Mit Fotos gegen Ess Störungen
Über Jahre haben drei junge Frauen gehungert. In Augsburg haben sie Hilfe gefunden. Nun haben sie ein Shooting gemacht und erlebt, wie unecht die Hochglanzfotos in Magazinen sind
„Irgendwann muss man sich entscheiden: Leben oder Magersucht.“Harte Worte aus dem Mund einer erst 19-Jährigen. Doch sie hat sich entschieden. Elena ließ sich behandeln, erlebte Rückfälle, begann wieder von vorn. Dass sie seit eineinhalb Jahren in der therapeutischen Wohngemeinschaft Papillon lebt, ist ein Glücksfall und ein enormer Fortschritt, sagt sie. Jetzt zeigt eine Fotoausstellung im Akti:f-Café (Klinkertorstraße 1), dass sie nicht nur wieder in den Spiegel schauen kann, sondern auch in eine Kamera.
Für sie sind diese Selbstbilder keine Selbstverständlichkeit. Das Shooting kosteten sie und ihre WGMitbewohnerinnen Lina und Anja Mut und Überwindung. „Essgestörte haben ein insgesamt angeknackstes Selbstbild. Ich schäme mich zum Beispiel immer, sobald sich eine Kamera auf mich richtet, lache nervös und fühle mich extrem unwohl“, erklärt Lina. Die Selbstzweifel sitzen tief, dafür liegen die Ansprüche an das eigene Aussehen umso höher.
Mit Hilfe einer professionellen Fotografin und einer Stylistin führte Eva Hirschmöller von der Medienstelle Augsburg die drei behutsam in das Projekt ein. „Ich wollte, dass die Mädchen einmal hinter den Kulissen der Hochglanzmagazine stehen und sehen können, wie künstlich und bearbeitet die Bilder der Frauen sind“, erzählt die Studentin. Dass das Aha-Erlebnis funktionierte, bestätigen die drei. Die Selbstreflexion während des Shootings und die Ef- fekte des Make-ups, aber auch die Software zur Fotobearbeitung hinterließen ordentlich Eindruck. „Wir wussten es nicht, haben aber jetzt auch emotional begriffen, dass diese Frauen alles andere als echt sind“, bestätigt Lina.
Lina ist 17 und lebt seit sechs Mo- naten in der Therapie-WG. Wie die beiden anderen stammt auch sie aus Baden-Württemberg und besucht in Augsburg ein Gymnasium. Als sie 14 war, begann sie mit dem Hungern. Doch jetzt will sie nach vorne blicken: „Augsburg tut mir gut“, sagt sie und grinst schelmisch. Sie will nicht wieder zurück nach Hause, sondern nach der Therapie hier ein neues Leben beginnen.
Anja (15) erzählt, sie sei bereits mit 13 magersüchtig gewesen. Zu Hause habe sie trotz mehrerer Klinikaufenthalte nicht aus dem Teufelskreis herausgefunden. Können nicht auch Eltern helfen? „Nein“, sagt sie bestimmt. Es braucht einen Anstoß von außen, denn die Familie sei ja oft Teil des Problems. In den Kliniken und auch in der jetzigen WG werden den zehn Bewohnerinnen klare Ansagen gemacht. Das ist notwendig, erklärt sie. „Wenn man nicht sterben will, muss man essen. Das ist die Voraussetzung. Auch wenn es in Stresssituationen schwerfällt, nicht ins Hungern zurückzufallen.“Wenn sie geheilt ist, will sie wieder zu ihren Eltern ziehen. Elena plant nach ihrem Abitur in diesem Jahr einen Südamerika-Aufenthalt. „In Deutschland ist Leistung enorm wichtig und das ist auch das Problem bei der Magersucht“erklärt sie. „Ich hing immer in der Dauerschleife ,Was hab ich heute schon gemacht, dass ich essen darf?‘ Ich muss nach dem Abi mal raus aus Deutschland.“
Alle drei wollen mit ihren Fotos Leidensgenossinnen zeigen: Es geht auch anders. „Man fühlt sich oft so hoffnungslos und alleine. Aber sich Hilfe zu holen, ist der erste Schritt, das Ruder herumreißen. Und dann muss man sich entscheiden: Will man gefangen sein oder leben. Unsere Fotos sind eine Station auf einem neuen Weg“, erklärt Elena.
Dass es vorwärtsgeht, zeigt auch die Fotoausstellung, die sie und zwei Kolleginnen aus der WG mit erarbeitet haben. Die drei jungen Frauen standen sowohl vor als auch hinter der Kamera, fingen sich gegenseitig mit lebendigen, berührenden Schnappschüssen ein. Großformatig sind die Ergebnisse jetzt im Akti:f-Café zu sehen.