Podolskis letzter Höhenflug
Der Kölner verabschiedet sich mit einem Traumtor aus der Nationalmannschaft. Trotz des 1:0-Sieges liefert das Löw-Team ein schwaches Spiel ab, weil England vieles richtig macht
Und dann war Party. Abschiedsfeste sind ja von jeher die Feiern, auf denen es am ausgelassensten und rührseligsten zugeht. All das, was früher zu kitschig, zu sentimental schien – beim Abschied ist es erlaubt. Schließlich will man sich doch der gegenseitigen Zuneigung vergewissern. So kam es, dass an der Stelle der so genannten Gelben Wand hunderte rot-weiße Kölner Fahnen geschwenkt und aufgehängt wurden. Dort, wo normalerweise die frenetischsten der Dortmunder Fans ihr Team anfeuern, hatten sich tausende Kölner die Plätze gesichert. Sie jubelten ihrer Stadt-Ikone zu, als sie auf den Zaun stieg, um mit ihnen zu feiern.
Lukas Podolski hatte soeben das letzte Länderspiel seiner Karriere bestritten. Aus den Stadionboxen wummerte „Ne Kölsche Jong“der Kölner Band „Brings“. Dreimal ließ der DJ die Rheinländer davon singen, dass die Sprache ein Geschenk Gottes sei und Kölsch im Speziellen der allergroßartigste Dialekt. Und wenn man nur fest daran glaubt, dann stimmt es auch. Zumindest für einige Minuten. An jenem Abend fiel es zudem nicht schwer, Halt im Spirituellen zu finden.
Podolski selbst mutmaßte nach dem 1:0-Sieg gegen England, „dass ich einen linken Fuß habe, den mir der liebe Gott oder sonst wer gegeben hat“. Dieser übernatürlichen Extremität hatte es die deutsche Nationalmannschaft zu verdanken, dass sie als Sieger vom Platz ging. Nach 69 Minuten war der Ball über Toni Kroos und André Schürrle zu Podolski gelangt, der sinnhaften Gebrauch seines überirdischen Geschenks machte und den Ball sehenswert im Winkel versenkte. Eine Viertelstunde später wurde der Torschütze gegen Sebastian Rudy ausgetauscht.
Die Zuschauer erhoben sich, Podolskis Name wurde skandiert – und doch war es nur der Vorlauf für das große Fest nach dem Spiel. Als ihn seine Mitspieler im gebührenden Abstand auf der Ehrenrunde begleiteten und ihn schließlich vor der rot-weißen Wand in die Höhe warfen.
Momente, die vergessen lassen, dass die deutsche Mannschaft zuvor eines ihrer schwächeren Länder- spiele der jüngeren Vergangenheit abgeliefert hatte. Von den Engländern wurde das Aufbauspiel geschickt unterbunden. Trotzdem forderte Löw sein Team auf, den Ball spielerisch über die Mittellinie zu bringen. Andere Möglichkeiten hat die Mannschaft auch nicht. Für das Verarbeiten langer Schläge fehlt dem Bundestrainer schlicht das Personal. Weil zudem mit Boateng, Götze, Reus, Özil, Draxler, Gomez, Gündogan und Khedira zahlreiche Spieler verletzungsbedingt passen mussten, konnten die Mechanismen nicht greifen.
Löw war ob des energischen britischen Auftritts schon beinahe dankbar. „Das ist eine gute Schule. Die jungen Spieler können viel lernen.“Mehr jedenfalls als bei Spielen gegen San Marino. Oder Aserbaidschan. Dorthin führt das DFBTeam die nächste Dienstreise. Am Sonntag tritt die deutsche Mannschaft in der Hauptstadt Baku an, um sich die nächsten Punkte auf dem Weg zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Russland zu sichern. Neben Podolski, der die kommenden Tage in Köln verbringt, tritt auch Timo Werner die Reise nach Aserbaidschan nicht an. Der Debütant erlitt einen Muskelfaserriss und wurde gegen England in der 77. Minute ausgewechselt. Dabei wurde der 21-Jährige von Teilen des Publikums ausgepfiffen. Sie haben ihm immer noch nicht die Schwalbe im vergangenen Dezember gegen den FC Schalke verziehen. Die Unmutsbekundungen sind aus zweierlei Gründen recht eigenwillig. Zum einen, weil Dortmunds Rivale Schalke darunter zu leiden hatte, und zum anderen, weil Andreas Möller bei seiner legendären Flugeinlage vor 22 Jahren ein Dortmunder Trikot trug. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es eben nicht immer dasselbe.
Podolski indes genoss seinen großen Abend. Ein Abend, der nochmals zeigte, dass der 31-Jährige in den vergangenen Jahren eben nicht nur als Maskottchen der Mannschaft diente.
Dieses Geschenk Gottes, über das er verfügt, kann Spiele entscheiden, wenn der spielerische Plan eines Teams nicht aufgeht. Möglicherweise widmen „Brings“Poldis linkem Fuß irgendwann auch mal einen Song.