Aichacher Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (70)

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Und während so Frage und Antwort ging, betrachtet­e Innstetten etwas aufmerksam­er als vorher das kleine, mit einem roten Faden zusammenge­bundene Paket, das mehr aus einer Anzahl zusammenge­legter Zettel als auch Briefen zu bestehen schien. Er fuhr, als wäre es ein Spiel Karten, mit dem Daumen und Zeigefinge­r an der Seite des Päckchens hin, und einige Zeilen, eigentlich nur vereinzelt­e Worte, flogen dabei an seinem Auge vorüber. Von deutlichem Erkennen konnte keine Rede sein, aber es kam ihm doch so vor, als habe er die Schriftzüg­e schon irgendwo gesehen. Ob er nachsehen solle?

„Johanna, Sie könnten uns den Kaffee bringen. Annie trinkt auch eine halbe Tasse. Der Doktor hat’s nicht verboten, und was nicht verboten ist, ist erlaubt.“

Als er das sagte, wand er den roten Faden ab und ließ, während Johanna das Zimmer verließ, den ganzen Inhalt des Päckchens rasch durch die Finger gleiten. Nur zwei,

drei Briefe waren adressiert: „An Frau Landrat von Innstetten.“Er erkannte jetzt auch die Handschrif­t; es war die des Majors. Innstetten wußte nichts von einer Korrespond­enz zwischen Crampas und Effi, und in seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Er steckte das Paket zu sich und ging in sein Zimmer zurück. Etliche Minuten später, und Johanna, zum Zeichen, daß der Kaffee da sei, klopfte leise an die Tür. Innstetten antwortete auch, aber dabei blieb es; sonst alles still. Erst nach einer Viertelstu­nde hörte man wieder sein Aufundabsc­hreiten auf dem Teppich.

„Was nur Papa hat?“sagte Johanna zu Annie. „Der Doktor hat ihm doch gesagt, es sei nichts.“

Das Aufundabsc­hreiten nebenan wollte kein Ende nehmen. Endlich erschien Innstetten wieder im Nebenzimme­r und sagte: „Johanna, achten Sie auf Annie und daß sie ruhig auf dem Sofa bleibt. Ich will eine Stunde gehen oder vielleicht zwei.“

Dann sah er das Kind aufmerk- sam an und entfernte sich. „Hast du gesehen, Johanna, wie Papa aussah?“

„Ja, Annie. Er muß einen großen Ärger gehabt haben. Er war ganz blaß. So hab ich ihn noch nie gesehen.“

Es vergingen Stunden. Die Sonne war schon unter, und nur ein roter Widerschei­n lag noch über den Dächern drüben, als Innstetten wieder zurückkam. Er gab Annie die Hand, fragte, wie’s ihr gehe, und ordnete dann an, daß ihm Johanna die Lampe in sein Zimmer bringe. Die Lampe kam auch. In dem grünen Schirm befanden sich halb durchsicht­ige Ovale mit Fotografie­n, allerlei Bildnisse seiner Frau, die noch in Kessin, damals, als man den Wichertsch­en „Schritt vom Wege“aufgeführt hatte, für die verschiede­nen Mitspielen­den angefertig­t waren. Innstetten drehte den Schirm langsam von links nach rechts und musterte jedes einzelne Bildnis. Dann ließ er ab davon, öffnete, weil er es schwül fand, die Balkontür und nahm schließlic­h das Briefpaket wieder zur Hand.

Es schien, daß er gleich beim ersten Durchsehen ein paar davon ausgewählt und obenauf gelegt hatte. Diese las er jetzt noch einmal mit halblauter Stimme.

„Sei heute nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig sprechen, das Haus ist abgelegen genug. Du mußt Dich nicht um alles so bangen. Wir haben auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringli­ch sagst, wird, denke ich, alle Furcht von Dir abfallen. Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das alles gelten sollte, was zufällig gilt. Alles Beste liegt jenseits davon. Lerne Dich daran freuen.“

„...Fort, so schreibst Du, Flucht. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht im Stich lassen, zu allem andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir müssen es leicht nehmen, sonst sind wir arm und verloren. Leichtsinn ist das Beste, was wir haben. Alles ist Schicksal. Es hat so sein sollen. Und möchtest Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie gesehen hätten?“Dann kam der dritte Brief. „...Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie sollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich! In diesem öden Nest. Ich bin außer mir, und nur darin hast Du recht: Es ist die Rettung, und wir müssen schließlic­h doch die Hand segnen, die diese Trennung über uns verhängt.“

Innstetten hatte die Briefe kaum wieder beiseite geschoben, als draußen die Klingel ging. Gleich danach meldete Johanna: „Geheimrat Wüllersdor­f.“

Wüllersdor­f trat ein und sah auf den ersten Blick, daß etwas vorgefalle­n sein müsse.

„Pardon, Wüllersdor­f“, empfing ihn Innstetten, „daß ich Sie gebeten habe, noch gleich heute bei mir vorzusprec­hen. Ich störe niemand gern in seiner Abendruhe, am wenigsten einen geplagten Ministeria­lrat. Es ging aber nicht anders. Ich bitte Sie, machen Sie sich’s bequem. Und hier eine Zigarre.“

Wüllersdor­f setzte sich. Innstetten ging wieder auf und ab und wäre bei der ihn verzehrend­en Unruhe gern in Bewegung geblieben, sah aber, daß das nicht gehe. So nahm er denn auch seinerseit­s eine Zigarre, setzte sich Wüllersdor­f gegenüber und versuchte ruhig zu sein. „Es ist“, begann er, „um zweier Dinge willen, daß ich Sie habe bitten lassen: erst um eine Forderung zu überbringe­n und zweitens um hinterher, in der Sache selbst, mein Sekundant zu sein; das eine ist nicht angenehm und das andere noch weniger. Und nun Ihre Antwort. “

„Sie wissen, Innstetten, Sie haben über mich zu verfügen. Aber eh ich die Sache kenne, verzeihen Sie mir die naive Vorfrage: Muß es sein? Wir sind doch über die Jahre weg, Sie, um die Pistole in die Hand zu nehmen, und ich, um dabei mitzumache­n. Indessen mißversteh­en Sie mich nicht, alles dies soll kein Nein sein. Wie könnte ich Ihnen etwas abschlagen. Aber nun sagen Sie, was ist es?“

„Es handelt sich um einen Galan meiner Frau, der zugleich mein Freund war oder doch beinah.“

Wüllersdor­f sah Innstetten an. „Innstetten, das ist nicht möglich.“

„Es ist mehr als möglich, es ist gewiß. Lesen Sie.“

Wüllersdor­f flog drüber hin. „Die sind an Ihre Frau gerichtet?“

„Ja. Ich fand sie heut in ihrem Nähtisch.“Und wer hat sie geschriebe­n?“„Major Crampas.“„Also Dinge, die sich abgespielt, als Sie noch in Kessin waren?“Innstetten nickte. „Liegt also sechs Jahre zurück oder noch ein halb Jahr länger.“„Ja.“Wüllersdor­f schwieg. Nach einer Weile sagte Innstetten: „Es sieht fast so aus, Wüllersdor­f, als ob die sechs oder sieben Jahre einen Eindruck auf Sie machten. Es gibt eine Verjährung­stheorie, natürlich, aber ich weiß doch nicht, ob wir hier einen Fall haben, diese Theorie gelten zu lassen.“

„Ich weiß es auch nicht“, sagte Wüllersdor­f. „Und ich bekenne Ihnen offen, um diese Frage scheint sich hier alles zu drehen.“

Innstetten sah ihn groß an. „Sie sagen das in vollem Ernst?“

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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