200 Polizisten stürmen eine Disco
1990 gab es eine Großrazzia in der ehemaligen Park-Gastronomie. Der damalige Inhaber ist heute ein Bordell-König und steht jetzt vor Gericht. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung
Es ist die Nacht zum Freitag, 9. Februar 1990. In der Park-ErlebnisGastronomie in den Ludwigpassagen (heute: Augusta-Arkaden), dem damals größten Vergnügungstempel der Stadt, tobt der Bär. Disco-Rock dröhnt aus den Lautsprechern, Spotlights zucken, die Stimmung unter Hunderten von Gästen ist glänzend. Niemand ahnt, dass viele verliebte Pärchen einen Polizeiausweis in der Tasche tragen, andere Disco-Freaks bestimmte Gäste ständig im Blick haben. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel bricht um genau 2.45 Uhr die Musik ab.
Licht flammt auf. Rund 100 vermeintliche „Gäste“springen auf, ziehen eine grüne Polizeibinde über und geben sich als Fahnder zu erkennen. Sekunden später stürmen Dutzende uniformierter Bereitschaftspolizisten in den „Park“. Die größte Polizeirazzia in der Nachkriegsgeschichte der Stadt gegen vermeintliche Zuhälter und KokainDealer sorgt tagelang für Schlagzeilen und Gesprächsstoff. Hermann Müller, der Chef der Erlebnis-Gastronomie („Werbeslogan: „Spaß gefällig?“), kommentiert die stundenlange Durchsuchungsaktion hinterher süffisant: „Ich möchte mich bei der Polizei bedanken. Ich bin ja froh darüber, wenn sich die Kripo hier aufhält.“Gastronom Hermann Müller, ein gebürtiger Franke, beendete bald danach sein Augsburg-Gastspiel, ging nach Köln, wo er im Rotlichtmilieu mit seinem Club Pascha schnell zu einer Größe wurde. Nach und nach zog er ein wahres Puff-Imperium auf.
Seit der Razzia sind mehr als 27 Jahre vergangen. Am Mittwoch kehrte der 64-jährige „Bordell-König“wieder in die Fuggerstadt zurück. In einer für ihn ungewohnten Rolle – und in Handschellen. Vor der 10. Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Wolfgang Natale beginnt ein umfangreicher Steuerprozess gegen ihn und seinen Mitstreiter Leo E., 57, aus dem Landkreis Augsburg. Sein Wohnort brachte das Verfahren nach Augsburg. Beide sollen bei ihren Geschäften mit der Prostitution rund fünf Millionen Euro an Um- satz- und Lohnsteuern sowie Sozialabgaben hinterzogen haben.
Kurz nach 9 Uhr wird Hermann Müller, der seit Oktober 2016 im Gefängnis München-Stadelheim einsitzt, am Mittwoch in den Sitzungssaal 175 geführt. Er trägt eine dunkle Kapuzenjacke, einen schmalen Schal um den Hals, seine grau melierten, nach hinten gekämmten Haare reichen bis zur Schulter. Der bärtige Angeklagte gleicht in seinem Outfit eher einem alten Seebären denn einem Bordellunternehmer. Minutenlang lassen er und Leo E. sich mit ihren sechs Verteidigern von Fotografen ablichten. Das Licht der Öffentlichkeit hat Hermann Müller, in der Szene auch Hermann „Pascha“genannt, nie gescheut.
Vor fast drei Jahrzehnten war er in Augsburg eine große Nummer im Nachtgeschäft. In seiner Park-Erlebnis-Gastronomie tummelten sich in manchen Nächten bis zu 1200 Gäste. Er beschäftigte 25 Angestellte und machte damals einen Jahres- umsatz von vier Millionen Mark. Verbindungen des umtriebigen Gastronomen in die Rotlichtszene gab es offenbar schon damals. An bestimmten Wochentagen, so hieß es, besuchten Zuhälter aus ganz Bayern den Treff im Untergeschoss der Ludwigpassagen. Dann sei mit Kokain gedealt und illegal gezockt worden. Die Polizei hatte die damalige Großrazzia wochenlang akribisch vorbereitet. Alle beteiligten Beamten, auch eine Sondereinheit aus München, das Landeskriminalamt und der Staatsanwalt waren zu strikter Geheimhaltung verdonnert worden. Als die Fahnder um 2.45 Uhr den Komplex besetzten, kam es zu Tumulten und einem Handgemenge. Frauen schrien auf, Gläser klirrten. Das Ergebnis der Durchsuchungsaktion, bei der auch die gesamte Ludwigstraße abgesperrt worden war: elf Festnahmen, der Fund eines geladenen NeunMillimeter-Revolvers, Sicherstellung von Spieljetons und geringer Mengen Rauschgift. Doch war die Riesenaktion letztlich ein Schlag ins Wasser? Es gab damals Gerüchte, dass die Razzia vorweg aus Kreisen der Polizei verraten worden war. Geklärt wurde dieser Vorwurf freilich nie.
Der aktuelle Steuerprozess wird wohl Monate in Anspruch nehmen. Das Gericht muss schwierige Rechtsfragen klären. Hinter der Richterbank stehen drei Umzugskartons mit Akten. Die sechs Verteidiger der Angeklagten haben umfangreiche Beweisanträge ins Spiel gebracht, die das Steuerrecht betreffen. Zur Frage, ob die in dem Münchner Pascha-Club tätigen Prostituierten Arbeitnehmerinnen in Sinne des Gesetzes oder selbstständige Unternehmerinnen waren, wird das Gericht etliche Zeuginnen aus der Rotlichtszene hören. Auch ein Extürsteher, der sich inzwischen mit Hermann Müller verkracht hat und der ihn erpresst haben soll, ist als Zeuge geladen.