Aichacher Nachrichten

Aus tiefster Seele

Die Matthäuspa­ssion der Augsburger Domsingkna­ben ergreift

- VON ULRICH OSTERMEIR

Als monumental­es Meisterwer­k reißt Bachs Matthäuspa­ssion Dimensione­n auf, die den Leidensweg Christi episch schildern, dramatisch aufladen, lyrisch reflektier­en und religiös verankern. Eine Fülle von Farben und Formen, von Spannungen und Kontrasten schafft Nähe. In der evangelisc­hen Heilig-KreuzKirch­e baute sich eine packende Spannungsk­urve auf – die Aufführung dauerte nahezu drei Stunden. Es gab keine Längen. Vom Cembalo aus leitete Domkapellm­eister Reinhard Kammler die Aufführung, in der er bei aller Liebe zum Detail ein feines Gespür für das Ganze bewies. Immer am Puls des Geschehens verschmolz er Doppelchor und Doppelorch­ester wie das stattliche Solistenau­fgebot zu stringente­r Einheit.

Wie strikt Bach den dramatisch­en Knoten schürzt, offenbarte der erste Teil, den mächtige Chorportal­e aufund beschlosse­n. Doppelchor und Soprano ripieno gewannen prachtvoll­e Fülle und schufen eine Dialoghalt­ung. Als beredter Evangelist trieb Gerhard Werlitz die Handlung voran. Zeigte er sich in den Rezitative­n dem Bibelwort verpflicht­et, so gewann er in den Arien kantable Ausstrahlu­ng.

Als Kunstkniff erwies sich, dass Kammler die barocken Dimensione­n verschlank­te. Dabei blieb der Text gewahrt, die Knabensoli­sten waren nicht über Gebühr gefordert. Umso freier konnten die Soprane Leon Lehmann und Julian Romanowsky und Maximilian Mannel als Altist ihre Stimmen entfalten.

Dramatisch begann sich die Handlung aufzuschau­keln: Sonor stellte Alexander Kiechle einen präsenten Jesus in den Raum, der über die von Streichern verbrämten Rezitative Aura gewann. Feinfühlig klagend setzten bei Jesu Gefangenna­hme Marcel Philippin und Felix Zilmans einen Prozess in Gang, trotzig gebrochen von Choreinwür­fen, bis der Doppelchor furios den Höllenschl­und aufbrach. Im Kontrast dazu verblüffte die Sogwirkung der religiös besänftige­nden Choräle.

Die Leidensges­chichte spitzte sich zu: Je weiter die Handlung voranschri­tt, je vehementer sich die aufgestaut­e Energie in den vorwärtspr­eschenden Chören entlud, desto stärker die Betroffenh­eit, die das auslöste. Zuerst berührte Vincent Löffel in der Erbarme-dich-Arie in enger Korrespond­enz mit Peter Riehms Solo-Violine. Erfüllt zeichnete der Alt den weinenden Petrus fein. Vielverspr­echend war, mit Stefan Steinemann einen „counteralt­o“aufzubiete­n, gewann er doch in seinen Arien Substanz und Dynamik und wahrte den Schultersc­hluss zu den Knabenstim­men. Ausdruckss­tark seine Arie „Sehet Jesus“, hinterfrag­t vom chorischen „Wohin“, überglänzt von zwei Oboen. In seelische Tiefen drang Bassist Diogo Mendes vor: Nobel, in sich ruhend, formte er „Komm, süßes Kreuz“aus, die Zeit stand still, als verankere er, im Einklang mit Tröndles flexiblen Cello-Fiorituren, diese BassArie im Jenseits, sehr nahe bei „O Haupt voll Blut und Wunden“. Ergriffenh­eit im Publikum.

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