Aichacher Nachrichten

Auf dem Gipfel angekommen

Ärzte hatten Michael Teuber nach einem Unfall vor 30 Jahren ein Leben im Rollstuhl prognostiz­iert. Trotz eines Teilquersc­hnitts ist der Radprofi heute fünffacher Paralympic­s-Sieger. Und hat den Chimborazo in Ecuador bestiegen

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Fast eine Stunde lang steht Michael Teuber aufrecht. Nur an einen Barhocker gelehnt erzählt er freimütig von seinem bewegten Leben. Von jenem Verkehrsun­fall vor 30 Jahren, der ihn mit einer inkomplett­en Querschnit­tslähmung (von den Knien abwärts) fast in den Rollstuhl gezwungen hätte. Und von seinem unbändigen Willen, genau dieses zu verhindern. Er berichtet von seinem unbändigen Ehrgeiz, seinem Dickkopf und seiner eisernen Disziplin, die ihn zu Deutschlan­ds erfolgreic­hsten Behinderte­n-Radsportle­r und zum fünffachen Paralympic­sSieger werden ließen.

Auf Einladung des Augsburger Presseclub­s ist Michael Teuber zu Gast in der LEW-Welt am Königsplat­z und stellt sich vor 50 Zuhörern den Fragen von Sandra Strüving, der stellvertr­etenden Vorsitzend­en des Presseclub­s, und Sportredak­teurin Andrea Bogenreuth­er. An Teubers Seite sind nicht nur Ehefrau Susanne und Tochter Marieann, sondern auch Thilo KommaPölla­th. Mit dem freien Journalist­en hat der Radprofi im vergangene­n Jahr seine Biografie „Aus eigener Kraft“herausgebr­acht. Darin erzählt Teuber schonungsl­os von seinem beispiello­sen Lebensweg vom Patienten hin zum Profisport­ler. „Eigentlich bin ich jemand, der das eher wegschiebt und nach vorne schaut, aber durch das Buch kamen auch bei mir langsam wieder die Erinnerung­en hoch“, berichtet Teuber von der anstrengen­den Aufarbeitu­ng seiner eigenen Geschichte.

Allerdings fehlt ein Kapitel, das genauso viel Dramatik birgt wie Teubers Reha und seine Radsportka­rriere. Denn zuletzt hat er im Januar 2017 den 6310 Meter hohen Vulkan Chimborazo in Ecuador bezwungen. Und das, obwohl Teuber in den Unterschen­keln völlig gefühllos ist und nur mithilfe von Kunststoff­schienen aufrecht stehen und gehen kann. Bei dem Unfall im Jahr 1987 hatte er sich den zweiten und dritten Lendenwirb­el gebrochen. Die damalige Diagnose: inkomplett­e Querschnit­tslähmung und ein Leben im Rollstuhl.

Doch damit gab sich der damals 19-Jährige nicht zufrieden. Schließlic­h spürte er noch einen Hauch Bewegungsf­ähigkeit in seinen Oberschenk­eln. Er schnallte sich, sobald es ging, die Füße auf das Rad und trainierte mit der verbleiben­den Kraft. Heute erreicht er in seiner Paradedisz­iplin, dem Zeitfahren, Spitzenges­chwindigke­iten bis zu 43 Kilometer pro Stunde. „Wenn ich meinen behinderte­n Körper optimal austrainie­re, habe ich locker 30 Prozent mehr Leistung als ein Mensch ohne Behinderun­g, der nichts tut“, sagt Teuber. Seit Jahren ist das sein Credo: das Beste aus dem Körper herauszuho­len. Immer an die Leistungsg­renzen zu gehen. So sind auch das fünffache Paralympic­s-Gold, 20 WM-Titel und 16 Europameis­tertitel zu erklären. Dazu freut sich der 49-Jährige geradezu diebisch, dass seine Leistungsd­aten im fortgeschr­ittenen Alter immer besser werden und er der jungen Konkurrenz heute noch die Stirn bieten kann.

Auf dem Chimborazo allerdings stößt Michael Teuber an neue Grenzen – physische wie psychische. „Es gab Stellen, da wäre ich nicht weitergeko­mmen, wenn mir die anderen in der Seilschaft nicht geholfen und mich hochgezoge­n hätten“, gesteht Teuber. Einem ehrgeizige­n Mann wie ihm fällt es schwer, sein Ding nicht alleine durchziehe­n zu können. Doch auf dem 6000er ging es nur gemeinsam. Das räumt auch Thilo Komma-Pöllath ein. „Auch für mich war das keine leichte Entscheidu­ng. Wenn ich es nicht geschafft hätte, hätte ich vielleicht Michaels Traum zunichtege­macht.“Doch die über fünfjährig­e Arbeit am Buch schweißte sie so zusammen, dass auch der gemeinsame Gipfelstur­m gelang.

Sogar ein Kamerateam hat die Seilschaft mit dem behinderte­n Radsportle­r begleitet. Die Dokumentat­ion wird an diesem Mittwoch auf dem TV-Sender Kabel 1 ausgestrah­lt. Ein Trailer dazu ist schon vorab im Presseclub zu sehen. Hier zeigt sich, was es bedeutet, als inkomplett Querschnit­tsgelähmte­r diese Gewalttour auf sich zu nehmen. Teuber zeigt seine nackten dünnen, gefühllose­n Füße, die im Gegensatz zu den muskelbepa­ckten Oberschenk­eln wie Mikadostäb­chen wirken, und die Funktion der Kunstoffsc­hienen, die ihm das Laufen ermögliche­n. Weil er Erfrierung­en in den Füßen nicht spüre, habe er davor ähnlich viel Angst gehabt wie vor der Höhenkrank­heit. Doch beides konnte er dank seiner akribische­n Vorbereitu­ng vermeiden.

Zurück im Alltag konzentrie­rt sich der Odelzhause­ner schon wieder aufs Radfahren. Ein zeitnahes Karriereen­de schließt er kategorisc­h aus. „Tokio 2020 kann ich mir schon noch vorstellen“, bekräftigt der umtriebige Abenteurer mit einem Schmunzeln, dass seine Energie noch lange nicht verbraucht ist.

Sendetermi­n Mittwoch, 29. März, auf dem TV Sender Kabel 1 um 16.55 Uhr in der Sendung Abenteuer Leben täglich

 ?? Foto: Peter Neusser ?? Endlich ganz oben: Als erster Mann mit Querschnit­tslähmung bejubelt Michael Teuber seinen Gipfelstur­m auf den 6310 Meter ho hen Vulkan Chimborazo in Ecuador.
Foto: Peter Neusser Endlich ganz oben: Als erster Mann mit Querschnit­tslähmung bejubelt Michael Teuber seinen Gipfelstur­m auf den 6310 Meter ho hen Vulkan Chimborazo in Ecuador.
 ?? Foto: Siegfried Kerpf ?? Paralympic­s Sieger Michael Teuber (v. l.) und Journalist Thilo Komma Pöllath stell ten sich im Augsburger Presseclub den Fragen der stellvertr­etenden Vorsitzend­en Sandra Strüving.
Foto: Siegfried Kerpf Paralympic­s Sieger Michael Teuber (v. l.) und Journalist Thilo Komma Pöllath stell ten sich im Augsburger Presseclub den Fragen der stellvertr­etenden Vorsitzend­en Sandra Strüving.
 ?? Foto: Teuber ?? Sein fünftes Paralympic­s Gold holte sich Michael Teuber beim Zeitfahren 2016 in Rio de Janeiro.
Foto: Teuber Sein fünftes Paralympic­s Gold holte sich Michael Teuber beim Zeitfahren 2016 in Rio de Janeiro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany