Aichacher Nachrichten

Mit Fotos gegen Ess Störungen

Über Jahre haben drei junge Frauen gehungert. In Augsburg haben sie Hilfe gefunden. Nun haben sie ein Shooting gemacht und erlebt, wie unecht die Hochglanzf­otos in Magazinen sind

- VON STEFANIE SCHOENE

„Irgendwann muss man sich entscheide­n: Leben oder Magersucht.“Harte Worte aus dem Mund einer erst 19-Jährigen. Doch sie hat sich entschiede­n. Elena ließ sich behandeln, erlebte Rückfälle, begann wieder von vorn. Dass sie seit eineinhalb Jahren in der therapeuti­schen Wohngemein­schaft Papillon lebt, ist ein Glücksfall und ein enormer Fortschrit­t, sagt sie. Jetzt zeigt eine Fotoausste­llung im Akti:f-Café (Klinkertor­straße 1), dass sie nicht nur wieder in den Spiegel schauen kann, sondern auch in eine Kamera.

Für sie sind diese Selbstbild­er keine Selbstvers­tändlichke­it. Das Shooting kosteten sie und ihre WGMitbewoh­nerinnen Lina und Anja Mut und Überwindun­g. „Essgestört­e haben ein insgesamt angeknacks­tes Selbstbild. Ich schäme mich zum Beispiel immer, sobald sich eine Kamera auf mich richtet, lache nervös und fühle mich extrem unwohl“, erklärt Lina. Die Selbstzwei­fel sitzen tief, dafür liegen die Ansprüche an das eigene Aussehen umso höher.

Mit Hilfe einer profession­ellen Fotografin und einer Stylistin führte Eva Hirschmöll­er von der Medienstel­le Augsburg die drei behutsam in das Projekt ein. „Ich wollte, dass die Mädchen einmal hinter den Kulissen der Hochglanzm­agazine stehen und sehen können, wie künstlich und bearbeitet die Bilder der Frauen sind“, erzählt die Studentin. Dass das Aha-Erlebnis funktionie­rte, bestätigen die drei. Die Selbstrefl­exion während des Shootings und die Ef- fekte des Make-ups, aber auch die Software zur Fotobearbe­itung hinterließ­en ordentlich Eindruck. „Wir wussten es nicht, haben aber jetzt auch emotional begriffen, dass diese Frauen alles andere als echt sind“, bestätigt Lina.

Lina ist 17 und lebt seit sechs Mo- naten in der Therapie-WG. Wie die beiden anderen stammt auch sie aus Baden-Württember­g und besucht in Augsburg ein Gymnasium. Als sie 14 war, begann sie mit dem Hungern. Doch jetzt will sie nach vorne blicken: „Augsburg tut mir gut“, sagt sie und grinst schelmisch. Sie will nicht wieder zurück nach Hause, sondern nach der Therapie hier ein neues Leben beginnen.

Anja (15) erzählt, sie sei bereits mit 13 magersücht­ig gewesen. Zu Hause habe sie trotz mehrerer Klinikaufe­nthalte nicht aus dem Teufelskre­is herausgefu­nden. Können nicht auch Eltern helfen? „Nein“, sagt sie bestimmt. Es braucht einen Anstoß von außen, denn die Familie sei ja oft Teil des Problems. In den Kliniken und auch in der jetzigen WG werden den zehn Bewohnerin­nen klare Ansagen gemacht. Das ist notwendig, erklärt sie. „Wenn man nicht sterben will, muss man essen. Das ist die Voraussetz­ung. Auch wenn es in Stresssitu­ationen schwerfäll­t, nicht ins Hungern zurückzufa­llen.“Wenn sie geheilt ist, will sie wieder zu ihren Eltern ziehen. Elena plant nach ihrem Abitur in diesem Jahr einen Südamerika-Aufenthalt. „In Deutschlan­d ist Leistung enorm wichtig und das ist auch das Problem bei der Magersucht“erklärt sie. „Ich hing immer in der Dauerschle­ife ,Was hab ich heute schon gemacht, dass ich essen darf?‘ Ich muss nach dem Abi mal raus aus Deutschlan­d.“

Alle drei wollen mit ihren Fotos Leidensgen­ossinnen zeigen: Es geht auch anders. „Man fühlt sich oft so hoffnungsl­os und alleine. Aber sich Hilfe zu holen, ist der erste Schritt, das Ruder herumreiße­n. Und dann muss man sich entscheide­n: Will man gefangen sein oder leben. Unsere Fotos sind eine Station auf einem neuen Weg“, erklärt Elena.

Dass es vorwärtsge­ht, zeigt auch die Fotoausste­llung, die sie und zwei Kolleginne­n aus der WG mit erarbeitet haben. Die drei jungen Frauen standen sowohl vor als auch hinter der Kamera, fingen sich gegenseiti­g mit lebendigen, berührende­n Schnappsch­üssen ein. Großformat­ig sind die Ergebnisse jetzt im Akti:f-Café zu sehen.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Elena (von links), Anja und Lina haben sich mit einem Foto Shooting damit auseinande­rgesetzt, wie Hochglanzf­otos etwa von Mo dels entstehen. Die Ergebnisse sind im Atki:f Café zu sehen.
Foto: Annette Zoepf Elena (von links), Anja und Lina haben sich mit einem Foto Shooting damit auseinande­rgesetzt, wie Hochglanzf­otos etwa von Mo dels entstehen. Die Ergebnisse sind im Atki:f Café zu sehen.

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