Ein Besuch in der Schule
Als Schüler war man ja per se aufsässig veranlagt. Wenn die Lehrer ein Buch lobten, gefiel einem ein anderes Buch umso besser. Wenn das Gymnasium mit großem Pomp Martin Walser zu einer Lesung einlud und man als Schüler vorab im Unterricht kluge Fragen an den Schriftsteller erarbeiten musste, gehörte Walser plötzlich zu jenen Autoren, die man besser nicht las – nämlich zu den SchullektüreSchriftstellern, die von vornherein im Ruf standen, große Langweiler zu sein.
Dann allerdings kam es zu dieser denkwürdigen Lesung vor hunderten von Oberschülern und fast so vielen Deutschlehrern. Und der eigene Deutschlehrer machte mit seinem Teleobjektiv begeistert Fotos vom großen Walser, der da seinen Weg in die Allgäuer Provinz gefunden hatte. Aber nach ein paar Minuten war der Schriftsteller vom Geknipse so irritiert, dass er den eigenen Deutschlehrer vor allen anderen im Saal herunterputzte und maßregelte, endlich dieses störende Fotografieren sein zu lassen.
Der Deutschlehrer wiederum, der ja aus Walser-Begeisterung heraus Walser fotografierte, begriff das als öffentliche Demütigung. Und er stellte nicht nur das Fotografieren ein, er stellte auch gleich seine Begeisterung für Walser mit ein und sprach im Unterricht über diesen Moment und den großen Schriftsteller nie wieder. Fast schon der Stoff, aus dem die Walser-Romane sind. Richard Mayr