Er sitzt 528 Stunden pro Jahr im Zug
Für immer mehr Menschen sind Wohn- und Arbeitsort nicht identisch. Für einen guten Job und eine passende Wohnung wird gependelt. Moritz von Hofer erzählt, warum er jeden Tag die Fahrt nach München auf sich nimmt
Moritz von Hofer wird im Jahr 2017 rund 528 Stunden im Zug verbringen. Nicht am Stück, sondern in der Addition seiner Fahrten. Nein, er ist nicht Lokführer in Teilzeit und, nein, er strebt auch keinen Eintrag ins Rekordbuch an. Moritz von Hofer ist Pendler. Sein Arbeitgeber sitzt in München. Er wohnt in Augsburg. „Ich kann nicht sagen, dass ich gerne täglich Zug fahre. Aber ich habe mich damit arrangiert“, erzählt der Analyst einer Tochtergesellschaft der französischen Bank Société Générale.
Ähnlich wie ihm geht es Tausenden anderen Menschen aus Augsburg und den beiden Nachbarlandkreisen, die einer aktuellen Erhebung der Agentur für Arbeit nach ihren Arbeitsort nicht am Wohnsitz haben. Insgesamt pendeln 60 267 Menschen aus dem Agenturbezirk aus, 40697 ein. Allein aus der Stadt Augsburg fahren rund 45500 Menschen zum Arbeiten an einen anderen Ort. Die meisten von ihnen, nämlich 16 261, müssen in den Landkreis Augsburg, 8613 zieht es wie von Hofer nach München. Aber auch nach Fürstenfeldbruck (601), Landsberg (864), ins Donau-Ries (1699) oder in den Landkreis Aichach-Friedberg (6227) geht für einige Arbeitnehmer die Reise.
Für von Hofer bedeutet das Pendlerdasein früh aufstehen. Um kurz nach sechs Uhr morgens steigt er in Hochzoll in den Zug, rund 80 Minuten später hat er nach zweimaligem Umsteigen sein Büro erreicht. Zurück ist er erst gegen 18 Uhr – nach einem Zwölfstundentag. „Das ist viel Zeit, die drauf geht, aber ich nutze die Fahrt im Zug, um zu Lesen, stöbere im Internet oder ruhe mich aus. Ich versuche also, die Zeit als Freizeit zu nutzen“, erklärt er. Ein Umzug nach München kommt für ihn trotz des Zeitverlusts und der Kosten (rund 230 Euro im Monat) nicht infrage. „Ich habe hier meinen Lebensmittelpunkt mit meiner Frau und meiner Familie. Ich bin hier viel zu sehr verwurzelt, um umzuziehen.“Gründe, die auch bei einer Umfrage des Onlineportals immowelt gegen einen Umzug sprachen. 22 Prozent der 1000 Befragten gaben an, aufgrund der guten Wohnsituation bis zu zwei Stunden Anfahrt zum Job in Kauf zu nehmen. Weitere 56 Prozent sind der Umfrage nach bereit, bis zu einer Stunde einfachen Pendelweg zu akzeptieren. Manche ziehen gezielt vom Arbeitsplatz weg, weil andernorts die Mieten billiger sind und gehen dann ebenfalls in die Pendlerstatistik mit ein. „Das ist eine Entwicklung, die viele wegen des im- mer stärker werden Drucks auf dem Immobilienmarkt kritisch sehen“, gibt Peter Linter, Geschäftsfeldleiter Standortpolitik der IHK Schwaben, zu. Münchner, die nach Augsburg ziehen und pendeln, seien für die Region aber auch eine wichtige wirtschaftliche Komponente. „Sie bringen Kaufkraft mit“, erklärt er. Und sollte der wirtschaftliche Aufschwung in Augsburg anhalten, könnten sie möglicherweise auch bei einem Unternehmen vor Ort eine Stelle finden. Das könnte dann dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Eine Option, die für Moritz von Hofer bislang noch ausscheidet. „In meiner Branche finde ich in Augsburg keine vergleichbare Stelle“, sagt er. So pendelt von Hofer voraussichtlich noch länger nach München – trotz mancher Unwägbarkeiten. „Klar nerven manchmal die Verspätungen und Zugausfälle, aber über die Jahre ist die Zuganbindung für mich immer besser geworden und auch das Platzangebot ist okay. Außerdem mag ich meine Kollegen und meinen Job. Das Gesamtpaket stimmt“, sagt er. So könne man auch stressige Zeiten, beispielsweise während der Wies’n, in Kauf nehmen. „Früher habe ich mir rund ums Oktoberfest Urlaub genommen. Heute suche ich mir Fahrzeiten aus, zu denen der Andrang im Zug erträglich ist.“