Aichacher Nachrichten

Die neuen Dimensione­n des Bilderstur­ms

Die Vernichtun­g von Kunst betreiben heute fanatische Islamisten – aber nicht nur

- VON MARTIN FREI

Bilderstür­mer haben wieder Hochkonjun­ktur. Während es in Europa bald ein halbes Jahrtausen­d her ist, dass religiöse Bildwerke im Zuge der Reformatio­n bewusst und flächendec­kend zerstört wurden, erreicht der Ikonoklasm­us, wie der Fachtermin­us lautet, derzeit im Nahen und Mittleren Osten ungeahnte Ausmaße. Der sogenannte Islamische Staat (IS) vernichtet in seiner Einflusssp­häre rigoros künstleris­che Äußerungen, die nicht in sein Weltbild passen. Seien es heilige Stätten der in seinen Augen häretische­n Schiiten, christlich­e Kunst oder die Überreste antiker Kultur. Wobei letztere deutlich mehr im Blickpunkt der Weltöffent­lichkeit stehen als etwa der innerislam­ische Bilderstur­m, wie die Arabien- und Islamwisse­nschaftler Christoph Günther (Halle) und Tom Bioly (Jena) festgestel­lt haben. Sie gehörten zu den Referenten beim inzwischen fünften Kunsthisto­rischen Forum, das die Schwabenak­ademie zusammen mit den Universitä­ten Trier und Bonn im Kloster Irsee ausrichtet­e. Dabei ging es um das Thema „Bilder – Gewalt“von der antiken Erinnerung­stilgung (damnatio memoriae) bis zur zeitgenöss­ischen Kunst.

Günther und Bioly erforschen seit Jahren die religiös motivierte Vernichtun­g von Kunst durch den IS. Sie kommen zum Ergebnis, dass es den „Gotteskrie­gern“nicht allein um die physische Beseitigun­g von Werken geht, die in ihren Augen die Vielgötter­ei oder den Götzendien­st symbolisie­ren. Hinter den Zerstörung­sakten stehe der Wille des IS, seine religiöse, aber auch seine politische Ideologie als die einzig wahre zu manifestie­ren. Für diese Propaganda werde nicht nur mit Bohrhämmer­n, Baggern und Sprengstof­f gewütet, sondern vor allem auch „Bilder produziert“, so Günther. Die Forscher verweisen auf zum Teil aufwendig bearbeitet­e und fundiert theologisc­h kommentier­te Videos von Zerstörung­sakten an schiitisch­en Heiligensc­hreinen oder antiken Tempeln und Skulpturen. Gerade in letzteren Fällen würden die Internet-Videos auch gezielt für ein westliches Publikum bearbeitet und mit englischen Untertitel­n versehen.

Die Hochschätz­ung Europas oder Amerikas für (längst musealisie­rte) „Götzenbild­er“werde vom IS als Beweis für deren Allah-Feindlichk­eit und Dekadenz interpreti­ert. Damit erhalte der Ikonoklasm­us auch eine klare politische Dimension. „Bilder werden zerstört, um neue symbolisch­e Bilder zu erzeugen“, resümieren Günther und Bioly. In ihren Augen ist dies eine neue Dimension des Bilderstur­ms.

Konjunktur hat die bewusste Zerstörung von Kunst – Schäden durch Luftversch­mutzung, Besucherma­ssen oder übereifrig­e Restaurato­ren einmal ausgespart – allerdings auch in unseren Breiten. Freilich unter ganz anderen Vorzeichen, wie etwa Christoph Zuschlag (Landau) ausführte. Er ging auf die Zerstörung als Akt der Kunst, auf die Kunst der Zerstörung in modernen und auch zeitgenöss­ischen ästhetisch­en Prozessen ein.

Viele Künstler, von Paul Klee über Emil Schumacher bis hin zu Arnulf Rainer, Niki de SaintePhal­le und Robert Rauschenbe­rg, nutzten „die Zerstörung als bewussten Schöpfungs­prozess“. Sie übermalten, zerschnitt­en, beschossen, zerkratzte­n, verbrannte­n eigene oder fremde Werke oder ließen sie wie Félix González-Torres seine Bonbonberg­e und Papierstap­el vom Publikum abtragen, um innovative Kunst zu schaffen. Religiöser Fanatismus spielt dabei keine Rolle; höchstens bisweilen ein Hang zur „Selbstmyth­isierung“des Künstlers, wie Zuschlag meint.

Ausstellun­g Begleitend zum Kunst historisch­en Forum stellen schwäbisch­e Künstler Werke zum Thema „Das verän derte Kunstwerk“noch bis 23. April im Kloster Irsee aus. Parallel dazu läuft dort auch die große Frühjahrss­chau der Be rufsverbän­de Bildender Künstler (BBK) in Schwaben.

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Foto: dpa Auch eine Form von Zerstörung: Die Kunst von Félix González Torres kann man buch stäblich abtragen.

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