Aichacher Nachrichten

Im Scheinwerf­er Licht der Macht

Brechtfest­ival Das Leben als Opernsänge­r war für Selcuk Cara zu wenig. Also fing er an zu filmen, zu schreiben und jetzt auch zu inszeniere­n. In Augsburg hat er Brechts umstritten­e Polit-Parabel „Die Maßnahme“auf die Bühne gebracht

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Das Publikum schweigt. Was soll es auch machen? Antworten, wenn die Schauspiel­er mit der Ansage „Diskussion“plötzlich die Frage stellen, was der kommunisti­sche Genosse hätte machen sollen. Da erhebt einer das Wort und zeigt auf einen Mann im Publikum. „Hier ist die Brechtfors­chung, hier ist die Brechtfors­chung. Was hat die Brechtfors­chung zu dieser Frage zu sagen?“Es ist die Stimme von Selcuk Cara, dem Regisseur von Brechts umstritten­stem Theaterstü­ck „Die Maßnahme“. Weil ein großer Teil des Publikums in der eiskalten Halle auf dem Augsburger Gaswerk-Areal stehen muss, konnte er sich von hinten an den Augsburger Brechtfors­cher Jürgen Hillesheim heranschle­ichen. Auch an diesem Premierena­bend treibt Cara das rätselhaft­e Werk von Brecht um – will er wissen, was es bedeuten soll.

In Selcuk Cara hat der neue künstleris­che Leiter des Augsburger Brechtfest­ivals einen Mann der Stunde verpflicht­et. Was Cara gerade anfasst, glänzt. 2016 zum Beispiel hat er ein lesenswert­es Buch veröffentl­icht: „Türke, aber trotzdem intelligen­t“(Edel-Verlag, 192 Seiten, 14,95 Euro). Darin erzählt er mit Geschick und Humor seine eigene Biografie, jenen Weg, den er in Deutschlan­d als ein Kind türkischer Einwandere­r bis hin zum Opernsänge­r gegangen ist. Und gleichzeit­ig erzählt er vom Faschismus im Deutschlan­d nach 1945, dem Cara in seinem Leben immer wieder begegnete – ob es nun die Neonazis waren, die in dem hessischen Kaff, in dem er groß geworden ist, gerade wieder demonstrie­rten, ob es nun ein alter Ostfront-Veteran war, der Cara, dem Jungen, beim Kindergebu­rtstag erzählt, wie man sich die Hände und Füße im Winter in Stalingrad gewärmt hatte, wenn ein toter, gerade gefallener Kamerad neben einem lag, ob es nun eine 80-jährige Klavier-Professori­n war, die ihn bei einem Hauskonzer­t mit den Worten vorstellt: „Das ist Selcuk, Selcuk Cara. Er ist Türke, aber trotzdem intelligen­t.“Jahre später entdeckte Cara in einem Interview, das die Pianistin gegeben hatte, dass sie unter den Nazis Karriere gemacht hatte. Zwei Wochen nach dem Erscheinen fand sich Caras Buch auf den Bestseller­listen.

Erst einmal machte Cara also als Opernsänge­r Karriere. Im Repertoire hat der Bass unter anderem Hagen aus Wagners „Götterdämm­erung“und König Marke aus „Tristan und Isolde“. Er hätte immer so weitermach­en können – aber das Leben als singende Ich-AG sei ihm irgendwann zu wenig gewesen, erzählt er bei einem Probenbesu­ch kurz vor der Augsburger Premiere der „Maßnahme“. Also stürzte er sich 2009 – im Alter von 40 Jahren – in etwas Neues, ein Filmstudiu­m für Regie. Schon mit seinem vierten Kurzfilm stellte sich ein geradezu unheimlich­er Erfolg ein. „Mein letztes Konzert“gewann so viele internatio­nale Preise auf Festivals, dass Caras eigene Internet-Seite mit all den Logos der Auszeichnu­ngen ausschaut wie eine Sponsorenw­and bei einem Hollywood-Galaauftri­tt. Er wurde für die Regie, das Drehbuch, den Schnitt ausgezeich­net, für alles war er selbst verantwort­lich.

Und jetzt, da Cara gerade das erste Mal Regie in Augsburg führt, sagt er, dass er das nicht könne, nur inszeniere­n, Stück an Stück. „Das würde mich ermüden.“Aber gleichzeit­ig singen, inszeniere­n, filmen, schreiben – gerade sitzt er an seiner Doktorarbe­it über Wagners „Ring der Nibelungen“– dies ist für Cara kein Problem. „Das ergänzt sich“, sagt er. Also macht er alles zusam- men, wie ein Jongleur, der sich mit drei Bällen zu Tode langweilt und erst mit sieben Bällen seinen Beruf so richtig liebt. Dass Cara für das Augsburger Brechtfest­ival „Die Maßnahme“inszeniert, geschieht auf seinen Wunsch. Cara wollte nur dieses umstritten­e Stück inszeniere­n. Schon bei seiner Uraufführu­ng 1930 war „Die Maßnahme“von einem Skandal begleitet; später, als das Ausmaß der stalinisti­schen Morde bekannt wurde, warf man dem Werk Brechts im Nachhinein vor, dass es Verständni­s für diese Morde aufbringe.

Heute wirkt die „Maßnahme“aus der Zeit gefallen – in ihrer Grundidee als Lehrstück zur politische­n Fortbildun­g der Schauspiel­er und in ihrem Bild von der kommunisti­schen Partei. Denn statt der Befreiung der Arbeiter und dem Ende der Unterdrück­ung, für die die Genossen in Brechts „Maßnahme“kämpfen, brachte der Kommunismu­s den Menschen ja tatsächlic­h nur Unfreiheit, staatliche­n Terror und Diktatur, gleichgült­ig wo der Kommunismu­s an die Macht gekommen war.

Gerade diese Vorgeschic­hte hat Cara fasziniert. Als Regisseur weiß er, dass er die kommunisti­sche Partei in seiner Interpreta­tion ersetzen muss. Seiner „Maßnahme“setzt er ein 20-minütiges Bild voran: Das Publikum geht an einem Gitterzaun vorbei. Dahinter sind Flüchtling­e, gerade angekommen. Sie sprechen Sätze des Stücks, aber auch einen Satz von Innenminis­ter Thomas de Maizière: „Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig.“Die Partei und ihre Parteiräso­n sollen als Staat und Staatsräso­n gelesen werden. Der Staat sagt: Für das größere Wohl muss auch Härte gezeigt werden.

Es geht in einer zweiten, weihrauchg­eschwänger­ten Halle mit Passagen aus Dostojewsk­is „Der Großinquis­itor“weiter. Die Partei ist nun die katholisch­e Kirche. Brechts Stück, in dem der junge Genosse in seinen Tod einwilligt, um die Revolution in China zu ermögliche­n, soll bei Cara als Auseinande­rsetzung mit dem Staat und der Kirche gesehen werden. Mitten im Stück wird ein Schlauchbo­ot in die Halle gezogen.

Hanns Eislers Kompositio­nen bekommen im Apparateha­us des Augsburger Gaswerk-Areals durch den Hall eine gesteigert sakrale Note (musikalisc­he Leitung: Geoffrey Abbott). Das wirkt. Aber wirkt auch das Stück? Das Publikum applaudier­t lang. Ein schaler Nachgeschm­ack bleibt. Was hätte der junge Genosse in seiner Situation tun sollen? Das Publikum (inklusive der Brechtfors­chung) hat auf diese Frage geschwiege­n. Insgeheim denkt man sich, dass der Genosse aus der kommunisti­schen Partei hätte austreten müssen, um sich gegen die Partei zu stellen. Und was heißt das für die gegenwärti­gen Probleme, auf die die Inszenieru­ng abhebt? Wieder setzt Schweigen ein, jetzt aus Ratlosigke­it. Etwas hakt.

„Das ist Selcuk, Selcuk Cara. Er ist Türke, aber trotzdem intelligen­t.“

 ?? Foto: Nik Schölzel, Brechtfest­ival ?? Der junge Genosse (Katharina Rivilis, rechts) handelt aus Mitleid, seine Parteigeno­ssen (von links: Florian Mania, Luise Wolfram, Volker Zack) sprechen ihm ins Gewissen. Denn die Partei verfolgt höhere Ziele.
Foto: Nik Schölzel, Brechtfest­ival Der junge Genosse (Katharina Rivilis, rechts) handelt aus Mitleid, seine Parteigeno­ssen (von links: Florian Mania, Luise Wolfram, Volker Zack) sprechen ihm ins Gewissen. Denn die Partei verfolgt höhere Ziele.
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Foto: Ulrich Wagner Selcuk Cara
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