Das Drama der Verdrängung
Martin Walser – ein Dramatiker? Das war einmal. 1961 betrat der Autor mit „Die Abstecher“erstmals die Szene, zu einer Zeit, da die bundesdeutsche Dramatik darniederlag und ebendiese Misere im Feuilleton eine Dauerklage war. Zwei WalserDramen seien hier herausgegriffen, weil es dem Autor in ihnen exemplarisch gelungen ist, „nach innen gekrochene Tragödien ins Sichtbare zu locken“. Das eine: „Eiche und Angora“, 1962 in Berlin uraufgeführt (Regie: Helmut Käutner). Das andere: „Der Schwarze Schwan“, 1964 in Stuttgart uraufgeführt (Regie: Peter Palitzsch).
Walser richtete den Scheinwerfer auf die deutsche Nazi-Vergangenheit, er setzte der großen Verdrängung die genaue Erinnerung entgegen und handelte von deutscher Schuld und deutscher Nicht-Scham. „Womit, Papa, hast du dein Leben so verbracht?“Im „Schwarzen Schwan“stellt der Autor die Frage der Söhne an die Väter und ehemaligen Nazi-Täter. Im genannten Stück will Rudi seinen Vater, der KZ-Arzt war, per Spiel im Spiel (nach dem „Hamlet“-Vorbild) zum Schuldeingeständnis bewegen – vergebens. Walser zwingt durch sein politisches „Bewusstseinstheater“zur Reflexion auf die heuchlerischopportunistische Gegenwart. Hierin ging er Dramatikern wie Rolf Hochhuth, Heinar Kipphardt und Peter Weiss voran. Und schlug früh ein Thema an, das ihn bis heute verfolgt: „Unser Auschwitz“.
Günter Ott