Auswege für Angehörige
Damit Pflege nicht zur Belastung wird, sollte man rechtzeitig Profis hinzunehmen
Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland sind auf Pflege angewiesen. Laut Statistischem Bundesamt wird die Hälfte davon daheim versorgt: nicht von Profis, sondern meist von ihren Ehepartnern oder Kindern. Einen Erwachsenen zu pflegen, ist eine gewaltige Aufgabe. Braucht etwa die eigene Mutter Hilfe auf der Toilette, kann es auch zu Ekel kommen. „Die Ekelfähigkeit von Menschen ist angeboren. Die genauen Auslöser von Ekelgefühlen werden jedoch gelernt und sind kulturell bedingt“, sagt die Psychologin Prof. Susanne Zank. Die Gerontologin beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Thema Pflege. Amelie Jansen vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) weiß, dass selbst professionell tätige Pfleger an ihre Grenzen stoßen, wenn es um die Intimsphäre geht: „Viele sagen über ihre Arbeit: Ich weiß nicht, ob ich das auch bei meinen Eltern könnte.“
Veränderte Rollen
Belastend ist vor allem die veränderte Beziehung. Es findet eine Rollenumkehr statt: Während früher die Eltern die Kinder versorgten, ist es jetzt genau andersherum. Klingt wie ein einfacher Tausch, ist aber allein schon wegen des Körpergewichts eines pflegebedürftigen Erwachsenen eine völlig andere Situation. Braucht er Windeln, sind auch das ganz andere Dimensionen als bei einem Kleinkind. „Besser wird die Situation, wenn man sich austauschen kann“, sagt Zank. Denn nicht nur der Ekel bei Pflegenden, sondern auch die Scham des Hilfsbedürftigen spielt eine Rolle. Das sensible Thema kommt allerdings vielen nicht leicht über die Lippen. Das weiß auch die Psychologin Imke Wolf. Sie ist die Leiterin der Internet-Beratung pflegen-und-leben.de, die sich gezielt an pflegende Angehörige wendet. Auch die Gerontologin Susanne Zank weiß, dass man unbearbeitete Gefühle wie Wut und Trauer, die auch aufgrund von Ekel entstehen können, nicht ignorieren darf. „Studien haben gezeigt, dass die Rate an Depressivität bei pflegenden Angehörigen größer ist, als in der Allgemeinbevölkerung.“Die Psychologin hält daher auch psychotherapeutische Angebote für Pflegende sowie Selbsthilfegruppen für sinnvoll.
Vom Pflegedienst lernen
Für pflegende Angehörige sollte außerdem die Beauftragung von Profis kein Tabu sein. Das verschafft den Familienangehörigen eine Pause und hat noch weitere Vorteile: „Wenn man dem Pflegedienst zusieht und nachfragt, kann man viel lernen.“„Vielen pflegenden Menschen helfen auch Handschuhe und Schutzkleidung, auch wenn sie noch so dünn ist“, sagt Jansen. Sie empfiehlt, sich im Fachhandel in Ruhe umzusehen und auszuprobieren, welche Hilfsmittel Erleichterung bringen.