Wie Deutschtürken die „große Politik“sehen
Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei scheint auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Manche Aichacher mit türkischen Wurzeln reagieren gelassen darauf, andere leiden unter den Spannungen
Nazivergleiche, Drohungen und Auftrittsverbote: Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist angespannt. Nachdem sich nach der Bundestagsresolution zum Genozid an den Armeniern und den Reaktionen auf die Unruhen in der Türkei in den vergangenen Monaten bereits die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern verschlechtert haben, scheinen aktuell die deutsch-türkischen Beziehungen auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.
Rund 1,4 Millionen der in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger können seit gestern bis zum Sonntag, 9. April, über das umstrittene Verfassungsreferendum abstimmen. Damit würde die politische Macht des Parlaments deutlich eingeschränkt werden. In 13 Großstädten stehen für die Abstimmung Wahllokale zur Verfügung. Dass die genannten Spannungen auch bei den Deutschtürken präsent sind, zeigen Großdemonstrationen für das Referendum und den derzeitigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wie zuletzt in Köln.
In Aichach scheint dagegen die Welt noch in Ordnung zu sein. Himmetoglu Sükrü dazu: „Wir haben hier keine Probleme. Sollen die anderen ruhig Politik machen, wir beten hier nur.“Sein Verein DITIB wird gelegentlich als „verlängerter Arm“der türkischen Regierungspartei AKP bezeichnet.
Der Vorsitzende der SelimiyeMoschee in Aichach stellt jedoch klar, dass zwar sowohl Deutschland als auch die Türkei seine Heimat sei, er aber nichts mit der „großen Politik“beider Länder anfangen könne. Weder mit Deutschen noch innerhalb der türkischen Gemeinde in Aichach gebe es größere politische Diskussionen oder Kontroversen, geschweige denn Anfeindungen, betont er. Das bestätigt Volkan Övet. Der Inhaber des Altstadt-Döners und Zweiter Vorsitzende von Türkspor Aichach sagt: „Was Merkel oder Erdogan sagen und machen, interessiert uns hier nicht. Wir wären nie so dumm und würden deswegen schlechte Stimmung aufkommen lassen. Politik ist einen Tag so und am nächsten wieder anders.“
Seine Frau Arabella erzählt, dass erst vor Kurzem eine Kundin sie auf ihren „Auftrag“hingewiesen habe, mit dem Dönerverkauf die deutsch- türkische Freundschaft zu festigen. Oguz Özdemir beklagt die Entwicklungen in den Beziehungen zwischen Berlin und Ankara. „Es wird gestritten wegen nichts und wieder nichts“, sagt der Trainer der Ringer des TSV Aichach. Er hält das Werben von türkischen Ministern in Deutschland für das Verfassungsreferendum in ihrem Land zwar für „einen Blödsinn“, kann aber auch mit den Reaktionen der deutschen Regierung nichts anfangen. „Für mich eskaliert das auf beiden Seiten nur wegen Wahlkampf und Stimmenfang“, so Özdemir.
Auch Güray Özkan versucht, sich weitestgehend aus politischen Diskussionen herauszuhalten und neutral zu bleiben. Das hat aber auch mit seinem Beruf zu tun: Er ist Besitzer einer Obst- und Gemüsehandlung in Aichach und hat in jüngster Zeit schlechte Erfahrungen gemacht.
Er berichtet von negativen Einflüssen der Politik aufs Geschäft. Deutsche Kunden würden nach fünfjähriger Treue plötzlich sein Olivenöl nicht mehr kaufen, weil sie meinen, damit die türkische Regierung zu unterstützen. „Dabei habe ich mit Erdogan gar nichts zu tun“, sagt Özkan enttäuscht. Er hat ein mulmiges Gefühl, denn auf beiden Seiten gebe es Fanatiker, die gegen Andersdenkende hetzen. Gerade in der Frage der Identität bekomme er das zu spüren. Er erzählt von dem Spannungsfeld, in dem er und seine Familie sich befinden. Seit über 35 Jahren in Deutschland wird Özkan hier als Türke und in der Türkei als Deutscher gesehen. „Wir sind zwischendrin“, so Özkan. Das bekomme er gerade in der aktuell emotional aufgeheizten Lage immer wieder zu spüren. Sowohl Deutsche als auch Türken würden oft urteilen, ohne sich auszukennen, und der anderen Seite aggressiv, verletzend und ohne Verständnis begegnen, was er bedauert.
Da er sich aber beiden Ländern zugehörig fühlt, wünscht sich der Obst- und Gemüsehändler für die Zukunft, dass sich die Lage beruhigt: „Ich will, dass Frieden einkehrt und es sowohl der Türkei als auch Deutschland wieder gut geht.“