Aichacher Nachrichten

Warum das Telefonier­en in der Tram eine Qual ist

Eine Straßenbah­n ist ein eigener kleiner Mikrokosmo­s. Wer so eng aufeinande­r gemeinsam eine Fahrt begeht, bekommt vieles vom Sitznachba­rn mit. Vieles will man gar nicht mitbekomme­n

- VON MIRIAM ZISSLER ziss@augsburger allgemeine.de

Ich fahre fast jeden Tag Straßenbah­n. Das mache ich schon immer. Ob früher zur Schule, dann zur Uni oder eben jetzt in die Arbeit, mit der Tram komme ich in Augsburg immer entspannt ans Ziel. Naja, mal mehr, mal weniger. Denn eine Sache kann mich total auf die Palme bringen.

Es sind nicht die Menschen, die alleine auf einem Zweierplat­z sitzen und Handtasche, Rucksack oder Einkaufsta­schen so auf dem zweiten Sitz platzieren, dass sich niemand mehr dazusetzen kann. Es sind auch nicht die Menschen, die vor mir einen Döner essen. Und es sind auch nicht die Menschen, die so laut Musik in ihren Ohrstöpsel­n hören, dass ich auch noch etwas davon habe. Oft wünsche ich mir nur, dass es bessere Musik wäre.

Es sind auch nicht die Handystrei­chler. Diejenigen also, die gedankenve­rloren über das Display ihres Smartphone­s streicheln oder Kurznachri­chten tippen. Obwohl das auch eine traurige, wenn nicht sogar eine besorgnise­rregende Entwicklun­g ist. Wir schreiben das Jahr 2017 und die Menschheit sitzt – egal ob am Flughafen in Quito, im Zug nach Madrid oder eben in der Augsburger Straßenbah­n – den Kopf nach unten hängend über dem mobilen Gerät und bekommt von der eigentlich­en, unmittelba­ren und realen Umgebung gar nichts mit. Zugegebene­rmaßen streichle ich aber auch ganz gerne über das Display meines Handys.

Nein, wer mich total auf die Palme bringen kann, sind die TelefoSie nierer. Diejenigen, die ihren Handyton auf volle Lautstärke gestellt haben und erst mal eine gefühlte Ewigkeit nach dem Telefon suchen (über den Klingelton lässt sich in den meisten Fällen auch streiten), bis sie endlich rangehen. Dann wird es meist auch nicht besser. Es sind keine verschämte­n „Ich bin gerade in der Straßenbah­n, lass uns später telefonier­en“-Telefonate oder „Ich bin in fünf Minuten da“. Es sind Endlos-Telefonate, die mir so auf den Keks gehen, weil sie mich nicht interessie­ren, ich aber gezwungene­rmaßen zuhören muss.

Da kommt in einer Woche viel zusammen: Ein Mann, der sich offenbar mit einer Person einer Hotline herumärger­t. „Ich habe aber Einspruch gegen diese Rechnung eingelegt, und das wurde ja offensicht­lich nicht bearbeitet.“Kurze Zeit Pause. „Warum bearbeiten nicht die Post, die Sie bekommen? Da liegt doch schon der Fehler!“Oder die Frau, die offenbar mit einem Kollegen telefonier­t hat. „Ich bin heute Vormittag nicht im Geschäft und das Formular habe ich nicht gesehen . ... Ja, ich schaue noch einmal nach. Ja, heute Nachmittag, wenn ich im Büro bin, werde ich noch einmal auf meinem Schreibtis­ch danach sehen. Aber ich sage dir gleich, dass du dir keine Hoffnungen machen musst. Ich kann mich nicht erinnern, dass da was lag.“Die Frau, die genervt abends mit ihrem Mann oder Kind spricht. „Es gibt Kartoffeln. Wenn du das nicht essen willst, dann musst du dir eben selber etwas machen“, oder der Mann, dem ein Vortrag offenbar nicht zugesagt hat. „Du wirst es nicht glauben. Der hat aufgesproc­hen wie ein Ge-neral-di-rek-tor!“, sagte er zu einer Person am anderen Ende der Leitung. Den Ge-ne-ral-di-rek-tor wiederholt­e er noch dreimal. Mein Kopf ist voll von diesen Gesprächen.

Manchmal wünsche ich mir in der Straßenbah­n ein Handy-Verbot, wie es das vor 20 Jahren schon einmal gab, genauer gesagt ein Telefonier­verbot. Meine Schwester lebt in Amerika in der Nähe von New York. Täglich pendelt sie eineinhalb Stunden nach Manhattan rein und eineinhalb Stunden wieder heraus. In dem Bus ist es vergleichs­weise still. Die Pendler lesen auf ihren Tablets Zeitung, schreiben auf ihren Smartphone­s Nachrichte­n oder schauen, was sich so auf Facebook tut. Telefonier­t wird nicht. Das ist verboten. Freies WLAN gibt es bei der Busgesells­chaft übrigens auch nicht. Was bleibt, ist der Blick aus dem Fenster und das Treibenlas­sen der Gedanken. Keine schlechte Alternativ­e.

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