Wo selbst Blinde Bogenschießen können
Die Integration von Behinderten spielt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Vieles ist bereits gelungen, doch der Weg zur Gleichberechtigung ist noch lang. Wie ein kleiner Verein mit gutem Beispiel vorangeht
Ein blinder Bogenschütze – geht das? Beim BSC Lindach schon. Wie Klaus Möritz sagt, der am Samstag als Vorsitzender bestätigt werden soll, hatte gegenüber seiner Frau ein blinder Mann diesen Wunsch geäußert. Daraufhin ließ der Verein eine Vorrichtung beim Schreiner anfertigen, die dem Interessenten diesen Sport nun im Verein möglich macht. Denn Inklusion ist für dessen Verantwortliche mehr als ein populärer Begriff und geht weit über die Barrierefreiheit des Vereinsheims hinaus.
Für den künftigen Vorsitzenden und seine Frau, die als BehindertenReferentin des Vereins fungiert, ist das in Zeiten von Teilhabe und Inklusion eine Selbstverständlichkeit. Maria Möritz ist selbst gehörlos, dank eines Implantats jedoch zu akustischer Wahrnehmung in der Lage. Neben drei hörbehinderten Mitgliedern üben auch ein Jugendlicher mit Aufmerksamkeits-DefizitSyndrom (ADHS), ein Autist, eine Multiple-Sklerose-Patienin oder Rollstuhlfahrer beim Bogenschützenclub im Dinkelscherber Ortsteil Lindach den Sport aus. Das Ehepaar sagt, dass es ein Sport sei, der sehr geeignet ist, von Behinderten und Nichtbehinderten gemeinsam ausgeübt zu werden. Weil der Klub verstärkt Anfragen von Behinderten habe, sei man beispielsweise auf der Gesundheitsmesse Intersana gezielt auf Besucher mit Handicaps zugegangen. Das Bogenschießen schildern Maria und Klaus Möritz, 51 und 58, als etwas ungemein Entspannendes, ja, beinahe Meditatives. Man müsse loslassen können, sagen beide, und das im übertragenen Sinne: sowohl den Alltag als auch den Pfeil. Für Klaus Möritz, der beruflich im Außendienst tätig ist, dient das seit zwölf Jahren praktizierte Hobby als willkommener Ausgleich zu einer gut 50-StundenWoche, in der er „43 Stunden reden“müsse. Sie, die selbstständige Schneidermeisterin ist und vor allem historische Gewänder näht, wollte „mitreden können“. Deshalb habe sie erst vor zwei Jahren mit dem Bogensport begonnen, obwohl sie immer davon fasziniert war. Mittlerweile sind auch zwei der drei Kinder – Nico, 10, und Ines, 15 – auf Landesebene in der Klasse des Olympic Recurve mit Erfolg dabei. Beide sind amtierende bayerische Jugendmeister in ihrer Altersklasse.
Die allgemeine Faszination fürs Bogenschießen ist in der Familie Möritz tief verwurzelt. Allein die vielen Verfilmungen der vergangenen Jahre zeigen, dass Bogenschießen nach wie vor eine bewunderte Kunst ist. Schnell kommt das Gespräch auf den Streifen mit Kevin Costner als Robin Hood, der den in der goldenen Mitte der Zielscheibe steckenden Pfeil seines Widersachers noch einmal mittig trifft und zu spalten vermag. „Ach“, sagt Rolf Anton aus Dinkelscherben, „das kommt öfter vor.“Erstaunte Blicke ruhen auf dem Mann, der schnell mal „Robin Hood von Dinkelscherben“genannt wird. Er ist der zweite Vorsitzende des BSC Lindach und erklärt weiter: „Das erste Mal freut man sich noch, beim 20. Mal kriegt man ,a Wuat‘.“Denn die Pfeile seien nach einem solchen Treffer hin, die Wiederbeschaffung teuer.
Jetzt will der 36 Jahre alte BSC Lindach wieder Kaderstützpunkt für Bayern werden. Laut Klaus Möritz, der aktuell noch die Jugend im Klub betreut, heißt das: Auf dem idyllischen, etwas abseits gelegenen Gelände sollen in der Obhut von B-Lizenz-Trainer Stefan Schäfer die besten Jugendlichen zwischen acht und 15 Jahren gefördert werden. Das Alter von acht Jahren ist seiner Auskunft nach auch ideal, um mit dem Bogensport zu beginnen. Und jeden Sonntag bestehe für Anfänger und Schüler bis 17 Jahre zwischen 14.30 und 17 Uhr die Gelegenheit, Pfeil und Bogen in die Hand zu nehmen und selbst zu schießen.
Die Palette der Bögen, die beim BSC Lindach erst einmal ausprobiert werden können, reicht vom Reiterbogen über Lang- und Jagdbogen bis hin zum olympischen Recurveund dem Hightech-Compoundbogen. Bevor sich ein Interessent eines dieser kostspieligen Geräte selbst zulegt, rät Möritz, die verschiedenen Möglichkeiten erst einmal zu testen. Auch könne seiner Auskunft nach das Angebot des Vereins zunächst einmal ein halbes Jahr ausprobiert werden.
Damit soll laut Möritz die Möglichkeit gegeben werden, zu sehen, ob einem der Sport überhaupt solchen Spaß mache wie ihm und seiner Frau. Die hat sogar eine Strategie entwickelt, ihrem Mann etwas Kniffliges beizubringen. Mit schwierigen Dingen konfrontiere sie ihn erst, wenn er im Klub war, erzählt sie. Wenn er entspannt wiederkommt, sei es viel einfacher, mit ihm zu diskutieren. Und ihr Mann weiß: „Das ist so.“»Kommentar