Was hat Metz, was Paris nicht hat?
Vom Charme der zweiten Reihe. Acht Tipps für Entdeckungen abseits der Metropolen. Denn in deren Schatten findet man oft wahre Perlen
1 In Norwegen
Nein, mal nicht das malerisch schöne Bergen oder der Stadt gewordene Nachweis, dass die Worte Metropole und Entspanntheit vereinbar sind, Oslo. Es geht weiter in den Norden, dorthin, wo sonst nur landet, wer Richtung Nordkap unterwegs ist, mindestens. Willkommen in Tromsø. Wer Sehenswürdigkeiten braucht, kann sich die eisbergförmige Eismeerkathedrale ansehen, ins arktische Erlebniszentrum „Polaria“gehen oder mit der Seilbahn auf den Fjellheisen fahren und von oben bestaunen, wie großartig an den Fjord drapiert die 70 000-Einwohner-Stadt liegt. Und kann dann wieder runterspazieren, über diese Brücke und in der Mitte die großen Schiffe unter sich durchfahren lassen… „Northernmost“ist hier irgendwie alles, die Kathedrale wie die Universität, die nördlichsten ihrer Art in der Welt. Von hier aus brachen legendäre Expeditionen wie die von Amundsen und Nansen Richtung Nordpol auf. Aber am schönsten ist Tromsø in seiner Alltäglichkeit: ein Tag im Hafen hat tausend Lichtwechsel, die Holzsiedlungshäuschen haben hundert Farben, der Norweger nicht mehr als zehn Worte am Tag (dafür kostet das Bier in der Kneipe auch zehn Euro). Die Wildnis ist gleich da draußen, in Blickweite, das macht dieses Städtchen so lebendig. Der Sommer ist Tag, der Winter ist Nacht, 20 Grad sind das reinste, seltene Sonnenglück, und das Glück der Dunkelheit ist der Sternenglanz, reflektiert von Schnee. Und dann und wann ein Nordlicht überm Fjord von Tromsø. Wolfgang Schütz
2 In England
Manchester hat jede Menge Städtetouristen, aber ganz viele von ihnen kommen gar nicht wegen der Stadt. Mit United und City haben gleich zwei der bekanntesten Rasensport-Unternehmen des Landes ihren Sitz hier. Dabei lohnt sich ein Trip nach Manchester auch – oder gerade –, wenn kein Fußballspiel stattfindet. Welche andere Stadt hat in den vergangenen 200 Jahren so extreme Häutungen durchlebt? Die Wiege der Industrialisierung stand hier. Baumwoll-Spinnerei und -Handel brachten das große Geld. Was sie auch brachten waren Elendsquartiere, Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitsmigranten. Engels verbrachte fast sein ganzes Leben hier. Heute sind in den Warenhäusern und Fabriken der ehemaligen Textilviertel Lofts, Restaurants und Läden. Manchester gilt als heimliche Forschungs- und Kulturhauptstadt. Ihre Geschichte lässt sich, fauchende Dampfmaschinen inklusive, im Museum of Science and Industry nacherleben. Ihr kultureller Reichtum am besten erschmecken, in Chinatown oder, ganz traditionell, im „Marble Arch“(73 Rochdale Road), einer Pub-Institution. Wenn die Kondition reicht, endet der Tag mit einem Konzert in der Albert Hall. Die Methodisten-Kirche stand 40 Jahre leer, bevor sie als Club wiedereröffnet wurde, Orgel und Empore inklusive. Wenn nach einer durchfeierten Nacht die Sonne wieder durch die Kirchenfenster scheint, und die Tanzfläche in milchiges Licht taucht, wankt man müde zurück ins Hotel.
Matthias Zimmermann
3 In Polen
Die Wawel-Kathedrale, in der Polens Monarchen gekrönt wurden und heute begraben liegen. Die Marienkirche, aus deren Nordturm seit dem 14. Jahrhundert zu jeder vollen Stunde ein Turmbläser ein Trompetensignal spielt. Der Bischofspalast, von dessen Papstfenster aus Johannes Paul II. so oft gesprochen hat. Wegen all der Kirchen und christlich-sakralen Orte trägt Krakau auch den Beinamen „polnisches Rom“. Doch die Stadt an der Weichsel hat auch über die wunderschöne Altstadt hinaus viel zu bieten.
Schrecklich, aber interessant, ist die jüdische Geschichte der Stadt. Vom jüdischen Getto selbst ist nicht mehr viel zu erkennen, doch ein beeindruckendes Mahnmal am „Platz der Gettohelden“erinnert an die deportierten Juden. Auf dem ganzen Platz verteilt stehen metallene Stühle, welche die Habseligkeiten, die die Ermordeten zurückließen, symbolisieren. Oskar Schindlers Emaille-Fabrik, in der er rund 1200 bei ihm angestellte Juden vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten rettete, ist heute ein Museum.
Steven Spielberg drehte seinen Film „Schindlers Liste“im angrenzenden Stadtteil Kazimierz. Das frühere jüdische Viertel ist besonders abends das Ziel der jüngeren Einwohner Krakaus. Rund um den „Plac Nowy“, in dessen Mitte ein ehemaliges koscheres Geflügelschlachthaus steht, gibt es unzählige Clubs, Konzertsäle und außergewöhnliche Bars. In der Singer-Bar etwa sitzen die Kunden statt an normalen Tischen an antiken Nähmaschinen. Jakob Stadler
4 In Frankreich
Auch wenn Metz schon seit Jahren auf dem Weg zu neuer urbaner Blüte in einer darbenden Region Frankreichs gewesen ist – mit der Eröffnung eines Ablegers des berühmten Pariser Centre Pompidou hat die Metropole Lothringens und Universitätsstadt sichtbar an Attraktivität und Ausstrahlung gewonnen. Das spektakuläre Museumsgebäude mit seinem auffälligen ausladenden Zeltdach, entworfen von den Architekten Shigeru Ban und Jean de Gastines, steht symbolhaft für den Aufschwung von Metz. Dazu passt, dass der örtliche Fußballverein FC Metz inzwischen wieder in der ersten französischen Liga kickt.
Die Stadt an der Mosel, in der sich noch immer viele Verweise auf die Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Reich (1871 bis 1918) finden lassen (ganz besonders im wilhelminisch geprägten Bahnhofsviertel – noch in den 1920er Jahren war jeder dritte Einwohner deutschsprachig), wird beherrscht von der imposanten gotischen Kathedrale Saint-Etienne aus gelbem Kalkstein, die zu den schönsten in Frankreich gehört. Keine Kathedrale hat mehr Glasmalereien als die von Metz – und die Fenster von Marc Chagall gehören zu den großen Sehenswürdigkeiten. Mit seiner großen Fußgängerzone und den schönen städtischen Parks lädt Metz, das man von Saarbrücken aus in 45 Minuten über die Autobahn erreicht, Flaneure ein, denen es bis Paris zu weit ist. Wer an einem schönen Tag im Straßencafé sitzt, spürt das jugendliche Flair der zweitausend Jahre alten Stadt. Michael Schreiner
5 In Österreich
Graz ist schräg. Das sieht man schon aus der Ferne am Wahrzeichen, dem Uhrturm (Grazer nennen ihn „Uhrduarm“). Er zeigt vom Schlossberg aus die Zeit an – allerdings die Stunden mit dem großen und die Minuten mit dem kleinen Zeiger. Noch ein schräges Beispiel: das Kunsthaus. Das Gebäude von Peter Cook und Colin Fournier wird „Friendly Alien“genannt, weil es mit seiner blauen, rundlichen Plexiglasfassade wie ein freundlicher Außerirdischer in der Altstadt liegt, herausragt, irgendwie schön und stilvoll stört. Es zeugt von Freude an guter Architektur und Mut zu Neuem, wenn eine Stadt so etwas ermöglicht. Man könnte jetzt noch eine Weile von tollen Gebäuden und der legendären „Grazer Schule“sprechen, aber dann würde das Leben in Österreichs zweitgrößter Stadt zu kurz kommen. Und das wäre schade. Also ab an eine der Würstelbuden in der Innenstadt, sich vom frischen Meerrettich (grazerisch: Kreeen) die Nase „freibusten“lassen und den Leuten lauschen. Unbedingt auch: Kürbiskernöl kosten. Das packen die Grazer in eh alles – Rührei, Quark (grazerisch: Dopfen) oder auch auf Vanilleeis. Passt! „Graz ist anders. Graz darf alles“– lautete das Motto des Kulturhauptstadtjahres 2003. In der Tat: Graz ist eine interessante Melange aus konservativ und rebellisch, provinziell und weltoffen und dabei lässiger und weniger etepetete als die große Schwester Wien. Lieblings-Grazer Tom (grazerisch: „Domm“) fasst das so zusammen: „Graz hat Schmäh.“Lea Thies
6 In Italien
Bologna ist so ein typischer Fall. Da brettern immer alle auf der Autostrada vorbei, entweder linksherum auf der E35 Richtung Florenz und weiter bis nach Rom oder rechtsherum Richtung Meer – und ahnen nicht, was sie verpassen. Wie schade. Bologna ist so selbstverständlich schön, wie es eigentlich nur italienische Städte sein können. Natürlich muss man sich Bologna erlaufen, nur so findet man die beste Eisdiele der Welt, die Sorbetteria Castiglione in der Via Castiglione oder bleibt in einer engen Altstadtgasse in der Bar des spektakulären Feinkostgeschäftes Tamburini in der Via Caprarie hängen, wo die Schinken von der Ladendecke herabhängen. Bologna ist ein Schlaraffenland für Feinschmecker und Genussmenschen. Dreht sich mal wieder alles nur ums Essen? Aber natürlich! Schließlich ist Bologna genau dafür berühmt. La Grassa, die Fette, lautet der Spitzname der Stadt. Die Sauce Bolognese wurde hier erfunden, claro! Die üppige Mortadella aber auch.
Dass Bologna auch die älteste Universitätsstadt Europas ist, wird oft erst an zweiter Stelle genannt. Und natürlich erreicht man sie am besten zu Fuß durch eine der Arkaden, für die Bologna ebenfalls berühmt ist. 38 Kilometer ist das Netz der Bogengänge lang. Davon kann man sich am besten einen Überblick verschaffen, wenn man auf den Geschlechterturm Torre Asinelli steigt. In der Ferne sieht man die leicht gewellten Hügel der Emilia Romagna und auch die E 35, auf der alle an Bologna vorbeirasen. Doris Wegner
7 In Portugal
Nein, das auf dem Bild ist nicht Venedig. Diese Gondeln legen in Aveiro ab. Aveiro? Ein Städtchen im Zentrum Portugals, auf den ersten Blick nicht besonders einladend. Dafür auf den zweiten, rund um die Kanäle, wo sich Häuser aus der Zeit des Jugendstils im Wasser spiegeln – mit und ohne Azulejos, den typischen Fliesen. Moliceiros heißen die Boote, in denen Touristen sich bis zur ehemaligen Keramikfabrik schippern lassen können, wo heute das Kongresszentrum untergebracht ist. Spätestens jetzt sind sie dem Charme des Städtchens erlegen und entdecken bei einem Bummel durch die Gassen kleine Läden und mächtige Kirchen. Entlang der Kanäle haben sich teure Boutiquen und trendige Cafés angesiedelt. Eines der besten Restaurants aber liegt außerhalb der hippen Zone, am Kanal Sao Roque: Im Salpoente bringt der junge Chef in trendigem Ambiente das Beste auf den Tisch, was Portugal zu bieten hat. Hier kann man sich Aveiro buchstäblich auf der Zunge zergehen lassen. Wer jetzt auf den Geschmack des Meeres gekommen ist, muss sich noch einmal auf den Weg machen und rausfahren an die Küste, zur Praia da Costa Nova. Hier ist alles gestreift – in Weiß und Blau, oder auch in Bunt. Die einst von Fischern errichteten Holzhäuser sind heute die fotogensten Ferienhäuser, die man sich vorstellen kann. Noch dazu bieten sie den Blick auf die von Schilfgras gekrönten Dünen und den langen, weißen Sandstrand. Mehr kann man nicht wollen. Lilo Solcher
8 Auf Teneriffa
Schon Alexander von Humboldt schwärmte vor über 200 Jahren davon, wie reizvoll La Orotava liegt. Sehenswert ist die Stadt auf Teneriffa für den Ausblick auf das von Humboldt gepriesene Orotava-Tal sowie ihre Stadtpalais mit den kunstvollen Holzbalkonen. Abseits der Touristenhochburgen ist das Klima im Norden der kanarischen Insel mild und feucht. Kein Wunder, dass sich die Spanier hier einst ansiedelten und eine herrliche Kolonialstadt errichteten. Sie bauten in dem fruchtbaren Tal Zuckerrohr an, das sie über den Atlantik in die ganze Welt verschifften.
Noch heute zeigt sich der historische Kern von La Orotava weitgehend intakt. Er wird als Teil des europäischen Kulturerbes geschützt. Bei einem Bummel durch die bisweilen steilen Straßen sehen Besucher zahlreiche prächtige Hausfassaden mit kunstvoll verzierten Holzbalkonen. Sehenswert ist etwa das Casa de los Balcones, ein Haus aus dem 17. Jahrhundert und ein Sinnbild für kanarische Architektur. Im Innenhof kann man außerdem zusehen, wie traditionelle Stickereien angefertigt werden.
Halt sollten Besucher bei ihrem Rundgang durch die Stadt auch am neoklassizistischen Rathaus und dem Plaza de la Constitución machen. Wegen des Ausblicks auf die Stadt, das Umland und die Küste wird der blumengeschmückte Platz oft als Balkon der Stadt bezeichnet. Weitere Plätze, mehrere Gärten und Cafés laden inmitten historischer Gemäuer zum Verweilen in La Orotava ein. Laura Jocham