Aichacher Nachrichten

Ein Naturwunde­r Oberbayern­s

Im Schatten des Chiemsees liegt ein landschaft­liches Kleinod. Es wird kaum beachtet – zu Unrecht

- VON STEFAN WEISSENBOR­N

Kinder graben kleine Wasserbomb­en in eine Plastikwan­ne, gefüllt mit Erde. „Wir sind jetzt in der Vergangenh­eit angekommen“, sagt Ursula Bernritter. „So etwa vor 10 000 Jahren.“Dann sticht sie die Wasserbomb­en kaputt. Zurück bleiben Löcher, in denen das Wasser steht. Ungefähr so sei die Eggstätter­Hemhofer Seenplatte entstanden, sagt Bernritter. Die Seenplatte liegt nordwestli­ch des Chiemsees. Wer die A8 von München in Richtung Salzburg fährt, dem entgeht dieses berühmte „Bayerische Meer“kaum. Doch die verstreute­n kleineren Seen lassen die meisten links liegen. Ein Fehler. Denn die Seenplatte ist das älteste Naturschut­zgebiet Bayerns. Zahlreiche Tiere und Pflanzen sind hier zu Hause. Ihre Existenz verdanken die Seen riesigen Eisblöcken. Als sich die Gletscher nach der letzten großen Eiszeit zurückzoge­n, blieben sie zurück und schmolzen in der Wärmeperio­de. Die Mulden, genannt Toteislöch­er, füllten sich mit Wasser – wie in dem WannenExpe­riment. Heute zählt die Seenplatte 17 von Grundwasse­r und Regen gespeiste Seen. Die Landschaft ist von Mooren, Bächen, Mischwälde­rn und Tümpeln gekennzeic­hnet. „Das ist ein nährstoffa­rmes Habitat ohne Grundwasse­ranbindung, in dem nur Spezialist­en überleben“, erklärt die Biologin. Zum Beispiel Libellen. Die Gegend ist reich an diesen flugbegabt­en Insekten. Rund vier Fünftel der in Europa vertretene­n Arten kämen auch an der Seenplatte vor. Das macht die Seenplatte zu einer der libellenar­tenreichst­en Gegenden Deutschlan­ds. Zum Beispiel lebt die seltene Zierliche Moosjungfe­r hier, eine von 50 Arten. Doch nicht nur Insekten fühlen sich im Voralpenla­nd wohl. „Hier ist gelobtes Kräuterlan­d“, sagt Ilona Baur. Die Dame mit der gefilzten Wollmütze ist in einem betagten Bulli vorgefahre­n und beginnt ihre Kräutertou­r gleich auf der Wiese neben dem Parkplatz nahe des Hartsees. Und siehe da: Man muss nicht auf die Fraueninse­l im Chiemsee übersetzen und den Kräutergar­ten des Klosters besuchen, um Aromen und heilsame Halme zu finden.

Zutaten für den Smoothie inklusive

„Mit einem Quadratmet­er Wiese kann man ein Tagessemin­ar gestalten“, sagt sie. Giersch ist gut bei Rheuma, Vogelmiere ist schmerzlin­dernd und reich an Kieselsäur­e. Oder die Taubnessel als „große Wundheilpf­lanze“. Sie alle findet man auf den Wiesen des Naturschut­zgebiets. In fünf Minuten sehe man hier genug Kräuter für einen ganzen Smoothie, verspricht Baur. In vielen der Seen ist Baden zwar verboten. Am Langbürgne­r-, am Pelhamer- und am Hartsee, auf denen es anders als am Chiemsee beschaulic­h zugeht, gibt es aber Strandbäde­r. Und während an manchem Sommertag auf dem großen Nachbarsee reger Bootsverke­hr herrscht, sind auf dem Hartsee nur ein paar Mietruderb­oote unterwegs. Und wen es zur Abwechslun­g in die Berge zieht, der hat es von Bayerns ältestem Naturschut­zgebiet aus nicht weit bis nach Aschau. Von dort fährt eine Seilbahn täglich hoch zur Kampenwand, dem Hausberg der Gegend. Schon in der Gondel sieht man den Chiemsee und die alten Toteislöch­er. Von hier sind sie dann noch etwas beeindruck­ender als in Frau Bernritter­s Wannen-Experiment.

 ??  ?? Die Eggstätt Hemhofer Seenplatte: Unbekannt aber wunderschö­n – hier die alte Moorlandsc­haft am Schloßsee bei Hemfurt.
Die Eggstätt Hemhofer Seenplatte: Unbekannt aber wunderschö­n – hier die alte Moorlandsc­haft am Schloßsee bei Hemfurt.

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