Aichacher Nachrichten

Immer Richtung Süden

Über die Osterfeier­tage wollen viele weg. Ins Allgäu, nach Österreich oder an den Gardasee. Schon jetzt ist klar: Auf der A 7 wird es wieder einmal eng. Und das bedeutet mehr als nur Stau und Blockabfer­tigung

- VON SONJA KRELL

Papa Walter bremst, blinkt und lenkt den roten VW-Bus in die Parkbucht. Der letzte Stopp ist gerade einmal zweieinhal­b Stunden her. Aber die Kinder haben Hunger, so ist das eben. Also parkt Papa das Auto, Mama Petra holt die Tüte mit den Semmeln aus dem Kofferraum. Und Maximilian, Mariela und Jaspar das, was es für eine Brotzeit braucht. Käse, Salami und Schinken, Eier, Joghurt und die Thermoskan­ne Tee. „Na ja, so richtig einladend sieht das hier nicht aus“, meint die Mutter und schneidet eine Körnersemm­el auf. Der Tisch ist mit Edding bekritzelt, auf der Holzbank fehlen die Dielen. Und, ja, leise ist es auch nicht gerade, wenn die A7 ein paar Meter weiter vorbeiraus­cht.

Aber erstens ist das günstiger, wenn man hier, am Parkplatz Leibisee bei Nersingen, Pause macht, als sich an der nächsten Raststätte ein teures Essen zu kaufen, sagt die Mutter. Und zweitens waren manche Dinge halt schon immer so, sagt der Vater. Dass er die gesamten 700 Kilometer am Steuer sitzt, von Pirmasens bis an den Gardasee, dass die Frau sich um die Kinder und um den Reiseprovi­ant kümmert. Und dass man dann Pause macht, wenn einer mal muss. Oder Hunger hat.

Die A7 ist neben der A8 die Urlaubsrou­te der Deutschen. Nicht nur, weil die längste Autobahn des Landes Nord mit Süd, Flensburg mit Füssen, verbindet. Sondern weil, wer von Hamburg, Kassel oder Würzburg aus nach Österreich oder Italien will, zwangsläuf­ig mit der Blechlawin­e über die A 7 rollt. „Die A7“, sagt ADAC-Sprecher Rudolf Vogler, „ist unser Sorgenkind im Osterreise­verkehr.“Zähfließen­der Verkehr am Kreuz Memmingen, Stau am Dreieck Allgäu, Blockab- vor dem Grenztunne­l, wer kennt das nicht.

Dagmar Paulus sieht die Blechlawin­e regelmäßig von oben. Dann, wenn sie auf dem Rücken von Sansibar sitzt und mit dem Trakehner über die Autobahnbr­ücke geht, die hier, bei Illertisse­n, über die A 7 führt. Jetzt, unter der Woche, ist ausnahmswe­ise wenig los auf der Autobahn. „Aber letzten Samstag war es der Wahnsinn, da standen sie Stoßstange an Stoßstange“, erzählt Paulus. Und dass es schon jahrelange Übung brauche, um ein Pferd über die Autobahn zu leiten, so, wie Paulus das seit 20 Jahren macht. „Ich bin auch die Einzige, die hier ausreitet“, erklärt sie und zeigt nach drüben, auf das Reitsportz­entrum, dessen Springparc­ours an die A7 grenzt. „Das ist ein reiner Turniersta­ll, da reitet niemand aus.“

Aber Sansibar ist mit seinen 25 Jahren zu alt, um noch über Hinderniss­e zu springen. Darum gehen die beiden jeden zweiten Tag die Runde, erst über die Autobahnbr­ücke, dann den asphaltier­ten Weg entlang, vorne über eine andere Autobahnbr­ücke und zurück zum Stall. Sansibar hat sich daran gewöhnt, dass unter ihm Autos vorbeizisc­hen, sagt Paulus. Und sie selbst? „Ich muss da nicht so oft drauf, zum Glück.“Na ja, an Ostern wieder, die paar Kilometer Richtung Norden, dann auf die A8 bis Karlsruhe und ins Saarland, wo die Familie lebt. „Auch so eine schrecklic­he Autobahn“, sagt Paulus.

Diese Reise aber geht weiter auf der A7 Richtung Süden. Autos mit holländisc­hen und französisc­hen Kennzeiche­n, Kleinwagen mit vollgestop­ftem Kofferraum, Reisemobil­e mit Fahrrädern. Alle paar hundert Meter liegen volle Müllsäcke am Straßenran­d. „Streckenre­inigungsar­beiten“, nennt das Roland Immerz von der Autobahndi­rektion Südbayern, Dienststel­le Kempten. Ein Frühjahrsp­utz, den die Männer in Warnwesten machen, die ein paar Kilometer später am Straßenran­d auftauchen. Sie lesen auf, was von den Urlaubern bleibt: leere Flaschen, McDonald’s-Tüten, Zigaretten­schachteln. Auf 45 Kilometern kommen da bis zu 400 Säcke Müll zusammen, sagt Immerz.

Christina Piva steht eine halbe Autostunde entfernt hinter der Kasse und verkauft das, was der Mensch auf der Durchreise so braucht. Benzin, Getränke, Schokorieg­el, aber auch Handyladek­abel und Hörbücher, Glückwunsc­hkarten und Grillkohle, Sonnenbril­len und belegte Semmeln. An der Aral-Tankstelle direkt an der Ausfahrt Bad Grönenbach ist immer viel los. Jetzt, zur Reisezeit, erst recht. „Die Leute sind gestresst, sie sind schlecht drauf“, sagt die 58-Jährige. Manch einer motzt, weil er warten muss, bis er zahlen kann. Andere lassen vor lauter Hektik die EC-Karte liegen. Autofahren, sagt Piva, bedeute für viele Stress. Dabei sollte es doch anfertigun­g ders sein, wenn man Urlaub hat, die Berge im Blick und die schönste Zeit des Jahres noch vor einem liegt.

Bei den Mayerhofer­s ist es nicht anders. In den Sommerferi­en will die Familie aus Altenstadt an der Iller die A7 hinunter, zum Hopfensee. „Der Campingpla­tz ist schon reserviert“, erzählt Sandra Mayerhofer. An diesem Tag wollten sie, ihr Mann Roman und die Kinder nach Memmingen und dort einen Wohnwagen anschauen. Doch daraus wird erst einmal nichts. Der Skoda der Familie steht auf dem Pannenstre­ifen, der Keilriemen ist gerissen. Jetzt sitzen die Mayerhofer­s auf Handtücher­n im Gras, die Böschung hinunter. „Wir machen hier ein Mini-Picknick“, erzählt Fiona, 7. Ihre Schwester Tamina, 5, bietet Kekse und Kinder-Kaugummi an. Weil es dauern kann, bis der „Pfirsichwa­gen“kommt. „Das heißt nicht Pfirsichwa­gen, das heißt Abschleppw­agen“, sagt die Mutter und streicht ihr übers Haar.

Und weil die Mayerhofer­s Zeit haben, erzählen sie: dass sie gerade in Bad Grönenbach beim BurgerEsse­n waren, dass nach ein paar hundert Metern auf der Autobahn der Wagen angefangen habe zu pfeifen und auf einmal rauchte. Dass sie es rechtzeiti­g auf den Pannenstre­ifen geschafft haben. Und dass ja zum Glück nichts passiert ist. Dann kommt der Abschleppd­ienst. Vater Roman hilft, das Auto zu verladen. Und Fiona erzählt noch, dass sie jetzt vorne mitfahren darf, im Pfirsichwa­gen. Dann sind sie auch schon weg, weiter auf der A 7, in Richtung Raststätte Allgäuer Tor.

Würde Karl Endres in diesem Moment aus dem Stallfenst­er schauen, könnte er den Abschleppw­agen erahnen. Hören dürfte er ihn auf alle Fälle. Erst recht, seit die Hecke hinter der Raststätte nicht mehr da ist. Sie hat einen Teil des Lärms geschluckt, der von dort zu seinem Hof herüberdri­ngt. Endres’ Einödhof liegt am Ende einer Stichstraß­e, irgendwo im Nirgendwo, bewacht von einem großen, schwarzen Hund. „Jetzt gib scho a Ruah“, schimpft er und sperrt das Tier ins Haus. Dann führt er den Besucher durch den Stall, in dem früher mal Kühe standen, und öffnet die Tür.

Von hier aus sind es vielleicht hundert Meter Luftlinie zur Raststätte – und noch ein paar Meter mehr zur Autobahn. „Wir haben heute das Zehnfache an Verkehr wie vor 20 Jahren“, sagt der Bauer, 78. Man hört die Autos vorbeiraus­chen, selbst, wenn heute wenig los ist. Selbst in der Nacht, sagt Endres, röhren die Motoren. Jetzt, in den Ferien, ist auch der Rastplatz voll. Autos, Wohnwagen, Kleinlaste­r. Manche übernachte­n sogar in ihren Fahrzeugen, schimpft er. Jeden Abend Krach. „Aber was soll man machen?“, sagt Endres und zuckt mit den Schultern. „Das ist halt so.“

Es geht weiter, vorbei an Kempten, vorbei am Dreieck Allgäu, wo die Urlauber am Osterwoche­nende wieder Stoßstange an Stoßstange stehen dürften. „Der Gründonner­stag ist der Tag, an dem es wirklich voll wird“, sagt ADAC-Sprecher Vogler. Weil über die Feiertage viele wegwollen – die einen auf die A 980, das kurze Autobahnst­ück, das die A 7 mit der Bundesstra­ße nach Oberstdorf verbindet, die anderen weiter über die A7 nach Füssen, nach Österreich, vielleicht über den Fernpass zum Brenner. Und das bremst den Verkehr am Grenztunne­l. Aber was ist das schon, ein bisschen Blockabfer­tigung, mögen manche sagen. Denn rund um Füssen kennt man auch andere Zeiten. Vor 2009, als die Autobahn knapp 15 Kilometer vor der Grenze endete, als die Urlauber in Nesselwang

Der Vater fährt, die Mutter schmiert die Semmeln Das Auto pfeift, dann raucht es: der Keilriemen

im Stau standen, man sich durch Pfronten, Seeg oder Hopferau quälte. Wer erahnen will, wie das damals war, muss schon auf den Golfplatz in Nesselwang, unweit der A7. Hier kann man die Autobahn noch hören, aber auch die Enten, die im Attleseer Weiher quaken.

Am Autohof Huter, auf der anderen Seite der Grenze, machen ausländisc­he Reisegrupp­en, die bei den Königsschl­össern waren, Halt. Aber auch Allgäuer, weil der Sprit hier ein paar Cent günstiger ist als daheim. Gregor Hammer ist nur die letzten zwei Kilometer der A 7 gefahren, eigentlich nur durch den Tunnel, über die Grenze. Obwohl die Autobahn für den Pfälzer der direkte Weg Richtung Süden gewesen wäre, hat er sein Wohnmobil lieber über die Schwäbisch­e Alb gelenkt, durch die Dörfer, fernab von Stau und Stress. Ab Ulm, hatte der Verkehrsfu­nk gemeldet, könnte es schon eng werden. „Wir haben ja Zeit“, sagt seine Frau Patricia. „Für uns fängt der Urlaub an, wenn wir losfahren.“Jetzt aber geht es weiter, an den Gardasee, immer Richtung Süden.

 ??  ?? Dagmar Paulus kennt die A 7 von oben. Sie reitet regelmäßig bei Illertisse­n über die Autobahn. Ihr Pferd Sansibar hat sich daran gewöhnt.
Dagmar Paulus kennt die A 7 von oben. Sie reitet regelmäßig bei Illertisse­n über die Autobahn. Ihr Pferd Sansibar hat sich daran gewöhnt.
 ??  ?? Diagnose: Keilriemen gerissen. Für Roman Mayerhofer ist die Fahrt nach der Aus fahrt Bad Grönenbach zu Ende. Rechts wartet schon der Abschleppw­agen.
Diagnose: Keilriemen gerissen. Für Roman Mayerhofer ist die Fahrt nach der Aus fahrt Bad Grönenbach zu Ende. Rechts wartet schon der Abschleppw­agen.
 ??  ?? Nur 100 Meter hinter dem ehemaligen Hof von Karl Endres aus Naiers, einem Ortsteil von Dietmannsr­ied, steht die Raststätte Allgäuer Tor.
Nur 100 Meter hinter dem ehemaligen Hof von Karl Endres aus Naiers, einem Ortsteil von Dietmannsr­ied, steht die Raststätte Allgäuer Tor.
 ??  ?? Camper Gregor Hammer aus der Pfalz ist fast die gesamte Strecke über Bundesstra ßen gefahren. Erst kurz vor Füssen ist er auf die Autobahn drauf.
Camper Gregor Hammer aus der Pfalz ist fast die gesamte Strecke über Bundesstra ßen gefahren. Erst kurz vor Füssen ist er auf die Autobahn drauf.
 ?? Fotos: Benedikt Siegert ?? Brotzeit neben der Mülltonne. Diese Familie aus Pirmasens macht Rast am Parkplatz Leibisee West bei Nersingen.
Fotos: Benedikt Siegert Brotzeit neben der Mülltonne. Diese Familie aus Pirmasens macht Rast am Parkplatz Leibisee West bei Nersingen.
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Die Aral Tankstelle bei Bad Grönenbach. Hier arbeitet Christina Piva. Sie kann Ge schichten erzählen ...

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