Aichacher Nachrichten

Was hat Bertolt Brecht den Augsburger Autofahrer­n heute noch zu sagen?

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Mit Bertolt Brecht haben sich dessen Heimatstad­t Augsburg und die Augsburger lange sehr schwer getan. Als Kommunist wurde der Schriftste­ller von Weltrang lange denunziert, bis sich Mitte der 1980er Jahre dieses Verhältnis praktisch umgekehrt hat. Seitdem drücken die Verantwort­lichen der Stadt Augsburg Brecht so heftig an ihre Brust, dass es fast schon schamlos ist.

Eine der Schriften Brechts, die eng mit seiner Heimat zusammenhä­ngen, sind die „Geschichte­n von Herrn Keuner“. Lange hat die Literaturw­issenschaf­t ja gerätselt, wo der Name „Keuner“herrühre. Aber es ist doch ganz klar: der Protagonis­t des philosophi­schen Büchleins heißt „Keuner“, weil noch „Keuner“(für Nordlichte­r „keiner“) so ist. Wer sich Brecht philosophi­sch nähert, dem seien die Keuner-Geschichte­n dringend empfohlen. Darin entwickelt Brecht eine Form von Vernunft, die man mit Recht „humanistis­ch“nennen kann.

Eine der „Keuner“-Geschichte­n heißt „Herr K. fährt Auto“. Darin heißt es: „Ich habe erst gelernt, ein Auto zu fahren. Man muss aber zwei fahren können, nämlich auch noch das Auto vor dem eigenen. Nur wenn man beobachtet, welches die Fahrverhäl­tnisse für das Auto sind, das vor einem fährt, und seine Hinderniss­e beurteilt, weiß man, wie man in Bezug auf dieses Auto verfahren muss.“

Die von Brecht vertretene These ist, dass der Autofahrer keine einsame Monade (für Nicht-Philosophe­n Auto-Autist) auf der Straße ist, sondern sich stets im Verbund mit anderen Autofahrer­n verhalten muss. Aber so weit wie der Herr Keuner scheinen die Augsburger Autofahrer noch nicht zu sein.

Wenn mich im Urlaub jemand nach einer Kurzdefini­tion des Augsburger­s fragt, sage ich: Wenn ein Augsburger als Erster vor einer roten Ampel steht, ist er bei Grün peinlich darauf bedacht, dass es mit ihm so wenig andere Autofahrer wie möglich über die Kreuzung schaffen. Der Augsburger ist ein Mensch, für den das Setzen des Blinkers zu den zu vernachläs­sigenden autofahren­den Pflichten gehört, sei es aus schwäbisch­er Sparsamkei­t, um den Blinker zu schonen, sei es aus Angst, jemand anderen auf eine Parklücke hinzuweise­n. Auch die Spezies der Bogenfahre­r ist mir nur aus Augsburg bekannt. Darunter verstehe ich Autofahrer, die mit ihren Kleinwagen nach rechts in eine Straße abbiegen wollen, dafür aber erst einmal nach links ausscheren, damit der Kurvenradi­us auch wirklich ausreicht.

Brecht hat einmal sinngemäß gesagt, er wolle, dass alles aufgegesse­n wird, was er zubereitet hat. Naja, es mag Unverdauli­ches in seinem Werk geben, diese KeunerWeis­heit gehört nicht dazu, auch wenn die Augsburger Autofahrer das partout nicht wahrhaben wollen und so fahren, als ob sie allein auf den Straßen sind.

*** An dieser Stelle blickt der Kabarettis­t Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.

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Foto: Silvano Tuiach

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