Der Berserker im Unterhemd
Es war eine ungleiche Freundschaft zwischen Bertolt Brecht und Walter Benjamin. Wie das Theaterprojekt „Krise ist immer“das auf die Bühne bringt
So loungig kann Theater sein, lässig, unangestrengt, ausfransend. Vielstimmig wie eine Redaktionssitzung, auf der man sich die Köpfe heißredet, auch wenn die Zeitschrift nie erscheinen wird. Auf dem Sofa lümmeln, Rotwein trinken, Thomas Mann anfeinden, der Intelligenz ordentlich Beine machen, alte Schlachten noch einmal schlagen, das Textbuch zur Seite legen, Bühne frei für Rabatz & Lieder…
„Krise ist immer“: Der von Friederike Heller inszenierte Uraufführungs-Abend hatte als „theatralische Versuchsanordnung“die Beziehung zwischen Bertolt Brecht und Walter Benjamin zum Thema gewählt. Basis: Die Gesprächsprotokolle betreffen die Zeitschrift „Krise und Kritik“, welche die beiden 1931 herausgeben wollten. Im Publikum auf der Probenbühne hinter der Brechtbühne saßen nicht wenige, die gut drin waren im Stoff, weil sie vom langen Werkstatttag kamen, der sich am Mittwoch als eine Art Vorspiel genau damit befasst hatte: Brecht und Benjamin, die Freundschaft zweier ungleicher Denker und Weltbetrachter.
Von einer Begegnung auf Augenhöhe kann an diesem Theaterabend nicht die Rede sein. Denn Brecht, der Berserker im Unterhemd, gegeben von Philipp Hochmair, macht den melancholischen Denker Benjamin platt, er übertönt ihn. Brecht ist das Ausrufezeichen, Benjamin das Fragezeichen. Heller übernimmt diesen Part mit leiser, vom Zweifel gedämpfter Stimme. Wenn sie vorliest, wie Benjamin im Garten Blumen in seinem Tagebuch presste und, als die Pfingstrose unter Gejohle entdeckt wird, diese Brecht schenken will, der sie aber „natürlich nicht annahm“, spricht das für sich. Brecht will den Warencharakter der Intelligenz entlarven und vibriert vor krächzender Selbstgewissheit, Benjamin aber findet vieles „schwierig“und nimmt sich das Scheitern zu Herzen.
Die Sache ist dramaturgisch nicht zwingend auf den intellektuellen Zweikampf ausgerichtet. Der Abend changiert zwischen SeminarErnsthaftigkeit und wohldosiertem Übermut – wozu ein Affenkostümauftritt ebenso beiträgt wie eine Kissenschlacht. Wuchtig brechtlastig wird die Stunde auch durch die Lieder (Musik und Mitspieler: Peter Thiessen, Bandleader der Hamburger Formation „Kante“) – vom „Einheitsfrontlied“bis zum „Lob des Lernens“. Exakt eine Stunde dauert das Spiel, dann endet es mit Benjamins Suizid-Gedanken und Brechts Lied über den Selbstmord. Bemerkenswert ist, wie viele Motive und Stimmen in dieser kurzen Zeit aufgerufen werden (von Peter Weiss bis Heiner Müller). Aber man wünschte sich mehr Klarheit und weniger Flatterhaftigkeit.