Aichacher Nachrichten

Die Lust an der Zuspitzung

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Er betonte, dass er „vor Kühnheit“zittere, „wenn ich sage: Auschwitz eignet sich nicht, dafür Drohroutin­e zu werden, jederzeit einsetzbar­es Einschücht­erungsmitt­el oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübu­ng.“Kühn war Walsers Dankesrede zum Friedenspr­eis des Buchhandel­s 1998 allemal – im folgenden Streit vor allem mit Ignatz Bubis vom Zentralrat der Juden wurde er auch für all jene Thema, in deren Ohr seine Sprache sonst unfruchtba­r blieb. Das Holocaustm­ahnmal nannte er „die Monumental­isierung der Schande“, er sprach von der „Banalität des Guten“. Ein Grenzgang, irgendwie literarisc­h, wie Grass’ späteres israelkrit­isches Gedicht „Was gesagt werden muss“, weit diesseits von Botho Strauß’ Polemik „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“. Walsers Denkanstoß mag verunglück­t präsentier­t gewesen sein; er ist aber auch heute nicht veraltet, wo Nazivergle­iche Konjunktur haben, billig wie selten.

Wer meint, das klinge wie Höcke heute, hält den Roman „Tod eines Kritikers“2002 auch einfach für antisemiti­sch, weil Walser darin mit Literaturp­apst Marcel Reich-Ranicki abrechnete. Dessen FAZ-Feuilleton stornierte den Vorabdruck, attackiert­e: „Mord an einem Juden!“Und dann las man das Buch – und lachte! Fand den ausgelöste­n Skandal schon herrlich darin selbst verarbeite­t. Man sollte diesen Autor in seiner Kenntnis der Reflexe nicht unterschät­zen, auch wenn er sich mal selbst überschätz­t hat.

Wolfgang Schütz

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