Arbeiten vom Sofa aus
Flexible Arbeitszeitmodelle sind nicht nur für Familien interessant. Firmen schmücken sich gezielt mit ihnen, um für Bewerber attraktiv zu sein. Das soll Fachkräfte locken
Wer für die Augsburger Marketing Agentur Explido arbeitet, ist in der Gestaltung seiner Arbeitszeit völlig frei. „Auf einen Nenner gebracht, können die Mitarbeiter arbeiten wann, wo und wie lange sie wollen“, fasst Geschäftsführer Matthias Riedle zusammen – natürlich in Abstimmung mit den Belangen der Kunden und in Absprache mit dem Team.
Explido mit Sitz in Pfersee ist in Augsburg diesbezüglich ein Vorzeige-Unternehmen sagt Christine Neumann, Koordination Fachkräftesicherung bei der Industrie- und Handelskammer Schwaben. Das Unternehmen hat sein flexibles Arbeitszeitmodell nämlich ganz bewusst gewählt, um sich von der Konkurrenz abzuheben und bei der Rekrutierung von Fachkräften eine Nasenlänge voraus zu sein. Gerade in der digitalen Branche sei es alles andere als leicht, gut ausgebildetes Personal zu finden, ordnet Ge- Riedle ein. Flexible Arbeitszeitmodelle brächten hier einen gewissen Wettbewerbsvorteil. Das bestätigen auch Erfahrungen der IHK. „Unternehmen müssen sich immer mehr einfallen lassen, um Bewerber zu locken. Da können flexible Arbeitszeitmodelle gerade bei jungen Beschäftigten eine Karte sein, die sticht“, so Neumann.
Obwohl bei Explido nun große Freiräume herrschen, dürfe man sich aber nicht vorstellen, dass die Büroräume seit der Umstellung auf das neue Arbeitszeitmodell leer seien und die Mitarbeiter nur noch vom Sofa aus tätig wären. „Wir sind immer noch eine Agentur, wir haben Kunden und diese stehen an erster Stelle. Eine gewisse Präsenzpflicht bleibt da schon noch bestehen.“Aber wie funktioniert das Arbeiten bei Explido dann? Das Modell baut laut Riedle auf mehreren Säulen auf: „Wir sind momentan dabei, alle Mitarbeiter auf Laptops umzustellen, mit denen sie von extern auf unsere Systeme zugreifen können.“. Außerdem sei seit Anfang Januar auf Gleitzeit umgestellt worden. Die bisherige Kernzeit von 9 bis 15 Uhr sei damit abgeschafft worden. Stattdessen können die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten nun frei gestalten, solange ein paar Regeln eingehalten werden: „Natürlich haben wir immer noch eine 40-Stunden-Woche, zehn Stunden täglich sind die Obergrenze und auch Sonn- und Feiertage sind weiterhin heilig“, betont der Geschäftsführer. Abgesehen davon dürfen die Arbeitnehmer nun ihre Arbeitszeit von Montag bis Samstag, von morgens bis abends um 20 Uhr nach Rücksprache mit dem Team selbst einteilen. „Wenn an einem Nachmittag also einmal die Sonne scheint, kann ich einfach meine Sachen zusammenpacken und gehen“, so Riedle.
Ein wenig erinnert das Modell von Explido an die Arbeitswelt von Microsoft, das auf diesem Gebiet als Vorreiter gilt: In der neuen Firmenzentrale in München haben die Mitschäftsführer arbeiter keinen eigenen Arbeitsplatz mehr, dafür aber Laptop oder Tablet. Dazu gibt es verschiedene Zonen, in denen man in Ruhe nachdenken oder sich austauschen kann. „So etwas kann natürlich nicht jedes Unternehmen bieten. Aber oft ist mehr möglich, als viele glauben“, ordnet Christine Neumann ein.
Dass die Arbeitswelt immer mehr Flexibilität fordert, ist also längst bekannt. Auch bei der Politik. Der Familienpakt Bayern, eine Initiative des Bayerischen Staatsministeriums, verfolgt daher das Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern – auch im Hinblick auf die Fachkräftesicherung.
Ob sich all die Anstrengungen von Politik und Wirtschaft am Ende lohnen werden, wird sich zeigen. „Unsere Rückmeldungen sind sehr gut. Was die Umstellung für die Produktivität heißt, wissen wir in ein paar Monaten. Ich bin sicher, dass die Motivation der Mitarbeiter steigt und sich das Modell auszahlt“, so Matthias Riedle.