Warum noch in den Süden fliegen?
Der Storch ist Kinderbringer und Frühlingsbote. Die Rolle scheint ihm zu gefallen. Er bleibt – auch im Winter
Warum schreibt man nicht einfach über den Kranich? Oder über den Brachvogel, die Feldlerche oder den Sumpfrohrsänger? Warum muss es immer der Storch sein, obwohl auch andere Vögel im Winter ihr Glück in der Ferne suchen? Zweifellos hat der Storch eine Sonderrolle inne: populärster Zugvogel von allen. Im Internet hat nur selten jemand ein Bild gepostet, wenn der Kranich auf der Kirche thront. Es muss der Storch sein.
Was aber zeichnet den Storch aus? Darüber hat sich Gunter Weinrich Gedanken gemacht. Normalerweise taucht der „Storchen-Opa“Weinrich zweimal im Jahr in unserer Zeitung auf. Wenn die Störche eintreffen und wenn sie in den Süden fliegen. Das läuft wie ein Ritual ab. Wie viele Störche brüten in der Region? Sind die Jungen durchgekommen? Warum wollen wir das beim Storch eher als beim Kranich wissen? Weil es sich gewissermaßen um einen heiligen Vogel handle, erklärt der Storchen-Opa. Der Weißstorch hat angefangen, seinen Lebensraum in Wohngebiete zu verlegen, als der Mensch damit begonnen hat, Wiesen zu mähen, Felder zu bestellen und damit dem Vogel die Beutejagd zu erleichtern.
Der Mensch wiederum hat den Storch bis auf wenige Ausnahmen nicht gejagt, sagt Weinrich. Die Römer erklärten das Tier zur Delikatesse. Oda Wieding, die StorchenExpertin vom Landesbund für Vogelschutz (LBV), nennt noch Storchenfett als Schuhpolitur, teils als Heilmittel, und in Preußen waren einzelne Rezepte über die Zubereitung im Umlauf. Aber durchgesetzt hat sich das nie. Zudem gebe es Berichte über Teichwirte, die ihre Nachbarn angestiftet haben, Storchennester zu zerstören. Der Karpfen in der Hand war eben wichtiger als das Glück auf dem Dach.
Der Weißstorch war zu allen Zeiten Glückssymbol, Kinderbringer, Frühlingsbote. Brütet der Storch auf einem Dach, ist das Haus gesegnet. Der Aberglaube hat am Mythos Storch gearbeitet. Weinrich erzählt eine Geschichte: Liegen zwei Brunnen um ein Haus, auf dem der Storch brütet, hängt es davon ab, von welchem Brunnen er seiner Brut die Frösche bringt. Holt er sie vom älteren, wird es ein Bub. Fängt er sie am jüngeren Brunnen, kann sich das Paar auf ein Mädchen freuen. In der Mythologie waren die Seelen ungeborener Kinder an Brunnen zu finden. Später wurde daraus das Bild mit dem Baby-Packerl im Schnabel und diverse kindgerechte Versionen auf die Frage: Wo kommen die Kinder her?
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Storch Kultstatus genießt und sich die Menschen über seine Rückkehr freuen. Expertin Wieding erzählt, dass sich die Population seit den Achtzigern in Bayern vervielfacht hat. Damals gab es noch etwa 60 Brutpaare im Freistaat. Im vergangenen Jahr waren es 421. In den Achtzigern habe eine lange Trockenperiode in Afrika die Anzahl der Vögel dezimiert. Seit dem Jahr 2000 haben Zucht- und Wiederansiedlungsprogramme, Veränderungen der Landwirtschaft wie dem spanischen Reisanbau die Population anwachsen lassen.
Auch die Region um Neuburg ist in diesem Jahr wieder voller weißschwarzer Flugkünstler, berichtet Gunter Weinrich. Bemerkenswert ist dabei ein Trend: Zehn Störche haben in der Region überwintert. Jeweils ein Paar in Rennertshofen, Burgheim, Baiern und Hörzhausen sowie zwei Single-Störche in Karlshuld und Karlskron. Die Vermutung liegt nahe, dass der Klimawandel seinen Beitrag leistet, dass Störche in Deutschland überwintern. Aber Wieding und Weinrich vermuten, dass in erster Linie die Wiederansiedlungsprogramme in Baden-Württemberg, der Schweiz und Frankreich das Verhalten verändert haben. Einige Vögel erkannten, nachdem sie den Winter im Norden verbrachten, dass sie den Trip nach Afrika nicht mehr antreten müssen.
Wird es zwischendurch richtig kalt, können die Vögel immer noch bis zu 250 Kilometer am Tag zurücklegen, um in die Wärme zu flüchten, wie die Paare aus Burgheim und Rennertshofen. Nach wenigen Wochen waren sie zurück und es lässt sich nur mutmaßen, wo sie ihren Kurzurlaub verbracht haben. Am südfranzösischen Rhône-Delta möglicherweise oder in Spanien, tippt Weinrich. Seit Anfang Februar kehren nun auch die Störche zurück, die den Winter nicht in Deutschland verbracht haben. Insgesamt zwölf Paare haben sich auf die Nester im Landkreis verteilt. Daneben werden in Rennertshofen und Karlshuld kleinere Kämpfe um die Brutplätze ausgetragen, erklärt Weinrich. Dabei gilt, wie so oft in der Natur: Der Stärkere gewinnt.