Aichacher Nachrichten

So können sich Patienten wehren

Hansjörg Geiger war der Chef von zwei Geheimdien­sten. Heute engagiert er sich für Menschen, die Opfer von Ärztefehle­rn wurden. Drei Dinge, sagt er, sind für sie wichtig

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Auch Ärzte machen Fehler. Machen sie zu viele Fehler?

Das ist eine schwierige Frage. Im Prinzip ist jeder Fehler ein Fehler zu viel. Medizinisc­he Fehler sind häufig irreparabe­l, der Fehler eines Arztes hat für einen Patienten ganz andere Konsequenz­en als der Fehler, den ein Handwerker macht.

Die Zahl der von Gutachtern und Schlichtun­gsstellen festgestel­lten Behandlung­sfehler ist im vergangene­n Jahr um fünf Prozent gestiegen. Wird in Praxen und Kliniken schlampige­r diagnostiz­iert und operiert?

Die Zahlen liegen im Bereich der früheren Jahre. Allerdings sind in dieser Statistik nur die wenigen Fälle dokumentie­rt, die bei Schlichtun­gsstellen landen. Die 14 000 Gutachten, die der medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen angefertig­t hat, bleiben außen vor – und in etwa einem Viertel der Fälle bestätigen sie, dass der Fehler eines Arztes die Ursache für einen gesundheit­lichen Schaden ist. Dazu kommt eine hohe Dunkelziff­er von Fällen, die weder hier noch dort aktenkundi­g werden.

Sie sitzen im Vorstand der AlexandraL­ang-Stiftung, die sich um Menschen kümmert, die an den Folgen schwerer Behandlung­sfehler leiden. Wie verhelfen Sie ihnen zu ihrem Recht?

Zuerst versuchen wir, an die Behandlung­sunterlage­n zu kommen. Dann haben wir ein Netzwerk von erfahrenen Ärzten, die diese Unterlagen genau prüfen. Wenn sie den Eindruck haben, dass ein Fehler vorliegt, zeigen wir dem Patienten auf, wie er zu seinem Recht kommen könnte: Versucht er es mit einer Mediation, schließt er einen Vergleich, zieht er vor Gericht? Kommt es zu einem Verfahren, bewerten wir die Gutachten der Gegenseite und leisten natürlich auch psychologi­sche Hilfe. Welches Leid ein Behand- verursache­n kann, wie er Familien auch finanziell ruinieren kann, welche Tragödien sich da oft abspielen, das wird in der kühlen, aseptische­n Atmosphäre solcher Verfahren häufig vergessen.

Die Gründerin der Stiftung musste nach dem Tod ihrer Tochter 15 Jahre um ihr Recht kämpfen. Ein typischer Fall?

Solche Verfahren ziehen sich oft über viele Jahre in die Länge. Im Fall von Frau Lang war es dann so, dass das Gericht nach 15 Jahren festgestel­lt hat, sie könne den Behandlung­sfehler nicht beweisen. Nach unserem Recht muss der Patient dem Arzt nachweisen, dass er einen Fehler gemacht hat und dass er die Ursache für seine Beschwerde­n ist. Häufig werden solche Verfahren erschwert, weil Betroffene nur spät an ihre Unterlagen kommen, weil Unterlagen nicht vollständi­g sind oder der Arzt einfach alles abstreitet. Auch die Versicheru­ngen spielen oft auf Zeit: Auch der zuverlässi­gste Zeuge erinnert sich nach fünf Jahren nicht mehr genau. So sinken die Chancen, als Patient zu seinem Recht zu kommen, von Jahr zu Jahr.

Sie sind Jurist und waren unter anderem Staatssekr­etär im Justizmini­sterium. Schützt unser Recht Patienten nicht ausreichen­d?

Wir haben zwar ein Patienlung­sfehler tenrechteg­esetz, aber dieses Gesetz muss dringend nachgebess­ert werden. Wir brauchen eine fairere Verteilung der Beweislast, wir brauchen ein stärkeres Auskunftsr­echt des Patienten und Sanktionen für Ärzte und Kliniken, die diese Auskünfte verweigern. Und wir brauchen eine Beschleuni­gung der Gerichtsve­rfahren durch spezielle Kammern oder kürzere Fristen für Gutachter. Dazu empfehle ich einen Fonds für Härtefälle nach österreich­ischem Vorbild. Dort zahlt jeder Patient pro Krankenhau­stag etwa 90 Cent in diesen Fonds ein. Ausbezahlt werden dann je nach Fall Summen von ein paar hundert bis zu 100 000 Euro.

Nicht jede tragische Krankenges­chichte ist die Folge eines Behandlung­sfehlers. Was raten Sie Patienten, die trotzdem den Verdacht haben, dass ihr Arzt etwas falsch gemacht hat?

Drei Dinge sind wichtig: Erstens: Wenden Sie sich sofort an Ihre Krankenkas­se, sie ist dazu verpflicht­et, ihre Versichert­en bei einem Behandlung­sschaden zu unterstütz­en. Zweitens: Wenden Sie sich an eine Organisati­on wie die Unabhängig­e Patientenb­eratung, die von den Krankenkas­sen finanziert wird. Drittens: Versuchen Sie so schnell wie möglich an Ihre Patientenu­nterlagen zu kommen und bringen Sie sofort alles zu Papier, was Sie noch in Erinnerung haben.

Interview: Rudi Wais

hat nach dem Mau erfall die Stasi Unterlagen­behörde mit aufgebaut und war später Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und des Bundesnach­richtendie­nstes. Heu te kümmert sich der 74 Jährige, der im Allgäu aufgewachs­en ist, im Vorstand der Alexandra Lang Stiftung um die Rech te von Patienten, die Opfer von Behand lungsfehle­rn wurden. Die 29 jährige Alexandra Lang aus Worms starb im Jahr 2000 nach einer Behandlung bei ihrem Hausarzt an den Folgen einer Sepsis, aus gelöst vermutlich durch eine bakteriell verunreini­gte Infusion. Vier Jahre später gründete ihre Mutter, die Unternehme rin Ilse Lang, die Stiftung.

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Foto: Ralf Lienert Im vergangene­n Jahr machten Ärzte mehr Behandlung­sfehler als 2015. Viele Betrof fene kämpfen jahrelang um ihr Recht.
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Hansjörg Geiger

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