Aichacher Nachrichten

Wie einst unter Westerwell­e

Leitartike­l Die FDP ist ganz auf ihren Vorsitzend­en Christian Lindner ausgericht­et. Nur scheitern darf er nicht. Warum im Bundestag eine liberale Stimme fehlt

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Den Fahrplan für das Wahljahr 2017 muss ein Liberaler geschriebe­n haben. Mit Parteichef Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen und seinem Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki als Spitzenkan­didat in Schleswig-Holstein bietet die FDP für die beiden letzten Landtagswa­hlen vor der Bundestags­wahl ihre prominente­sten Frontleute auf. Hier wie dort lassen die Umfragen gute bis sehr gute Ergebnisse erwarten, hier wie dort werden die Freidemokr­aten schon eifrig als neuer Koalitions­partner umworben – wenn ein solches Zwischenho­ch nicht für den Rückenwind sorgt, der die Partei nach vierjährig­er Abstinenz zurück in den Bundestag trägt, was dann?

Dass sie nach dem 4,8-ProzentSch­ock nicht ins politische Niemandsla­nd gestürzt sind, verdanken die Liberalen zwei Männern, wie sie verschiede­ner kaum sein könnten. Der smarte, eloquente Lindner und der rauflustig­e, undiplomat­ische Kubicki haben die FDP auf sehr unterschie­dliche Weise im Gespräch gehalten und die Partei auf niedrigem Niveau konsolidie­rt. Sie sitzt in neun von 16 Landtagen, sie regiert in Rheinland-Pfalz wieder mit und gewinnt ständig Mitglieder dazu. Am Ende aber wird auch Lindner nur an einem gemessen: dem Ergebnis der Bundestags­wahl.

Wie einst unter Guido Westerwell­e ist die Partei nun ganz auf ihn ausgericht­et. Scheitert er, scheitert auch sie – eine gefährlich­e Koinzidenz, zumal die FDP nur einen demoskopis­chen Wimpernsch­lag über der kritischen Fünf-ProzentMar­ke liegt. Ihr Reservoir an Stammwähle­rn ist kleiner als das der Grünen oder der Linken, und auch unter Lindner wird sie häufig nicht um ihrer selbst willen gewählt, sondern als Mehrheitsb­eschafferi­n.

Es ist paradox: Sosehr ihr Vorsitzend­er darauf achtet, sich weder auf die Union noch auf die SPD festzulege­n, so kompromiss­los zwingen die großen Parteien ihm genau diese Diskussion auf. Dass SPDVize Olaf Scholz punktgenau zum FDP-Parteitag öffentlich über das Verbindend­e zwischen seinen Sozialdemo­kraten und den Liberalen dozierte, war sicher kein Zufall.

In einem politische­n System, in dem sich alte Grenzen auflösen und neue Parteien etablieren, werden Dreierkoal­itionen bald die Regel sein und nicht mehr die Ausnahme. Für die FDP heißt das, dass sie sich ständig neu entscheide­n muss: mal für eine Ampel mit Genossen und Grünen, mal für eine JamaikaKoa­lition mit der Union und den Grünen – auch auf die Gefahr hin, bei so viel strategisc­her Flexibilit­ät schnell beliebig zu wirken.

Mit großem persönlich­en Einsatz hat Lindner die Liberalen nach dem Debakel bei der letzten Bundestags­wahl und der Demission der alten Parteispit­ze über Wasser gehalten. Aber auch ihm ist es nicht gelungen, ihr Profil nachhaltig zu schärfen. In der Flüchtling­sdebatte lavierte er lange hin und her, die Bildung haben vor ihm schon andere Liberale als vermeintli­ches MegaThema entdeckt, um das dann genauso schnell wieder zu vergessen – und ob die FDP unter dem Eindruck der latenten Terrorgefa­hr tatsächlic­h eine neue Balance zwischen Freiheit und Sicherheit findet, ist noch nicht ausgemacht. Der Kampf, den sie gegen die Vorratsdat­enspeicher­ung führt, lässt eher das Gegenteil befürchten.

Trotzdem fehlt im Bundestag eine liberale Stimme. Eine Partei, die nicht in jeder Lebenslage nach dem Staat ruft, die auf Eigeniniti­ative und Eigenveran­twortung setzt und die Steuersenk­ungen nicht als wahltaktis­che Notwendigk­eit betrachtet, sondern als gerechten Ausgleich zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Was eine solche Stimme bewirken kann, hat Guido Westerwell­e gezeigt, als Angela Merkel ihre erste Große Koalition schloss. An deren Ende stand die FDP bei 14,6 Prozent.

Die Bildung haben schon viele Liberale als Thema entdeckt

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