Der Polizistenlautsprecher wird kleinlaut
Vor seiner Gehaltsaffäre glänzte Polizeigewerkschafter Rainer Wendt als Medienprofi. Wie glaubwürdig ist er noch?
Ihm seien Leute suspekt, wie jemand, der „als Besserwisser mit moralischer Attitüde im TVStudio auftritt“, sagte Rainer Wendt kürzlich, als er sein Buch „Deutschland in Gefahr“vorstellte. Jetzt sieht sich der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft selbst jenem Vorwurf der Doppelmoral ausgesetzt, mit dem er damals den Grünen Volker Beck bedacht hatte.
Seit herauskam, dass der VollzeitGewerkschafter Wendt ohne Arbeitsgegenleistung nebenbei vom Staat noch einen Polizeibeamtensold bezieht, muss der 60-jährige Verfechter einer Null-Toleranz-Politik dagegen kämpfen, nicht ebenfalls in die Reihe der Talkshow-Scheinheiligen gestellt zu werden: So wie es etwa Beck als überführtem Konsumenten der Hardcore-Droge „Crystal Meth“erging. Oder zuvor dem Steuersünder Uli Hoeneß und einst Michel Friedman nach dessen Kokain-Rotlichtaffäre. Doch anders als die Letztgenannten hat sich Polizist Wendt nach Lage der Dinge rechtlich nichts zu Schulden kommen lassen. Die moralische Seite sieht dagegen komplizierter aus.
Es geht um Grundsatzfragen der Glaubwürdigkeit. Leute wie Wendt werden heutzutage oft „Lautsprecher“genannt: Der Funktionär vertritt die Interessen seiner Gewerkschaftsmitglieder zugespitzt und omnipräsent in den Medien. So sehr, dass wenige wissen, dass seine Deutsche Polizeigewerkschaft – abgekürzt DPolG – mit ihren 94000 Mitgliedern die kleinere Polizeimitarbeiter-Vertretung ist – hinter der fast doppelt so großen Gewerkschaft der Polizei, GdP. Umso härter dürfte es Wendts Gewerkschaftsmitglieder treffen, dass der Medienprofi vor laufender Kamera beinahe als Lügner vorgeführt wurde.
Reporter des Bayerischen Rundfunks, die Wind von Wendts umstrittenem Beamtensold bekommen hatten, trieben den Hauptkommissar wie in einem Fernsehkrimi-Verhör in die Enge: „In Duisburg sind Sie noch Polizist?“, fragt der Reporter im Video. „Ja“, sagt Wendt mit stolzem Lächeln wippend in seinem Bürostuhl. „Natürlich arbeite ich dort nicht aktiv. Aber ich bin in einer Landesoberbehörde.“In einem „speziellen Beschäftigungsverhältnis“, fügt er hinzu. Er bekomme dort aber kein Gehalt, fragt der Reporter. „Nein ich bekomme mein Gehalt hier von der Gewerkschaft.“Der Reporter will es genau wissen: „Sie bekommen dort von Ihrer Dienststelle, für die Sie teilzeitbeschäftigt sind, kein Geld?“Wendt: „Nein!“Nachfrage: „Sicher nicht?“Wendt schüttelt den Kopf: „Nein.“
Als die Journalisten von „Report München“auf dem Heimweg sind, ruft Wendt sie zurück, um doch noch mit der Wahrheit herauszurücken. „Tut mir leid“, ist zu hören. „Sie wollten etwas korrigieren?“Wendt: „Ja. Ich bin beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste beschäftigt, mit einer Teilzeitbeschäftigung mit 28 Wochenstunden, und beziehe dort auch noch ein teilweises Gehalt.“Was er dafür mache, will der Reporter wissen. „Ich repräsentiere meine Gewerkschaft. Und, äh, mit Billigung, äh, meines Ministers und meiner Behörde mache ich meine Arbeit hier.“
Seitdem ist der Polizistenlautsprecher Wendt ziemlich kleinlaut. Auf Anfragen reagiert der sonst sehr gesprächige Interviewpartner nicht. Nur der Bild-Zeitung gab er ein kurzes Statement zu seiner Falschaussage vor der Kamera: „Das war ein klarer Fehler von mir, dazu stehe ich. Ich habe ihn sofort korrigiert.“Dass er trotz Freistellung als Beamter weiterbezahlt wurde, sei „in NRW seit Jahren geübte Verwaltungspraxis“, so Wendt. Er habe auch kein doppeltes Gehalt bezogen. Die Gewerkschaft hat demnach den Rest für sein volles Einkommen draufgezahlt. Wendt: „In der Summe ist das nicht mehr als mein eigentliches Gehalt von 4400 Euro brutto als Polizeihauptkommissar.“
Das ist jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch: In Gewerkschaftskreisen gilt es als Sakrileg, ja gar als Verrat an den Arbeitnehmerinteressen, wenn sich ein von der Gewerkschaft finanzierter Funktionär von der Gegenseite der Arbeitgeber bezahlen lässt. Zugleich ist es rechtlich fragwürdig, wenn der Staat verdeckt Gewerkschaftsarbeit finanziert. Genau deshalb setzt der Fall des CDU-Mitglieds Wendt nun den SPD-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger, unter Druck. Er stoppte für die Zukunft Freistellungen wie im Fall Wendt und kündigte eine Überprüfung an.
Ein Abgeordneter der Linkspartei stellte gegen SPD-Minister Jäger nun Strafanzeige wegen Untreue.
Vor laufender Kamera beinah als Lügner vorgeführt