Sie überwinden die Schwerkraft
Bouldern sorgt besonders bei Kindern und Jugendlichen für Begeisterung. Davon profitiert auch der Deutsche Alpenverein in Aichach mit seiner Kletteranlage. Was die Trendsportart für die junge Generation ausmacht
Antonia Tröndle schaut konzentriert auf einen roten Griff über ihr. Sie klettert zwar, ist aber weder mit Gurt noch Seil gesichert. Denn sie bewegt sich in Absprunghöhe. Mit ihren Freundinnen geht sie regelmäßig zum Bouldern in die Kletteranlage des Deutschen Alpenvereins (DAV) Aichach.
Die verschiedenfarbigen Griffe und Tritte, die in die Wand geschraubten Pyramiden und kreisförmigen Volumen. Das alles ist ihre Welt. Wenn sie von Zangen und Henkel sprechen, meinen sie in der Regel keine Werkzeuge oder Aufhänger, sondern verschiedene Arten von Griffen.
Gefragt nach ihrem Hobby, beginnt Sandra Hopfensitz zu strahlen. Sie bewegt sich seit acht Jahren in Senkrechte und Überhang und hat durch einen Bekannten damit angefangen. Mittlerweile greift sie wöchentlich dreimal in die Griffe. „Beim Bouldern machen mir die verschiedenen Bewegungen und die große Gemeinschaft Spaß“, so die 14-Jährige. Den Aichacher Bouldercup, der jedes Jahr stattfindet, hat sie bereits drei Mal in Folge gewonnen. Wenn sie nicht im ausgebauten Dachgeschoss des Vereinsheims gegen die Schwerkraft ankämpft, trainiert die Schülerin im Leistungsstützpunkt für Wettkampfklettern in Augsburg. Neben dem Bouldern tritt sie dort auch noch in zwei weiteren Disziplinen an. Beim Lead – dem Vorstiegsklettern – geht es darum, möglichst schwierige Routen zu klettern. Beim Speed gewinnt – wie der Name schon sagt – der Schnellste.
Die 13-jährige Antonia Tröndle kam auch über Freunde zur Trendsportart. Sie reizt gerade die Tatsache, dass sie beim Bouldern die Schwerkraft überwinden kann, was sie im Schnitt viermal pro Woche und seit sieben Jahren macht. Sie will aber nicht nur drinnen, sondern auch gerne am Fels kraxeln. Mit Freunden fährt sie deshalb dieses Jahr ins berühmte Bouldergebiet Fontainebleau in der Nähe von Paris. „Ich reise gerne und wenn es die Möglichkeit gibt, dann klettere ich da auch“, sagt die Schülerin des Aichacher Deutschherren-Gymnasiums.
Nicole Wramba bouldert zwar erst seit drei Jahren. Aber auch sie geht – motiviert durch ihre Freundinnen – regelmäßig in die Kletteranlage. „Mir macht es Spaß, meine Angst zu überwinden. Wichtig ist, dass man sich traut“, erklärt die 14-Jährige.
Seit mittlerweile 35 Jahre befindet sich das Vereinsheim des DAV Aichach an der Münchener Straße in einem ehemaligen Bierkeller. Ausgebaut wurde der Speicher 2003, fertiggestellt dann ein Jahr später. Acht Leute haben ein Jahr lang daran gearbeitet. Dass Bouldern gerade bei den jungen Leuten sehr populär ist, weiß Richard Kufeld. Der Zweite Vorsitzende der Sektion Aichach betreut die Kletteranlage. „Vor 14 Jahren hatten wir 450 Mitglieder, nun sind es 1600.“Mittlerweile kamen seit 2004 fast 50 000 Sportler vorbei. Viele Kinder und Jugendliche sind gerade durch das Bouldern zum Verein gestoßen. „Ohne Kletteranlage wäre die Sektion Aichach an Altersschwäche ausgestorben“, so Kufeld, der selbst seit Jahrzehnten begeisterter Kletterer ist.
Früher sei seine Generation noch zuerst am Fels geklettert und nur bei schlechtem Wetter in die Halle gegangen. Heute habe sich das zugunsten des Hallenkletterns gewandelt. „Die Jugendleiter versuchen aber, die Kinder und Jugendlichen zu motivieren, auch draußen zu klettern.“Zusammen kraxeln sie regelmäßig an der Alpspitze bei Garmisch-Partenkirchen.
Für Kinder zwischen fünf und 16 Jahren gibt es fünf verschiedene Gruppen, aufgeteilt nach Alter. Und auch externe Gruppen kommen gelegentlich. So war zum Beispiel die Wittelsbacher Realschule oder der Skiclub des TSV Aichach schon da. Durch die geringe Höhe ist das Bouldern relativ sicher und verletzungsarm. „Die dicken Matten am Boden verhindern im Regelfall Schlimmeres“, weiß Kufeld. Nur Sandra Hopfensitz berichtet von einer Prellung der Wirbelsäule, durch die sie drei Monate pausieren musste: „Gleich danach habe ich wieder weitergemacht.“Antonia Tröndle hat ihre Route geflasht (siehe Infokasten). Nachdem sie den obersten Griff erreicht hat, springt sie auf die Matte und klatscht das Magnesiumpulver an ihren Händen an der Hose ab.