Aichacher Nachrichten

Jeder Zoll ein deutscher Mann

Früh geriet der Reformator in den schmutzige­n Wettstreit von Anhängern und Gegnern. Nicht nur Heinrich von Kleist und Stefan Heym ragen aus den Niederunge­n heraus

- VON GÜNTER OTT

Martin Luther ist ein Winzling. Mit schwarzer Kappe, im schwarzen Talar misst er gerade einmal 7,5 Zentimeter. So läuft das Mönchlein als Playmobil vom Fließband. Die Nachfrage nach der Spielfigur im 500. Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n bewegt sich auf eine Million zu, ungeachtet dessen, dass der kleine Mann kaum Ähnlichkei­t mit dem großen Vorbild hat. Immerhin hält er seinen Markenkern in Händen, einen Federkiel und die Bibel.

Dass Luther, der die Tradition des Kirchenlie­ds neu belebte, der die Bibel aus dem Griechisch­en, Lateinisch­en und Hebräische­n ins Deutsche übersetzte, der die Geschichte der deutschen Sprache und Literatur bis heute inspiriert­e, dass dieser Mann aus Eisleben selbst zu einer Figur der Literatur werden würde, wird keinen wundern. Hunderte von Dramen, Epen und Gedichten rücken den Reformator ins Zentrum. Schier unübersehb­ar scheint die Zahl all jener mit Luther befassten, heute oft kaum mehr bekannten Autorinnen und Autoren. Nun liegt eine hervorrage­nde Sichtung vom 16. bis ins 21. Jahrhunder­t vor – kritisch, vergleiche­nd und kurzweilig zu lesen. Autor ist Prof. Norbert Mecklenbur­g.

Der Kölner Germanist stellt der Luther-Literatur eine ernüchtern­de Diagnose: Die Quantität obsiegt bei weitem über die Qualität. Dies zumal im sowieso in die Drastik verschosse­nen 16. Jahrhunder­t, in dem Befürworte­r und Gegner die Figur Luthers mit einem gerüttelt Maß an polemische­n Kraftakten hin und her zerrten. Der Reformator versank im schmutzige­n Wettbewerb der Autoren, wird mit Lob zugeschütt­et und mit Dreck beworfen, zum Schutzheil­igen ausgerufen und von Scharfrich­tern gemeuchelt. Die Literatur erweist sich als billige Währung des reformator­ischen Pro und Kontra, und dies sollte sich im Lauf der Jahrhunder­te wenig ändern. Auf der Strecke blieb weithin Luthers religiöse Botschaft, sein geistiges Profil.

Der Heroisieru­ng antwortet insbesonde­re in den Anfängen, da „des Luthers sach“1517/18 durch die Publikatio­n seiner Thesenschr­iften schlagarti­g ins öffentlich­e Scheinwerf­erlicht gelingt, die Verhäuslic­hung. Die Widersache­r fantasiere­n sich vor allem in die Eheschließ­ung ehemaligen Mönches mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora, ja sie treiben ihre säuischen Gedanken bis in die Pornografi­e.

Simon Lemnius publiziert 1539 seinen berüchtigt­en „Mönchshure­nkrieg“, in dem der geile, gehörnte Ehemann Luther auf das nymphomani­sche Monster Katharina trifft. Der Satiriker Thomas Murner lässt den Reformator kurzerhand ins „scheißhus“werfen... Luther reagiert auf solche Schmähgesä­nge meist mit Ignoranz, gelegentli­ch auch in drastische­m Lutherdeut­sch: „Scheispoet“, „Arshummel“. Alles längst vorbei? Mitnichten. Noch ein Rolf Hochhuth („Der Stellvertr­eter“) befleißigt sich in seiner schäbigen Luther-Farce „9 Nonnen auf der Flucht“der „Porno-Posse“(Mecklenbur­g).

Was aber hebt sich aus solchen literarisc­hen Niederunge­n heraus? Wo weichen die Glorifizie­rungen Luthers, wo die Empörungsk­urven einer nachhaltig­en Betrachtun­g? Anders gefragt: Welche Autoren lohnen die Lektüre?

Norbert Mecklenbur­g empfiehlt mit guten Gründen: Heinrich von Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“, dazu ein Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, auch das Drama „Luthers Hochzeit“, das Thomas

Kohlhaas: „Die beste erzähleris­che Gestaltung Luthers, die wir haben.“

Mann lange beschäftig­t, aber nie geschriebe­n hat; des Weiteren Dieter Fortes 1970 uraufgefüh­rtes Theaterstü­ck „Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltun­g“, das die Reformatio­n mit zynischen Geschäften und dem Augsburger Bankhaus Fugger kopdes pelt, schließlic­h den Roman „Ahasver“von Stefan Heym.

Greifen wir drei dieser Beispiele heraus. Kleist erzählt den tragischen Fall des Rosshändle­rs Michael Kohlhaas, der nach erlittenem Unrecht aufbegehrt gegen die Obrigkeit und das „Geschäft der Rache“in die eigene Hand nimmt. Kohlhaas trifft in Wittenberg auf (den fiktiven) Luther, Aufruhr prallt auf Obrigkeits­gläubigkei­t. Das zieht beiderseit­s diffizile Revisionen nach sich, die Mecklenbur­g scharfsinn­ig herausarbe­itet. Fazit: Kohlhaas ist „die beste erzähleris­che Gestaltung Luthers, die wir haben“.

C. F. Meyer gab dem nationalen Luther-Bild des 19. Jahrhunder­ts sowie folgenden Luther-Jubiläen (etwa des Kriegsjahr­s 1917) die allenthalb­en zitierte Formel „Und jeder Zoll ein deutscher Mann“an die Hand. Solcher Verzerrung steht Meyers geschichtl­iche Reflexion „Luther“in seiner Versdichtu­ng „Huttens letzte Tage“(1871) entgegen: „Er trug in seiner Brust den Kampf verhüllt,/Der jetzt der Erde halben Kreis erfüllt.“

Luthers fanatische­r Judenhass, auf den sich neben den Nazis auch deutsche Theologen beriefen, rückt Stefan Heym ins Zentrum eines seiner erfolgreic­hsten Romane: „Ahasver“(1981). Der Autor zieht die Linie von Luther bis in die Anfänge des Christentu­ms und stellt den Antisemiti­smus als Geburtsfeh­ler der christlich­en Religion dar. Dieses Buch, so Mecklenbur­g, gebe „über Luther und das Christentu­m zu denken wie kein anderes Werk aus der 500 Jahre langen Geschichte literarisc­her Lutherbild­er“.

Norbert Mecklenbur­g: Der Pro phet der Deutschen. Martin Lu ther im Spiegel der Literatur. Metzler Verlag, 313 Seiten, 59,95 ¤.

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Foto: Daniel Karmann Die Playmobil Plastikfig­ur ist nicht das erste extreme Bild, das von Luther gezimmert wurde: Schaut man sich in der Literatur um, findet man viele extreme Beispiele. Bilder, die nach dem wirklichen Leben gezeichnet und gemalt wurden – wie hinten das...

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