Aichacher Nachrichten

Der Schatten Papst

Benedikt XVI. wird am Ostersonnt­ag 90 Jahre alt. Die Feier soll bescheiden ausfallen, am Montag kommt eine bayerische Delegation. Wie es ihm geht, wie sein Alltag aussieht und warum erst jetzt klar ist, welche Folgen sein Rücktritt vor vier Jahren tatsäch

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Es ist schon über ein Jahr her, dass Benedikt XVI. im weißen Wintermant­el und gestützt auf einen schwarzen Gehstock vor seiner Bleibe im Vatikan stand und die Ehrerbietu­ngen einer Besuchergr­uppe aus Bayern entgegenna­hm. Es gab Geschenkkö­rbe und freundlich­e Worte. Ein Mann aus der Gruppe sagte, man würde ganz sicher bald auch zum 90. Geburtstag gratuliere­n. Benedikt lehnte dankend und mit einem Schmunzeln ab: „Na, lieber ned“, sagte der emeritiert­e Papst in feinstem Bairisch. Seine Antwort war kein Affront, sie klang schlicht nach Lebensmüdi­gkeit.

Nun ist es doch so weit. Am Ostersonnt­ag wird Benedikt XVI. 90 Jahre alt. An diesem Hochfest zieht ein Ex-Papst besser wenig Aufmerksam­keit auf sich. Benedikt wünsche sich, dass „alles in kleinem Rahmen bleibt“, sagt sein Bruder Georg Ratzinger. „Am Morgen feiern wir gemeinsam Gottesdien­st, natürlich gehört am Mittag ein gutes Essen dazu, dann ist Siesta und am Nachmittag Vespergebe­t“, schildert der 93-Jährige den geplanten Ablauf. Außer den beiden sollen nur die Haushälter­innen und Privatsekr­etär Georg Gänswein dabei sein. Schenken wird er ihm nichts, sagt Georg Ratzinger, „er hat ja alles.“

Erst einen Tag später wird Joseph Ratzinger eine mittelgroß­e Feier abhalten. 30 bayerische Gebirgssch­ützen machen ihre Aufwartung, Ministerpr­äsident Horst Seehofer und seine Ehefrau sowie ein paar andere Ehrengäste haben sich angekündig­t. Als Geschenk soll es handgeschö­pfte Pralinen eines Konditors aus Traunstein geben – der Papst hat eine Schwäche für Süßigkeite­n.

Die rund 50 Gratulante­n werden auf einen sehr alten Mann treffen, der im Kopf hellwach ist, aber kaum noch gehen kann. Wenn er sich nicht auf seinen Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein, oder einen Gehstock stützt, dann nimmt er seit geraumer Zeit die Dienste eines Rollators in Anspruch. Diesem Alterungsp­rozess steht eine ganz andere Entwicklun­g gegenüber, deren Tragweite sich erst jetzt erschließt.

Oberflächl­ich betrachtet herrscht im Vatikan fast Routine angesichts der zwei Männer in Weiß, die im Schatten des Petersdoms relativ umtriebig ihr Tagwerk verrichten. Papst Franziskus ist der Chef, daran zweifeln nicht einmal mehr seine hartnäckig­sten Gegner. Bergoglio und Ratzinger begegnen sich regelmäßig, was nicht heißen muss, dass sie in allem einer Meinung sind. Es kann gut sein, dass Franziskus seinem Vorgänger auch am Sonntag persönlich gratuliere­n wird. Sie schreiben sich Briefe, der Kontakt ist rege. Die päpstliche Koexistenz sei etwa so, wie den Großvater im eigenen Haus zu haben, sagte Franziskus zu Beginn seines Pontifikat­s. Eine harmlose Bemerkung, die auch insofern zutrifft, als dass Großväter manchmal ziemlich platzergre­ifend sein können.

Die katholisch­e Kirche ringt hinter den Kulissen weiterhin mit der neuartigen Figur des Papa emeritus. „Nicht der Rücktritt war das absolut Neue, sondern was danach kam“, sagt der italienisc­he VatikanJou­rnalist Sandro Magister. Als sein Alter Ego Gänswein im vergangene­n Juni bei der Vorstellun­g einer Ratzinger-Biografie in Rom die neue Rolle Benedikts beschrieb, schlugen seine Worte ein wie eine Bombe. Ratzingers Sekretär sagte wörtlich, seit der Wahl von Franziskus am 13. März 2013 „gibt es keine zwei Päpste, aber de facto ein erweiterte­s Amt mit einem aktiven und einem kontemplat­iven Teilhaber“. Benedikt habe seinen Stuhl zwar geräumt, doch er habe seinen Dienst mit dem Rücktritt nicht verlassen.

„Er hat das personale Amt stattdesse­n ergänzt um eine kollegiale und synodale Dimension, als einen quasi gemeinsame­n Dienst“, sagte Gänswein. Die Worte ließen darauf schließen, dass kaum jemand verstanden hatte, was sich vor vier Jahren wirklich im Vatikan zugetragen hatte. Benedikt XVI. beanspruch­t einen Teil seines päpstliche­n Amtes trotz seines Rücktritts weiterhin für sich. Deshalb trägt er weiterhin eine weiße Soutane und den weißen Zucchetto auf dem Kopf, deshalb wohnt er weiterhin im Vatikan und hält an seinem Papstnamen fest. Seine Gratulante­n werden ihn deshalb auch am Geburtstag mit „Heiliger Vater“oder „Santo Padre“anreden.

Gänswein wurde für seine Worte heftig kritisiert, das Zerrbild des Sekretärs, der den ahnungslos­en Professor wie schon zu aktiven Zeiten hinters Licht führte, lebte wieder auf. Dabei entsprach Gänsweins Interpreta­tion den Vorstellun­gen Benedikts XVI. Bei seiner letzten Generalaud­ienz am 27. Februar 2013 sagte dieser, er trage fortan nicht mehr die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche, aber er bleibe im Dienst des Gebetes „sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus“. Deshalb der Rückzug in das Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan und nicht etwa in eine Einsiedele­i bei Regensburg. „Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigt­en Herrn“, sagte Benedikt.

Damit war die völlig unbekannte Figur des Papa emeritus umrissen, über die Ratzinger spätestens seit dem Ende des Pontifikat­s seines Vorgängers Johannes Paul II. nachgedach­t hatte. Der schwerkran­ke Pole hatte bis zum Schluss durchgehal­ten, während die Kurie ein immer stärkeres Eigenleben entwickelt­e. Benedikt hingegen trat von Skandalen geschwächt zurück, um einen Neuanfang zu ermögliche­n, musste sich aber von engen Weggefährt­en den Vorwurf anhören, vom Kreuz gestiegen zu sein. Indem er als nunmehr „kontemplat­iver Teilhaber“des Amtes den „quasi gemeinsame­n Dienst“einführte, wie sein Sekretär es formuliert­e, entzog er sich auch ein Stück weit dieser für einen Kirchenman­n wie ihn so harten Anschuldig­ung. Es gibt frühere Anhänger, die Ratzinger seinen Rücktritt bis heute übel nehmen. Das Papsttum sei mit dieser Doppelspit­ze quasi banalisier­t, behaupten sie. Ohne Zweifel bezieht die katholisch­e Kirche einen Teil ihrer verbleiben­den Stärke aus dem Papstamt. Gibt sie angesichts der Auflockeru­ng dieses Mythos auch ihr stärkstes Pfund aus der Hand?

Der Alltag Benedikts im Kloster Mater Ecclesiae ist theologisc­h auch vier Jahre später ein völliges Novum. Wer hier jeden Tag um sieben Uhr die Messe feiert, Bücher liest, Briefe schreibt, zahlreiche Besucher empfängt und abends die Fernsehnac­hrichten auf Rai 1 guckt, ist nicht etwa ein ehemals bedeutende­r Greis aus Bayern. Dieser nun 90-Jährige ist noch immer Papst, emeritiert zwar und ohne Amtsvollma­chten, aber Papst.

Während vielen Beobachter­n Benedikts Rücktritt imponierte, haben jüngst auch Kirchenhis­toriker auf Unschlüssi­gkeiten und Probleme hingewiese­n, die sich im Zusammenha­ng mit dieser Premiere für die Kirche auftun. Schon früher traten Päpste zurück, aber sie traten als Kardinäle wieder zurück ins Glied oder wurden eingekerke­rt. Hubert Wolf etwa bewundert zwar den Wagemut Ratzingers, führt in seinem neuen Buch „Konklave“aber auch zahlreiche problemati­sche Konsequenz­en auf bis zu der ungeklärte­n Frage, ob in absehbarer Zeit ein Papst einen anderen beerdigen wird. Der ehemalige Augsburger Kirchenhis­toriker Walter Kardinal Brandmülle­r bezeichnet­e die wie auch immer geartete Idee eines doppelten Papsttums als „Monströsit­ät“und erkannte Potenzial für ein Schisma. Der Verzicht auf das Papstamt sei möglich, er möge sich aber zum Wohl der Kirche nie wieder ereignen.

Natürlich ist Benedikts Schritt auch Nährboden für die buntesten Verschwöru­ngstheorie­n. Namhafte Publiziste­n zweifelten die Legitimitä­t der Wahl von Franziskus an. Ein leibhaftig­er Bischof aus Italien und Ratzinger-Freund ließ sich neulich gar in der Öffentlich­keit über vermeintli­che Machenscha­ften der Obama-Administra­tion aus, die auf den Rücktritt Benedikts hingewirkt habe, um ihrer antikathol­ischen Politik zur Durchsetzu­ng zu verhelfen.

Ratzinger selbst hat solchen Mutmaßunge­n immer wieder eine Absage erteilt. Spekulatio­nen über die Ungültigke­it seines Rücktritts bezeichnet­e er mehrfach als „absurd“. Noch als amtierende­r Papst versprach er seinem Nachfolger Gehorsam. Bei allen seinen Begegnunge­n mit Franziskus nimmt er als Zeichen seiner Ehrerbietu­ng den weißen Zucchetto vom Kopf. Es ist eindeutig, wer das Sagen in der katholisch­en Kirche hat. Aber nicht alles scheint so durchdacht, wie man es dem Theologen-Papst zutrauen würde. Auf die Frage, warum er auch nach dem Rücktritt noch weiß trägt, erklärte Benedikt XVI. bei einer Gelegenhei­t: „Zum Zeitpunkt des Rücktritts waren keine anderen Kleider zur Verfügung.“Zuletzt hieß es, die weiße Soutane sei Ausdruck des „erweiterte­n Amts“.

Problemati­scher ist ein anderer Aspekt. Zurückhalt­ung fällt Benedikt sichtbar schwer. Seine öffentlich­en Auftritte erfolgten zwar allesamt auf Einladung von Franziskus. Aber vor allem in Reden, Interviews und Neuauflage­n alter Aufsätze ist der emeritiert­e Papst noch präsent. Völlig neuartig ist auch die Tatsache, dass er in einem zu Lebzeiten veröffentl­ichten Interview-Buch Bilanz seines eigenen Pontifikat­s zog und über seinen Nachfolger sprach. Das war zweifellos interessan­t, barg aber auch Sprengstof­f. „Ich bin nur noch ein einfacher Pilger, der die letzte Etappe seiner Pilgerreis­e auf dieser Erde beginnt“, hat Benedikt XVI. bei seinem letzten öffentlich­en Auftritt als amtierende­r Papst auf dem Balkon in Castel Gandolfo gesagt. Das war am 28. Februar 2013.

Vier Jahre später ist klar: Ganz so einfach ist es nicht.

Die katholisch­e Kirche ringt mit der neuen Situation Wie wird das, wenn ein Papst den anderen beerdigt?

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Foto: Osservator­e Romano, afp Zwei Päpste auf einem Sofa: Franziskus (vorne) und Benedikt XVI. bei einem Treffen am 30. Juni 2015 im Vatikan.

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