Die neuen Dimensionen des Bildersturms
Die Vernichtung von Kunst betreiben heute fanatische Islamisten – aber nicht nur
Bilderstürmer haben wieder Hochkonjunktur. Während es in Europa bald ein halbes Jahrtausend her ist, dass religiöse Bildwerke im Zuge der Reformation bewusst und flächendeckend zerstört wurden, erreicht der Ikonoklasmus, wie der Fachterminus lautet, derzeit im Nahen und Mittleren Osten ungeahnte Ausmaße. Der sogenannte Islamische Staat (IS) vernichtet in seiner Einflusssphäre rigoros künstlerische Äußerungen, die nicht in sein Weltbild passen. Seien es heilige Stätten der in seinen Augen häretischen Schiiten, christliche Kunst oder die Überreste antiker Kultur. Wobei letztere deutlich mehr im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehen als etwa der innerislamische Bildersturm, wie die Arabien- und Islamwissenschaftler Christoph Günther (Halle) und Tom Bioly (Jena) festgestellt haben. Sie gehörten zu den Referenten beim inzwischen fünften Kunsthistorischen Forum, das die Schwabenakademie zusammen mit den Universitäten Trier und Bonn im Kloster Irsee ausrichtete. Dabei ging es um das Thema „Bilder – Gewalt“von der antiken Erinnerungstilgung (damnatio memoriae) bis zur zeitgenössischen Kunst.
Günther und Bioly erforschen seit Jahren die religiös motivierte Vernichtung von Kunst durch den IS. Sie kommen zum Ergebnis, dass es den „Gotteskriegern“nicht allein um die physische Beseitigung von Werken geht, die in ihren Augen die Vielgötterei oder den Götzendienst symbolisieren. Hinter den Zerstörungsakten stehe der Wille des IS, seine religiöse, aber auch seine politische Ideologie als die einzig wahre zu manifestieren. Für diese Propaganda werde nicht nur mit Bohrhämmern, Baggern und Sprengstoff gewütet, sondern vor allem auch „Bilder produziert“, so Günther. Die Forscher verweisen auf zum Teil aufwendig bearbeitete und fundiert theologisch kommentierte Videos von Zerstörungsakten an schiitischen Heiligenschreinen oder antiken Tempeln und Skulpturen. Gerade in letzteren Fällen würden die Internet-Videos auch gezielt für ein westliches Publikum bearbeitet und mit englischen Untertiteln versehen.
Die Hochschätzung Europas oder Amerikas für (längst musealisierte) „Götzenbilder“werde vom IS als Beweis für deren Allah-Feindlichkeit und Dekadenz interpretiert. Damit erhalte der Ikonoklasmus auch eine klare politische Dimension. „Bilder werden zerstört, um neue symbolische Bilder zu erzeugen“, resümieren Günther und Bioly. In ihren Augen ist dies eine neue Dimension des Bildersturms.
Konjunktur hat die bewusste Zerstörung von Kunst – Schäden durch Luftverschmutzung, Besuchermassen oder übereifrige Restauratoren einmal ausgespart – allerdings auch in unseren Breiten. Freilich unter ganz anderen Vorzeichen, wie etwa Christoph Zuschlag (Landau) ausführte. Er ging auf die Zerstörung als Akt der Kunst, auf die Kunst der Zerstörung in modernen und auch zeitgenössischen ästhetischen Prozessen ein.
Viele Künstler, von Paul Klee über Emil Schumacher bis hin zu Arnulf Rainer, Niki de SaintePhalle und Robert Rauschenberg, nutzten „die Zerstörung als bewussten Schöpfungsprozess“. Sie übermalten, zerschnitten, beschossen, zerkratzten, verbrannten eigene oder fremde Werke oder ließen sie wie Félix González-Torres seine Bonbonberge und Papierstapel vom Publikum abtragen, um innovative Kunst zu schaffen. Religiöser Fanatismus spielt dabei keine Rolle; höchstens bisweilen ein Hang zur „Selbstmythisierung“des Künstlers, wie Zuschlag meint.
Ausstellung Begleitend zum Kunst historischen Forum stellen schwäbische Künstler Werke zum Thema „Das verän derte Kunstwerk“noch bis 23. April im Kloster Irsee aus. Parallel dazu läuft dort auch die große Frühjahrsschau der Be rufsverbände Bildender Künstler (BBK) in Schwaben.