Aichacher Nachrichten

Gewalt und Hass von vielen Seiten

Rechte Übergriffe, islamistis­che Attacken, innertürki­sche Konflikte: Die politisch motivierte­n Straftaten erreichen in Deutschlan­d einen traurigen Rekord. Wieder einmal

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Molotowcoc­ktails flogen auf bewohnte Flüchtling­sunterkünf­te, Ausländer wurden ins Gleisbett geschubst – allein 18 Fälle von rechten „Tötungsver­suchen“zählte die Polizei im vergangene­n Jahr. In einem weiteren Fall blieb es nicht beim bloßen Versuch: Mitte Oktober 2016 erschoss ein selbst ernannter „Reichsbürg­er“in Georgensgm­ünd bei Nürnberg einen Polizisten, als dieser mit Kollegen anrückte, um die Waffen des Mannes zu beschlagna­hmen. „Reichsbürg­er“erkennen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht als Staat an, sondern behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Die Gruppe wird als rechtsextr­em eingestuft.

Diese 19 Fälle waren lediglich die rechtsmoti­vierten Tötungsdel­ikte – „versuchte“und „vollendete“, wie es im Polizeista­tistik-Deutsch heißt. Andere kommen hinzu, etwa von linksextre­men oder ausländisc­hen Gruppen. Die Zahl der versuchten und tatsächlic­hen Tötungen, die politisch motiviert waren, verdoppelt­e sich 2016 im Vergleich zum Vorjahr – auf mehr als 40 Fälle.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) hat nicht wirklich gute Nachrichte­n dabei, als er am gestrigen Montag in Berlin neben der allgemeine­n Verbrechen­sstatistik für 2016 auch die Zahlen zur politisch motivierte­n Kriminalit­ät im vergangene­n Jahr vorlegt. Die habe zum vierten Mal einen Höchststan­d erreicht – mit gut 41000 Straftaten, sagt de Maizière. „Das ist inakzeptab­el.“Vor allem die große Brutalität, mit der vorgegange­n werde, mache fassungslo­s.

Die Zahl der rechten Gewalttate­n legte 2016 um mehr als 14 Prozent zu. Fast 1400 Körperverl­etzungen mit rechtsextr­emem Hintergrun­d waren darunter. Die Zahl der rech- Straftaten insgesamt stabilisie­rte sich auf Rekordnive­au – bei rund 23 500.

In der linken Szene ging es im vergangene­n Jahr etwas ruhiger zu: Die Zahl der Straftaten blieb in etwa gleich (9389), die Zahl der linken Gewaltdeli­kte ging fast um ein Viertel zurück auf 1702. De Maizière meint, das liege aber nur daran, dass keine besonderen Großereign­isse die üblicherwe­ise die linke Szene mobilisier­en. „Das wird sich in diesem Jahr vermutlich ändern, mit drei Landtagswa­hlen und dem G 20-Gipfel.“Eine Entspannun­g sei insgesamt nicht zu erwarten.

In einem anderen Feld gingen die Zahlen 2016 noch dazu deutlich nach oben – wenn auch auf weitaus niedrigere­m Niveau: bei der „politen tisch motivierte­n Ausländerk­riminalitä­t“. Hier geht es um Straftaten, die „durch aus dem Ausland ,importiert­e‘ Ideologien motiviert“sind. Die Zahl der Straftaten stieg hier um 66,5 Prozent auf 3372, die Zahl der Gewalttate­n nahm sogar um 73 Prozent zu.

Hintergrun­d dafür sind laut Polizei vor allem innertürki­sche Konflikte, die auch in Deutschlan­d ausanstand­en, getragen werden. Das ist nicht neu, hat nach Einschätzu­ng der Sicherheit­sbehörden aber aktuell zugenommen.

Der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen, beklagte zuletzt vor ein paar Wochen, die Konflikte in der Türkei hätten auch Auswirkung­en auf die Sicherheit­slage in Deutschlan­d. Es bestehe die Gefahr, dass „Stellvertr­eter-Auseinande­rsetzungen“zwischen Anhängern der verbotenen Arbeiterpa­rtei Kurdistans PKK und nationalis­tischen Türken hierzuland­e eskalierte­n.

Und auch der islamistis­che Terror gehört zur politisch motivierte­n Kriminalit­ät in Deutschlan­d. Das vergangene Jahr geht hier auf besonders

Seismograf für die Stimmung in der Gesellscha­ft

düstere Art in die Statistik ein: mit den Attentaten in Würzburg und Ansbach – und dem Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt, bei dem kurz vor Weihnachte­n zwölf Menschen ums Leben kamen.

De Maizière betont, die Fälle von politisch motivierte­r Kriminalit­ät hätten gegenüber den allgemeine­n Kriminalit­ätszahlen (etwa sechs Millionen) zahlenmäßi­g zwar nur eine vergleichs­weise kleine Bedeutung. Ihre Tragweite für das Zusammenle­ben in Deutschlan­d sei aber enorm. Es gehe um Straftaten, „die von Hass getragen sind, die sich gegen Minderheit­en richten und mit denen die Verfassung außer Kraft gesetzt werden soll“. Er sehe darin „eine Art Seismograf“für die Stimmung in der Gesellscha­ft. Um die scheint es dann schlecht bestellt. Christiane Jacke, Axel Hofmann, dpa

 ?? Foto: Georg Wendt, dpa ?? Zu den politisch motivierte­n Straftaten zählen auch diese Schmierere­ien an einer Moschee in Pinneberg (Schleswig Holstein). Dort wurden 2016 die Worte „AKP“, „PKK“und „Intikam“(Rache) an die Wand gesprüht.
Foto: Georg Wendt, dpa Zu den politisch motivierte­n Straftaten zählen auch diese Schmierere­ien an einer Moschee in Pinneberg (Schleswig Holstein). Dort wurden 2016 die Worte „AKP“, „PKK“und „Intikam“(Rache) an die Wand gesprüht.

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