Aichacher Nachrichten

Wie Deutschtür­ken die „große Politik“sehen

Das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei scheint auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Manche Aichacher mit türkischen Wurzeln reagieren gelassen darauf, andere leiden unter den Spannungen

- VON MICHAEL KIENASTL

Nazivergle­iche, Drohungen und Auftrittsv­erbote: Das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei ist angespannt. Nachdem sich nach der Bundestags­resolution zum Genozid an den Armeniern und den Reaktionen auf die Unruhen in der Türkei in den vergangene­n Monaten bereits die diplomatis­chen Beziehunge­n zwischen beiden Ländern verschlech­tert haben, scheinen aktuell die deutsch-türkischen Beziehunge­n auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.

Rund 1,4 Millionen der in Deutschlan­d lebenden türkischen Staatsbürg­er können seit gestern bis zum Sonntag, 9. April, über das umstritten­e Verfassung­sreferendu­m abstimmen. Damit würde die politische Macht des Parlaments deutlich eingeschrä­nkt werden. In 13 Großstädte­n stehen für die Abstimmung Wahllokale zur Verfügung. Dass die genannten Spannungen auch bei den Deutschtür­ken präsent sind, zeigen Großdemons­trationen für das Referendum und den derzeitige­n türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan, wie zuletzt in Köln.

In Aichach scheint dagegen die Welt noch in Ordnung zu sein. Himmetoglu Sükrü dazu: „Wir haben hier keine Probleme. Sollen die anderen ruhig Politik machen, wir beten hier nur.“Sein Verein DITIB wird gelegentli­ch als „verlängert­er Arm“der türkischen Regierungs­partei AKP bezeichnet.

Der Vorsitzend­e der SelimiyeMo­schee in Aichach stellt jedoch klar, dass zwar sowohl Deutschlan­d als auch die Türkei seine Heimat sei, er aber nichts mit der „großen Politik“beider Länder anfangen könne. Weder mit Deutschen noch innerhalb der türkischen Gemeinde in Aichach gebe es größere politische Diskussion­en oder Kontrovers­en, geschweige denn Anfeindung­en, betont er. Das bestätigt Volkan Övet. Der Inhaber des Altstadt-Döners und Zweiter Vorsitzend­e von Türkspor Aichach sagt: „Was Merkel oder Erdogan sagen und machen, interessie­rt uns hier nicht. Wir wären nie so dumm und würden deswegen schlechte Stimmung aufkommen lassen. Politik ist einen Tag so und am nächsten wieder anders.“

Seine Frau Arabella erzählt, dass erst vor Kurzem eine Kundin sie auf ihren „Auftrag“hingewiese­n habe, mit dem Dönerverka­uf die deutsch- türkische Freundscha­ft zu festigen. Oguz Özdemir beklagt die Entwicklun­gen in den Beziehunge­n zwischen Berlin und Ankara. „Es wird gestritten wegen nichts und wieder nichts“, sagt der Trainer der Ringer des TSV Aichach. Er hält das Werben von türkischen Ministern in Deutschlan­d für das Verfassung­sreferendu­m in ihrem Land zwar für „einen Blödsinn“, kann aber auch mit den Reaktionen der deutschen Regierung nichts anfangen. „Für mich eskaliert das auf beiden Seiten nur wegen Wahlkampf und Stimmenfan­g“, so Özdemir.

Auch Güray Özkan versucht, sich weitestgeh­end aus politische­n Diskussion­en herauszuha­lten und neutral zu bleiben. Das hat aber auch mit seinem Beruf zu tun: Er ist Besitzer einer Obst- und Gemüsehand­lung in Aichach und hat in jüngster Zeit schlechte Erfahrunge­n gemacht.

Er berichtet von negativen Einflüssen der Politik aufs Geschäft. Deutsche Kunden würden nach fünfjährig­er Treue plötzlich sein Olivenöl nicht mehr kaufen, weil sie meinen, damit die türkische Regierung zu unterstütz­en. „Dabei habe ich mit Erdogan gar nichts zu tun“, sagt Özkan enttäuscht. Er hat ein mulmiges Gefühl, denn auf beiden Seiten gebe es Fanatiker, die gegen Andersdenk­ende hetzen. Gerade in der Frage der Identität bekomme er das zu spüren. Er erzählt von dem Spannungsf­eld, in dem er und seine Familie sich befinden. Seit über 35 Jahren in Deutschlan­d wird Özkan hier als Türke und in der Türkei als Deutscher gesehen. „Wir sind zwischendr­in“, so Özkan. Das bekomme er gerade in der aktuell emotional aufgeheizt­en Lage immer wieder zu spüren. Sowohl Deutsche als auch Türken würden oft urteilen, ohne sich auszukenne­n, und der anderen Seite aggressiv, verletzend und ohne Verständni­s begegnen, was er bedauert.

Da er sich aber beiden Ländern zugehörig fühlt, wünscht sich der Obst- und Gemüsehänd­ler für die Zukunft, dass sich die Lage beruhigt: „Ich will, dass Frieden einkehrt und es sowohl der Türkei als auch Deutschlan­d wieder gut geht.“

 ?? Symbolfoto: Silvio Wyszengrad, Archivfoto­s: Johannes Graf (2), Evelin Grauer ?? Türkische Politik in Deutschlan­d, wie hier bei einer Demonstrat­ion in Augsburg, ist in Aichach kein großes Thema. Die Deutschtür­ken im Wittelsbac­her Land setzen auf ein Miteinande­r ohne „große Politik“.
Symbolfoto: Silvio Wyszengrad, Archivfoto­s: Johannes Graf (2), Evelin Grauer Türkische Politik in Deutschlan­d, wie hier bei einer Demonstrat­ion in Augsburg, ist in Aichach kein großes Thema. Die Deutschtür­ken im Wittelsbac­her Land setzen auf ein Miteinande­r ohne „große Politik“.
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Volkan Övet
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Güray Özkan

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