Maus komm raus!
„Die Achterbahn übertrifft alles, was ich mir an Wildheit ausgemalt habe.“
Wo steckt nur Micky? Ist er ausgegangen? Hat er vielleicht einen freien Tag – obwohl Wochenende ist und die Frühlingssonne vom Himmel strahlt? Oder, noch schlimmer: Wurde seine Stelle gar eingespart? Ebenso wie die von Minnie oder Goofy? Von Balu, dem Bären? Jedenfalls begegne ich keinem der Traumhelden aus meiner Kindheit in Lebensgröße, als ich die Pforten von Disneyland Paris (nach einer ordentlichen Wartezeit zur Einstimmung) passiere und in diese zuckrig-rosarote Wunderwelt hineinlaufe, die Große für Kleine erdacht haben. In der Tat, es ist Idylle pur: Die Wasserfontänen sprudeln, Elton Johns Stimme hallt durch den Park: „The Circle of life…“Sogar die vier Polizisten, die mit schweren Maschinengewehren bewaffnet den Eingang bewachen, lassen den Ernst beiseite und fotografieren einander gegenseitig.
Doch in meiner Hoffnung, Micky oder einem seiner putzigen Freunde die Hand zu schütteln, werde ich enttäuscht. Um wenigstens einen Blick auf sie zu erhaschen, muss ich auf den Parademarsch warten, der am späteren Nachmittag stattfindet – aber das ist freilich nicht dasselbe wie eine Begegnung Auge in Auge: Haben die alterslosen Disney-Figuren in 25 Jahren Disneyland Paris Star-Allüren bekommen? Wenigstens laufe ich später einem anderen Wunderwesen über den Weg – das heißt, es rauscht an mir vorbei und wirft mich dabei fast um: Der hochgewachsene Dschafar mit seinem harschen Habitus, berühmt-berüchtigt aus den Disney-Filmen „Aladdin“und „Dschafars Rückkehr“, scheint in Rage gegen Prinzessin Jasmin zu sein, die hektisch ihr hellblaues Kleid zusammenrafft und ihm gerade noch entkommt. Für ein Selfie geht all das viel zu schnell und Dschafar will meine Rufe nicht hören: Offenbar posiert er nur ungern, anders als Jack Sparrow, der ein paar Meter weiter wartet. „Wenn Sie ein Foto machen wollen, stellen Sie sich doch bitte in der Schlange an“, informiert mich eine der gut gelaunten Mitarbeiterinnen. Viele Besucher fügen sich, schließlich möchten sie sich mit ihren am Eingang gekauften blinkenden Mäuse-Ohren oder gar in dem rosa Samtpyjama ablichten lassen.
25 Jahre nach seiner Gründung sich in dem Vergnügungspark gut 30 Kilometer im Westen der französischen Hauptstadt einiges getan. Am 12. April ist Jubiläumstag, doch der französische Präsident François Hollande und andere Persönlichkeiten begingen die Feierlichkeiten bereits Ende Februar. „Das diesjährige Doppel-Jubiläum ist für uns ein historischer Meilenstein“, erklärte dabei Catherine Powell, Präsidentin der Euro Disney S.A.S. „Wir feiern 25 Jahre Disneyland Paris sowie 30 Jahre seit dem Abkommen mit der französischen Regierung, das dafür den Grundstein legte.“Es handelte sich um den ersten Vergnügungspark von Walt Disney Parks and Resorts in Europa und den vierten weltweit – nach jenen in Kalifornien, Florida und Tokio. Ein Jahr nach seiner Gründung wurde die Anbindung durch einen TGV-Bahnhof nochmals verbessert.
Dem französischen Staat ist das wirtschaftliche Gewicht von Disneyland Paris sehr dienlich, darauf weist der Park selbst gerne hin: Schließlich habe er im vergangenen Vierteljahrhundert 68 Milliarden Euro zur französischen Wirtschaft und ist eigenen Angaben zufolge mit über 320 Millionen Besuchern Europas beliebtestes Touristenziel – das kann mit Blick auf die hohen Eintrittspreise erstaunen: 62 Euro kostet das günstigste Tagesticket für einen Erwachsenen oder ein Kind ab zwölf, 55 Euro für Drei- bis Elfjährige.
Etwa die Hälfte aller Gäste kommt aus Frankreich; von den ausländischen Besuchern besichtigen wiederum 52 Prozent auch Paris. Trotzdem plagen finanzielle Probleme und Schulden den Park seit Jahren. Mehr als 700 Millionen Euro betrug der Verlust letztes Jahr. Nun kündigte die Walt Disney Company an, alle Anteile von Disneyland Paris selbst zu übernehmen, auch jene des größten Einzelaktionärs, des saudischen Prinzen al-Walid ibn Talal, sowie weitere 1,5 Milliarden Euro in den Park zu stecken.
Die Investitionen insgesamt belaufen sich auf 7,9 Milliarden Euro, 91 Prozent davon trugen private Investoren. Auch für die Beschäftigungslage ist Disneyland Paris als Arbeitgeber von Bedeutung: Insgesamt wurden eigenen Angaben zuhat folge 56000 direkte und indirekte Arbeitsplätze in ganz Frankreich geschaffen. Mit 15000 Mitarbeitern handelt es sich sogar um den größten Arbeitgeber des Landes an einem einzelnen Standort. Sie üben 500 unterschiedliche Jobs aus und haben 100 verschiedene Nationalitäten – mehr als 100 Mitarbeiter kommen aus Deutschland.
Eine von ihnen ist Pressechefin Martina Stuben: Ihr erster Arbeitstag begann genau vor 25 Jahren, eine Woche vor Öffnung des Parks am 12. April 1992. Was sich seither getan habe? Bei dieser Frage holt die gebürtige Kölnerin erst einmal Luft. „Im Laufe der Jahre kamen etliche neue Attraktionen zu: Inzwischen zählen wir 59.“Die Betten-Kapazität in den Hotels stieg auf 8500 an, zählt sie weiter auf. Neben den sieben Disney-Hotels gibt es zwei weitere Partner-Hotels, außerdem einen Golfplatz und ein Vergnügungszentrum mit Restaurants, Geschäften und einem Multiplexkino. „Zum zehnjährigen Jubiläum kam der zweite Park Walt Disney Studios hinzu, der einen Blick hinter die Kulissen der Filmemacher erbeigetragen laubt“, erklärt Stuben. Eine der jüngeren Entwicklungen sei zudem, dass längst nicht mehr nur die Disney-Klassiker in dem Park vertreten sind, sondern die „Disney-Familie“anwuchs mit dem Eintritt weiterer Marken wie Pixar mit Toy Story, Ratatouille und Konsorten sowie Star Wars. „Gerade für die Deutschen, die etwa zwölf Prozent aller Besucher ausmachen, ist das wichtig, da es unter ihnen eine große Fangemeinde von Star Wars gibt“, so Martina Stuben. Für sie sei Disney ein toller Arbeitgeber, weil die Kollegenschar so international zusammengewürfelt und mit kreativen Köpfen gespickt ist.
Anders als bei den US-amerikanischen Disney-Parks wurde in Paris Alkohol eingeführt, da für Europäer zu einer Feier und einem guten Essen mitunter ein Bier oder ein Glas Wein gehört, erzählt die PR-Chefin. „Außerdem gibt es im Pariser Ableger, dem Land entsprechend, besonders gute Tischrestaurants und eine ausgezeichnete Küche.“
An ihnen stolpere ich während meines Besuches leider vorbei, denn mein jugendlicher Begleiter Roman hat einen klaren Plan: Er möchte einen Hotdog, der ordentlich in Ketchup und Mayonnaise schwimmt und deshalb zu meinem Bedauern mit europäischer oder gar französischer Küche wenig zu tun hat. Außerdem will Fast Food-Fan Roman die Fahrgeschäfte ausprobieren. Sich durch das komplett abgedunkelte Innere von Robinsons Hütte zu tasten – was mir an Nervenkitzel völlig ausreichend erscheint – ist dem 15-Jährigen einfach zu wenig – für ihn muss es schon mehr wirbeln. Also auf zur Achterbahn „Indiana Jones and the Temple of Peril“. Wartezeit: 30 Minuten, heißt es hier.
Zwar kann ich mir einen schnellen Durchgangs-Pass holen, wie mir ein weiterer überaus gut gelaunter Mitarbeiter erklärt. Aber das Ergebnis ist doch dasselbe: Bis zur Eintrittszeit dauert es noch eine halbe Stunde. Wir vertreiben uns noch ein wenig die Zeit beim Spazieren durch diese Stadt am Rande der Hauptstadt, in der man – wie bei jeder Metropole – nie alleine ist: Überall warten bereits andere Vergnügungssüchtige in einer Schlange, etwas weniger sind es in den Walt Disney Studios nebenan. Zumindest nutzt mir die Wartezeit, um mich auf das wilde Erlebnis einzustellen – und es übertrifft, was ich mir an Wildheit ausgemalt hatte. Zweieinhalb Minuten können definitiv lange sein, wenn einem mehrfach der Magen umgedreht und durchgewalkt wird. Offenbar bin ich eben kein Kind mehr – schade eigentlich!
Denn dann würde ich den Neuheiten anlässlich des 25-jährigen Jubiläums vielleicht entgegenfiebern wie der Achterbahn Star Wars Hyperspace Mountain und der wiedereröffneten Attraktion „Star Tours: The Adventures Continue“mit „intergalaktischen Reisen zu fernen Planeten in 3D“. Jeden Abend findet zudem ein Spektakel mit Feuerwerk um das Dornröschenschloss statt. Hinzu kommen zwei neue Shows sowie ein Festzug mit den Disney-Lieblingen. Da könnte ich ihnen dann zumindest aus der Ferne zuwinken.
Vor 25 Jahren eröffnete nahe Paris eine zuckrig-rosarote Wunderwelt. Wie steht es heute um den Disneyland-Zauber? Auf der Suche nach Micky: ein Ortsbesuch in Europas Top-Touristenattraktion