Wo der Himmelsfahrer zerschellte
Serie (8) In St. Moritz wurde schon 1521 reformatorisch gepredigt. Trotzdem konnte sich der neue Glaube dort nicht halten. Warum die Kirche nur vierzig Jahre evangelisch blieb und die Gemeinde dann nach St. Anna umsiedeln musste
Luther in Augsburg
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel publizierte, blieb sein Protest in der Kaufmannsstadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Gesteckt voll war St. Moritz am 29. Mai 1533, dem Himmelfahrtstag. Das Volk sollte einen spektakulären Showdown erleben: Kirchenpfleger Marx Ehem bemächtigte sich der Christusfigur, die altem Brauch zufolge in der Liturgie durch die Kirchendecke aufgezogen wurde, rief „Der Schelm müsst wieder herab!“, stieg in den Turm, ließ die Figur am Seil bis auf sechs Meter herab und dann am Boden zerschellen. Deutlicher konnte der katholische Ritus nicht beendet werden. Ehem ließ schon zu Karfreitag nicht zu, eine Christusfigur ins Heilige Grab zu legen und zuvor im Februar verbot er die Frühmesse am Altar der Zeche.
So hieß die bürgerschaftliche Finanzverwaltung der Pfarrseelsorge, die an die Kirche der Chorherren angegliedert war. Dieses spezielle System, nicht alles den Klerikern zu überlassen, sollte das Einfallstor der Reformation in den Augsburger Kirchen sein. Ganz vorne dabei, weil mittendrin in der Stadt, war St. Moritz. Zunächst ausgerechnet mithilfe der Fugger gegen die vor allem auf ihre Pfründe scharfen Stiftsherren. Denn beide waren der Meinung, es sollte eifriger und gelehrter gepredigt werden bei St. Moritz.
Bereits 1511 hatte die Zeche einen Prediger berufen, den Basler Kanoniker Dr. Johannes Speiser. Auf den Geschmack gekommen, sollte es nach vier Jahren mit ihm weitergehen, doch die Stiftsherrn weigerten sich. Gegen die engen Beziehungen der Fugger zum Papst konnten sie letztlich jedoch nichts ausrichten. Im Januar 1517 stellte Leo X. die Bulle für den „geliebten Sohn“Jakob Fugger den Reichen aus.
Mit Speiser, dem „wortgewaltigen Mann“, sickerte ab 1521 der neue religiöse Geist in die Stadtpfarrei ein. Im Juli 1522 wollte ihn Bischof Christoph von Stadion zur Rechenschaft ziehen, aber der Rat der Stadt deckte den Prediger. Auch sein Nachfolger Othmar Nachtigall predigte reformatorisch, als Zwinglianer verketzerte er allerdings sogar Luther, sodass der Rat 1528 einen Aufruhr befürchtete. Mit zwei neuen Predigern erzielten Zechpfleger und Fugger eine gewisse friedliche Koexistenz der unterschiedlichen reformatorischen Ansätze – zumal während des Reichstages von 1530 in Augsburg nicht allzu deutlich der neue Glaube gepredigt werden durfte. Doch 1533 drängte gerade Zechpfleger Ehem von St. Moritz auf Veränderung und er nahm sie vor – gegen den Willen der Fugger’schen Patronatsherrn.
Marx Ehem etablierte St. Moritz als evangelische Kirche. Er ließ 1534 einen Abendmahltisch in die Kirche setzen, kaufte Tischtücher aus Frankreich sowie Kannen und Teller aus Zinn für einen weniger sakralen Vollzug des Gottesdienstes. Ohne aber die heiligen Gefäße aus Gold und Silber einzuschmelzen, wie es der Rat verlangte. Als 1537 in der Stadt freilich die evangelische Kirchenordnung in Kraft trat, „hat man zu Sankt Moritzen die Tafeln und Altäre zerbrochen und zerhauen“, überliefert Chronist Georg Preu auf den 24. Januar.
Davon gab es im Spätmittelalter immerhin 21 Stück – jeder eine Stiftung einer vermögenden Familie für ewige Seelmessen. Das Sagen hatten in der Bürgerpfarrei St. Moritz damals vor allem Personen des Herbrot-Netzes – „flexible, risikobereite soziale Aufsteiger der Zünfte“, wie sie der Historiker Rolf Kießling beschreibt, also die WirtschaftsAvantgarde der Zeit. Ihnen konnte es nur recht sein, dass die Stadt damals rund um St. Moritz ein neues Geschäftsviertel aufzog. Anstelle des Pfarrfriedhofs und des Predigthauses entstand die Schranne.
Als sich freilich 1548 mit der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg das Blatt wieder zugunsten der Altgläubigen wendete und die evangelisch gewordene Stiftskirche wieder an die zurückgekehrten Chorherrn gegeben werden musste, stand für die Moritzer Pfarrgemeinde anders als in St. Ulrich oder Heilig Kreuz kein Predigthaus neben der Stiftskirche zur Verfügung. Die Zechpfleger Wolf Wild und Vinzenz Perckhammer zogen kurzerhand am 22. August mit drei Karren Kirchengut nach St. Anna um. Die 40-jährige Geschichte der evangelischen Gemeinde bei St. Moritz war zu Ende, doch die finanziellen Verpflichtungen der Moritzer Zeche für Seelsorge und Prediger bestanden weiter – und St. Anna wurde gewissermaßen das Predigthaus von St. Moritz, folgert Rolf Kießling.