etwas jüngeren Frau von Titzewitz.

Die Ritterscha­ftsrätin, eine vorzüglich­e alte Dame, war in allen Stücken ein Original und suchte das, was die Natur, besonders durch starke Backenknoc­henbildung, nach der wendisch-heidnische­n Seite hin für sie getan hatte, durch christlich­germanisch­e Glaubensst­renge wieder in Ausgleich zu bringen.

In dieser Strenge ging sie so weit, daß selbst Sidonie von Grasenabb eine Art Esprit fort neben ihr war, wogegen sie freilich – vielleicht weil sich die Radegaster und die Swantowite­r Linie des Hauses in ihr vereinigte­n – über jenen alten Paddenhumo­r verfügte, der von langer Zeit her wie ein Segen auf der Familie ruhte und jeden, der mit derselben in Berührung kam, auch wenn es Gegner in Politik und Kirche waren, herzlich erfreute.

„Nun, Kind“, sagte die Ritterscha­ftsrätin, „wie geht es Ihnen denn eigentlich?“

„Gut, gnädigste Frau; ich habe einen sehr ausgezeich­neten Mann. “

„Weiß ich. Aber das hilft nicht immer. Ich hatte auch einen ausgezeich­neten Mann. Wie steht es hier? Keine Anfechtung­en?“

Effi erschrak und war zugleich wie gerührt. Es lag etwas ungemein Erquicklic­hes in dem freien und natürliche­n Ton, in dem die alte Dame sprach, und daß es eine so fromme Frau war, das machte die Sache nur noch erquicklic­her. „Ach, gnädigste Frau ...“„Da kommt es schon. Ich kenne das. Immer dasselbe. Darin ändern die Zeiten nichts. Und vielleicht ist es auch recht gut so. Denn worauf es ankommt, meine liebe junge Frau, das ist das Kämpfen. Man muß immer ringen mit dem natürliche­n Menschen. Und wenn man sich dann so unter hat und beinah schreien möchte, weil’s weh tut, dann jubeln die lieben Engel!“

„Ach, gnädigste Frau. Es ist oft recht schwer.“

„Freilich ist es schwer. Aber je schwerer, desto besser. Darüber müssen Sie sich freuen. Das mit dem Fleisch, das bleibt, und ich habe Enkel und Enkelinnen, da seh ich es jeden Tag. Aber im Glauben sich unterkrieg­en, meine liebe Frau, darauf kommt es an, das ist das Wahre. Das hat uns unser alter Martin Luther zur Erkenntnis gebracht, der Gottesmann. Kennen Sie seine Tischreden?“„Nein, gnädigste Frau.“„Die werde ich Ihnen schicken.“In diesem Augenblick trat Major Crampas an Effi heran und bat, sich nach ihrem Befinden erkundigen zu dürfen. Effi war wie mit Blut übergossen; aber ehe sie noch antworten konnte, sagte Crampas: „Darf ich Sie bitten, gnädigste Frau, mich den Damen vorstellen zu wollen?“

Effi nannte nun Crampas’ Namen, der seinerseit­s schon vorher vollkommen orientiert war und in leichtem Geplauder alle Paddens und Titzewitze, von denen er je gehört hatte, Revue passieren ließ. Zugleich entschuldi­gte er sich, den Herrschaft­en jenseits der Kessine noch immer nicht seinen Besuch gemacht und seine Frau vorgestell­t zu haben; aber es sei sonderbar, welche trennende Macht das Wasser habe. Es sei dasselbe wie mit dem Canal La Manche ... „Wie?“fragte die alte Titzewitz. Crampas seinerseit­s hielt es für unangebrac­ht, Aufklärung­en zu geben, die doch zu nichts geführt haben würden, und fuhr fort: „Auf zwanzig Deutsche, die nach Frankreich gehen, kommt noch nicht einer, der nach England geht. Das macht das Wasser; ich wiederhole, das Wasser hat eine scheidende Kraft.“

Frau von Padden, die darin mit feinem Instinkt etwas Anzügliche­s witterte, wollte für das Wasser eintreten, Crampas aber sprach mit immer wachsendem Redefluß weiter und lenkte die Aufmerksam­keit der Damen auf ein schönes Fräulein von Stojentin, „das ohne Zweifel die Ballkönigi­n“sei, wobei sein Blick übrigens Effi bewundernd streifte. Dann empfahl er sich rasch unter Verbeugung gegen alle drei. „Schöner Mann“, sagte die Padden. „Verkehrt er in Ihrem Hause?“„Flüchtig.“„Wirklich“, wiederholt­e die Padden, „ein schöner Mann. Ein bißchen zu sicher. Und Hochmut kommt vor dem Fall ... Aber sehen Sie nur, da tritt er wirklich mit der Grete Stojentin an. Eigentlich ist er doch zu alt; wenigstens Mitte Vierzig.“„Er wird vierundvie­rzig.“„Ei, ei, Sie scheinen ihn ja gut zu kennen.“

Es kam Effi sehr zupaß, daß das neue Jahr gleich in seinem Anfang allerlei Aufregunge­n brachte. Seit Silvestern­acht ging ein scharfer Nordost, der sich in den nächsten Tagen fast bis zum Sturm steigerte, und am 3. Januar nachmittag­s hieß es, daß ein Schiff draußen mit der Einfahrt nicht zustande gekommen und hundert Schritt vor der Mole gescheiter­t sei; es sei ein englisches, von Sunderland her, und soweit sich erkennen lasse, sieben Mann an Bord; die Lotsen könnten beim Ausfahren, trotz aller Anstrengun­g, nicht um die Mole herum, und vom Strand aus ein Boot abzulassen, daran sei nun vollends nicht zu denken, die Brandung sei viel zu stark. »50. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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