76 Jährige lebt nach Überfall in ständiger Angst
Ein 20-Jähriger überfiel die Seniorin in ihrer Wohnung. Als er festgenommen wurde, gelang ihm die Flucht
Seine Festnahme im vorigen September war Routine. Doch als der 20-Jährige, an Händen gefesselt, im Augsburger Polizeipräsidium zum Erkennungsdienst geführt wurde, gelang ihm die Flucht. Als er an einem Zimmer vorbeikam, dessen Fenster offen stand, rempelte er den ihn begleitenden Beamten an und sprang aus dem ersten Stock auf den Gehweg an der Gögginger Straße.
Nur 30 Minuten später lief der Flüchtende im Zuge der Großfahndung drei Polizisten in die Arme, die ihn am Wertach-Wehr festnahmen. Verblüfft stellten sie fest: Er trug andere Kleidung. Hose und Hemd hatte er auf seinem Fluchtweg von einer Wäscheleine geklaut.
Der junge Marokkaner stand am Donnerstag vor einem Schöffengericht und wurde verurteilt. Für dreieinhalb Jahre muss er ins Gefängnis. Doch seine Flucht spielte im Prozess nur eine untergeordnete Rolle. Denn zwei Wochen, bevor ihn die Polizei in einer Asylunterkunft im Landkreis Günzburg erstmals festnahm, hatte er im Augsburger Stadtteil Pfersee nachts eine Frau in ihrem Wohnhaus überfallen und verletzt. Die 76-Jährige kam mit ihrem Enkel, der an diesem Tag seinen Geburtstag feierte, gegen 23 Uhr nach Hause. Der 14-Jährige sollte bei ihr übernachten. Als es klingelte, hörte sie über die Sprechanlage nur Wortfetzen eines Mannes. Sie glaubte „Licht“und „Auto“zu verstehen. Als sie die Haustür einen spaltbreit öffnete, wurde diese mit Wucht aufgestoßen. Der Unbekannte versetzte ihr einen Faustschlag ins Gesicht, der ihre Brille zertrümmerte. Der Täter drückte ihr mit dem Arm den Hals zu – bis ihr Enkel, alarmiert durch ihre Hilfeschreie, aus dem Bad kam. Der Täter flüchtet.
Erkennbar aufgewühlt sagte die Zeugin jetzt im Prozess: „Ich dachte, er macht mich weg.“Und als Richter Günther Baumann nachfragt: „Ich habe Todesangst gehabt.“Ihr Auftritt vor Gericht verriet: Die Augsburgerin ist seit dem Überfall schwer traumatisiert. Aufgeregt berichtete die Zeugin: „Bei jedem Klingelton habe ich heute Angst, schlafe schlecht.“Sie traue sich nachts nicht mehr allein aus dem Haus.
Dass der Angeklagte den Überfall verübt hat, stand schon früh fest. Seine DNA wurde unter Fingernägeln seines Opfers gefunden. Denn der 20-Jährige, der als Jugendlicher mit Hilfe von Schleppern nach Deutschland kam, ist für die Justiz ein alter Bekannter. In den letzten zwei Jahren stand er in Günzburg, Memmingen und Augsburg allein sechs Mal vor Gericht. Immer wegen Diebstählen. Zuletzt war er am 17. August 2016 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Nur zwei Wochen später überfiel er die Augsburgerin in ihrem Haus.
Und warum? Der Angeklagte und sein Verteidiger stellten im Prozess das Geschehene als Missverständnis dar. Sein Mandant, so Anwalt Jörg Seubert, habe geglaubt, in dem Haus wohne ein Landsmann, den er habe zur Rede stellen wollen. Doch weder Staatsanwaltschaft noch Gericht überzeugten sie. Wie Richter Baumann im Urteil feststellt, hat sich der Angeklagte des versuchten Raubs und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Der 20-Jährige hatte das Haus vermutlich schon länger beobachtet und wusste, dass die Seniorin alleine lebt. Staatsanwalt und Gericht bescheinigten dem Angeklagten „ein hohes Maß an schädlichen Neigungen“. Der Marokkaner saß bereits im jugendlichen Alter, als er noch in Casablanca lebte, im Gefängnis.